„Die Zukunft der Welt liegt nicht nur in den Händen der Mächtigen, der großen Mächte und der Eliten. Sie liegt grundsätzlich in den Händen der Völker und in ihrer Fähigkeit, sich zu organisieren. Es liegt in ihrer Hand, die mit Demut und Überzeugung den Prozess des Wandels leiten kann.“ Richtig, das ist ein Papst Franziskus Zitat. Und ja, es ist nicht in der USA oder in Kuba gefallen. Es stammt aus einer Rede, die man am besten mit der vor dem US-Kongress zusammen lesen sollte. Die beiden gehören zusammen. Die Rede hat der Papst in Santa Cruz in Bolivien gehalten, vor dem Treffen der Volksbewegungen, die so ziemlich in allen Aspekten das genaue Gegenteil des US-Kongresses sind.
Es ist aber wahnsinnig spannend, diese beiden Perspektiven des Papstes zusammen zu sehen, weil man dann nämlich feststellt, dass sie gar nicht so weit voneinander entfernt liegen. Weder sagt der Papst jedem Publikum, was es hören möchte, noch widersprechen sich dadurch seine Aussagen. Im Gegenteil, Papst Franziskus ist überzeugt, dass wir die Welt ändern können. Und das gilt für das Establishment, das wir Politiker nennen, genauso wie für alle, die sich engagieren. Und das – die Welt ändern, im Großen oder Kleinen – nennt man politisch Handeln.
Politiker Franziskus
Aus einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung über die UN-Klima-Treffen: „Politiker wie Kanzlerin Angela Merkel und Papst Franziskus versuchen dort, die Staats- und Regierungschefs auf Klimaschutz einzuschwören.“ Papst Franziskus ist also ein Politiker. Ist das gut? In diesem Fall: ja.
Was ein Politiker – eigentlich – ist, hat der Papst ja in seiner Ansprache vor dem US-Kongress deutlich gemacht. Es geht um Träume und das Gemeinwohl, und dann geht es um Praxis und konkrete Schritte. Von seinen vier Beispiel-Persönlichkeiten waren alle ganz unterschiedliche Typen dieses Typs Politiker.
Abraham Lincoln hat die Einheit der Union erhalten wollen und dafür einen Bürgerkrieg in Kauf genommen, der sich dann die Befreiung der Sklaven auf die Fahnen schreib. Martin Luther King wollte die Freiheit für alle US-Amerikaner, nicht nur die Weißen. Er nahm Gewalt und Ablehnung in Kauf, letztlich wurde er dafür getötet. Dorothy Day hat sich für katholische Arbeiter eingesetzt und Häuser für Frauen gegründet. Hinter ihr stand keine Mehrheit wie der Norden der Union oder die afro-amerikanische Bevölkerung. Und Thomas Merton war der untypischste im Quartett, ein kontemplativer Mönch, der sich aber durch das Schreiben Gehör verschaffte und die Sicherheiten seiner Zeit in Frage stellte, letztlich ein sehr politisches Tun.
In diesem Sinne war der Papst auch politisch. Seine Träume wollen nicht nur Träume bleiben, er spricht auch nicht nur abstrakt über die Rolle von Religion in Gesellschaft und Staat, sondern wird konkret: Abschaffung der Todesstrafe, Aufnahme von Immigranten (interessanterweise machte er keine Unterscheidung zwischen legal und illegal), Würde für die Ausgeschlossenen, Gefängnisse nicht nur zur Bestrafung sondern auch zur Resozialisation, dazu die Themen Umwelt, Frieden und der Dialog mit Kuba und dem Iran, die Liste der konkreten Dinge bei der Papstrede ist lang.
Der Papst, ein Politiker
Leider hat Politik einen schlechten Ruf, in den USA einen noch viel schlechteren als bei uns. Das politische Geschäft ist die reine Selbstblockade. Und ein Politiker, der immer darauf aus war, ganz politisch Kompromisse zu schließen wie John Boehner, sieht keine Chance mehr für seinen Kurs in seiner Partei, weil die Radikalen und Fundis lieber alles blockieren als einen Schritt zu gehen.
Woanders sind es andere Phänomene, aber die Ablehnung von Politikern ist ziemlich weit verbreitet. Es ist aber die Art und Weise, die Welt zu verändern, wenn dir nicht auf Diktatoren setzen wollen. Das was die Fundis veranstalten, in den USA vor allem die Tea Party Bewegung, ist im Letzten unpolitisch, weil man nichts ändern will. Änderung setzt nämlich Prozesse voraus, und die will man nicht. Man will Recht haben, in allem, Punkt. Das ist aber unpolitisch.
„Their problems are our problems“: dieser Satz aus der Rede in Washington ist letztlich der Kern des Politischen. Wer sich nicht mit den eigenen Problemen zufrieden gibt, sondern Verantwortung für andere übernimmt, macht sich ihre Probleme zu eigen. Und er bekommt auch Probleme, die er sich gar nicht ausgesucht hat. Klimafragen, Hunger, Zugang zu Wasser, „Dach, Erde, Arbeit“, wie das Schlagwort der wachsenden Bewegung lautet, die der Papst in Bolivien und auch in Rom getroffen hatte, das sind alles Probleme, die allen zuwachsen, die Verantwortung übernehmen.
Und dann ist es eigentlich auch egal, ob man das als Vertreter von Landlosen tut oder als US-Senator.
Der Kern des Politischen
In seiner Rede vor dem Kongress hat der Papst Linien gezogen. Er hat konkrete Probleme angesprochen – historische in den vier Persönlichkeiten und aktuelle – und dann Linien gezogen. Dr. King etwa: wie damals gleiches Recht für alle die Frage war, so müssen sich auch die Generationen heute diese Frage gefallen lassen, vielleicht weniger mit Bezug auf die Bevölkerungsgruppen von damals, obwohl da auch noch viel zu tun bleibt. Aber heute geht es auch um Einwanderer oder die Armen vor Ort, die nicht weggehen wollen, die aber auch ihre Möglichkeiten haben wollen. Da hängen dann die Dinge zusammen.
Gemeinwohl
Fluchtpunkt des Politischen, wie es der Papst vielleicht nicht definiert aber doch beschrieben hat, ist das Gemeinwohl, der Aufbau einer Gesellschaft. Das Gegenteil dazu – und dazu schlage an die Rede an die Volksbewegungen nach – sind Partikularinteressen, die Interessen der Mächtigen, seien es Konzerne oder Parteistrategen und Wahlkämpfer.
Und wir werden gemessen werden, „yardstick“ sagte der Papst, es gibt Fragen, an denen zukünftige Generationen ablesen, ob wir gescheitert sind, ob wir uns wirklich gemüht haben oder ob wir in Bequemlichkeit alles abgeschoben haben. Und diese Messlatten suchen wir uns nicht aus, nicht wir bestimmen, nach was wir einmal gemessen werden. An dieser Stelle habe ich es schon einmal geschrieben, ich bin fest davon überzeugt, dass der Umgang mit den Flüchtlingen weltweit eine solche Messlatte ist, die an uns angelegt wird.
Hier liegt unser Auftrag, für das Wohl aller und das Wohl aller gemeinsam, das Gemeinwohl, zu arbeiten.
Drücken gilt nicht. Ich möchte einen Satz abwandeln, den der Papst über den Umgang mit Hass und Terror gesagt hat: Wenn wir uns dem Gegner nur in Gegnerschaft stellen, dann werden wir so wie er. „The enemy without feeds the enemy within“, innerlich sind wir dann nicht besser. Abgewandelt lautet der Satz dann: wenn ich mich drücke, beschädige ich mich selber. Wenn wir uns diesen – letztlich politischen – Aufgaben nicht stellen, macht das was mit uns. Wir müssen nicht gleich in Parteien eintreten, politisches Handeln geht auch ganz anders. Aber mit dem Wegsehen füttern wir den Feind in uns, den „Feind der menschlichen Natur“, wie ihn der heilige Ignatius nennt, also den, der in uns steckt und uns von uns selber wegbringen will, von dem wozu wir eigentlich geschaffen und gewollt sind.
Also, überlassen wir die Politik nicht nur den Politikern. Dafür ist sie viel zu wichtig.
Das Amerika der Tea Party ist das in zahlreichen Romanen, Filmen und Schullesebüchern romantisch verklärte Bild des Amerikas der Siedler, das der Landnahme der Weißen.
Dass dieses Amerika der Anfangstage aber auch ein Amerika der Gesetzlosigkeit, der Vertragsbruchs und des Faustrechts war, wird verschwiegen. Es hat die Zentrale in Washington viel Geld und viele Mühen gekostet, um teilweise mit Gewalt Recht und Gesetz im Wilden Westen durchzusetzen. Dass man zur Klärung von Streitigkeiten die Gerichte anruft, statt sofort zur Waffe zu greifen und sich ggf. gegenseitig umzubringen, das war im Alten Amerika ein längerer und teilweise auch sehr schwerer Lernprozess.
Amerika hat sich in den letzten 250 Jahren grundlegend verändert. Es ist nicht mehr das Land der Farmer und der Rinderzüchter mit ihren großen Herden. Die Lebensrealität hat sich durch Technisierung und Industrialisierung, heute zusätzlich durch die Globalisierung gründlegend verändert. In den großen Zentren des Landes dominieren Handel, Industrie und Dienstleistung. Die Menschen und Wirtschaft sind weltweit vernetzt. Wer an einem Ort ein Geschäft nicht machen kann oder möchte, der macht es woanders. Was vor 200 oder sogar noch vor 100 Jahren als richtig erschien, kann heute manchmal grundlegend falsch sein, ja sogar katastrophale Folgen haben.
Was Politik kann und muss, ist zu lernen, zu sehen, um vorher zu sehen. Der politische Blick muss nach vorn, in die Zukunft gerichtet sein. Die Vergangenheit ist vergangen, sie lässt sich nicht mehr in die Gegenwart zurück holen. Aus der Vergangenheit lässt sich bestenfalls lernen, einmal begangene Fehler nicht noch einmal zu wiederholen.