Leseschlüssel zu Evangelii Gaudium, Teil 2
In einem ersten Stück habe ich versucht, einen Einstieg in Evangelii Gaudium zu versuchen, es ging dabei um den Prozessgedanken und die Selbstreform. An Letzterem möchte ich hier anschließen.
Jorge Mario Bergoglio hatte einen Text über einen Kirchenvater geschrieben, über Dorotheus von Gaza. Zuerst war der für die Ordensausbildung gedacht, dann hatte er ihn 2005 noch einmal für sein Bistum veröffentlicht. In diesem Text nimmt er Ausgang von einem uns mittlerweile von Papst Franziskus vertrauten Thema: Dem bösen Reden über andere. Wir nähmen Zuflucht bei den Fehlern der anderen und würden sie heraus posaunen, weil wir uns dann besser fühlten. Das zerstöre dann die Einheit unter den Menschen, die Beziehungen und Bindungen. Ein Thema, das er als Papst schon mehrfach sehr deutlich angesprochen hat. An anderer Stelle habe ich das schon einmal hier ausführlicher beschrieben, den Gedanken von damals möchte ich hier einbauen: Hier geht es um ein geistliches Handeln, das den Argwohn anderen gegenüber schwächt und das gute alte Wort der ‚Demut’ wieder erweckt.
In dieser sehr kurzen Schrift zeigt uns Bergoglio sein Vorgehen: Er will dem auf den Grund gehen, was uns antreibt, das Gute und das Schlechte.
Kommunikation mit Gott
Diese inneren Antriebe kann man entdecken, man kann ihnen auf die Spur kommen. Sie zeigen sich im Wollen, in den Emotionen, sie zeigen sich in Sehnsüchten und Träumen. Und sie zeigen sich besonders dann, wenn in uns etwas in Bewegung kommt. Um diese inneren Bewegungen geht es dem Papst. Wenn ich aufmerksam bin auf das, was in mir drin steckt, was sich für Wünsche regen, Zorn oder Zufriedenheit, Aufregung oder Ruhe, wie sich mein Wille ändert und zeigt, dann gehe ich mir selber auf den Grund.
In der Tradition benennt man das mit dem schwierig gewordenen Wort „Gewissensrechenschaft“. Lassen wir das Wort weg, denn allein „Rechenschaft“ klingt zu sehr nach Gericht. Es soll hier um diese inneren Bewegungen gehen. In diesen inneren Regungen begegne ich nämlich Gott.
Warum? Weil die Kommunikation mit Gott in uns selbst stattfindet. Es gibt keine Sternenkonstellationen, an denen ich das ablesen kann oder das so genannte Schicksal. Der Geist regt mich an, zu Reue und Freude, zu Wünschen und schlechtem Gewissen. Das alles sind sozusagen Reaktionen auf das, was Gott mir sagen will, wollen wir das mal etwas arg vereinfacht sagen.
Was sind meine Sehnsüchte, was hakt sich fest, wo bleibe ich stecken, was will ich eigentlich, was rührt mich an, wo fühle ich mich ertappt: All das bezeichnet diese inneren Bewegungen, in denen ich Gottes Willen für mich entdecken kann, wenn ich dem auf die Spur gehe.
In Evangelii Gaudium legt uns der Papst einen Meditationstext zu einer solchen inneren Erforschung vor. Viele Gedanken und Formulierungen bringen uns innerlich in Bewegung: Freudig, widersprechend, überrascht, lachend über ein Sprachbild und so weiter. Und der Papst spricht diese inneren Bewegungen auch direkt an:
Die große Gefahr der Welt von heute mit ihrem vielfältigen und erdrückenden Konsumangebot ist eine individualistische Traurigkeit, die aus einem bequemen, begehrlichen Herzen hervorgeht, aus der krankhaften Suche nach oberflächlichen Vergnügungen, aus einer abgeschotteten Geisteshaltung. Wenn das innere Leben sich in den eigenen Interessen verschließt, gibt es keinen Raum mehr für die anderen, finden die Armen keinen Einlass mehr, hört man nicht mehr die Stimme Gottes, genießt man nicht mehr die innige Freude über seine Liebe, regt sich nicht die Begeisterung, das Gute zu tun.
Auch die Gläubigen laufen nachweislich und fortwährend diese Gefahr. Viele erliegen ihr und werden zu gereizten, unzufriedenen, empfindungslosen Menschen. (EG 2-3)
Kurz: Wer sich innerlich gegen die inneren Bewegungen abschottet und diese durch Konsum zuschüttet, der verspürt nicht mehr, wie sich Gott an uns wendet. Das Resultat: Traurigkeit. Auch die Traurigkeit ist eine solche Bewegung, und von ihr ausgehend geht der Papst dem auf den Grund, was sie verursacht hat.
Ein weiterer Abschnitt:
Das christliche Ideal wird immer dazu auffordern, den Verdacht, das ständige Misstrauen, die Angst überschwemmt zu werden, die defensiven Verhaltensweisen, die die heutige Welt uns auferlegt, zu überwinden. Viele versuchen, vor den anderen in ein bequemes Privatleben oder in den engen Kreis der Vertrautesten zu fliehen, und verzichten auf den Realismus der sozialen Dimension des Evangeliums. Ebenso wie nämlich einige einen rein geistlichen Christus ohne Leib und ohne Kreuz wollen, werden zwischenmenschliche Beziehungen angestrebt, die nur durch hoch entwickelte Apparate vermittelt werden, durch Bildschirme und Systeme, die man auf Kommando ein- und ausschalten kann. Unterdessen lädt das Evangelium uns immer ein, das Risiko der Begegnung mit dem Angesicht des anderen einzugehen, mit seiner physischen Gegenwart, die uns anfragt, mit seinem Schmerz und seinen Bitten, mit seiner ansteckenden Freude in einem ständigen unmittelbar physischen Kontakt. Der echte Glaube an den Mensch gewordenen Sohn Gottes ist untrennbar von der Selbsthingabe, von der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, vom Dienst, von der Versöhnung mit dem Leib der anderen. Der Sohn Gottes hat uns in seiner Inkarnation zur Revolution der zärtlichen Liebe eingeladen. (EG 88)
Hier spricht der Papst nicht über diese Bewegungen, aber wie in vielen anderen Abschnitten kann man gar nicht anders als innerlich darauf zu reagieren. Die verstandesmäßige Antwort reicht nicht aus, ich muss mich innerlich zu dem verhalten, was der Papst schreibt.
Was sagt mir der Text?
Ganz klar wird das auch bei seinen zornigen Worten über die Wirtschaft, die tötet. Ganz deutlich wird das auch bei seinen Anklagen über den Karriere-Christen, den Bürokraten-Christen, den Gesellschafts-Christen, die er drastisch beschreibt, auch hier können wir gar nicht anders innerlich zu reagieren. Und damit kommen wir dem auf die Spur, was Gott uns in all dem sagen will, wo unsere eigenen Schwächen – nicht die der anderen, unsere eigenen – liegen und damit beginnt dann wirkliche Reform.
Dieser Text hier soll ja ein Leseschlüssel sein, also: Wenn man einzelne Passagen des Textes liest, beginnt er zu mir zu sprechen, wenn ich auf meine Reaktionen achte. Es geht nicht darum festzustellen, wo der Papst mir schon wieder Recht gibt, wo er die Fehler der anderen benennt, sondern es geht um mich, meine Fehler und meine Reue.
Und es geht um meine Freude, auch das eine innere Bewegungen und dem Papst nach die wichtigste, immerhin steht sie im Titel.
“…werden zwischenmenschliche Beziehungen angestrebt, die nur durch hoch entwickelte Apparate vermittelt werden, durch Bildschirme und Systeme, die man auf Kommando ein- und ausschalten kann.” Gehört ein Blog nicht letztlich auch dazu?
Der Teufel liegt im Detail: Das spannende Wort in dem Satz lautet “nur”.
Es stimmt, das einengende “nur” ist entscheidend. Hätte es doch im Zitat der Regensburger Rede “…und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden…” gefehlt!
Ja, die eigene Reform in unseren Herzen….Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung…..zur Abwechslung den berühmten Spiegel nicht den anderen Menschen sondern sich selbst vorhalten…. auch wenn es schmerzt….
Sage ich doch schon die ganze Zeit es geht um uns selber, jeden einzelnen. In uns und aus uns heraus geschieht Veränderung wir müssen, sollten sie machen damit Veränderungen geschehen können und nicht auf andere abschieben.
Es ist wahrlich keine einfache Aufgabe im Alltag sich immer wieder auf das wesentlich zu besinnen. Keine Ablenkungen zu suchen, innehalten, usw. Es ist eine wirkliche Herausforderung!
Letzten Sonntag blieb bei mir ein Satz von der Predigt hängen:
Wenn wir die Sünden unserer Nachbarn, unserer Feinde beichten könnten, dann wären die Beichtstühle übervoll……
Es reicht meines erachtens schon aus auf unser eigenes Gewissen und unsere Schuld zu sehen da hat jeder dann genug zutun.
Wie schon der Volksmund sagt: Ein jeder kehr vor seiner Tür, er findet …