Ich weiß es noch wie heute: Ich saß mit zwei Freunden in der Bretagne in einem Café, abends. Ich hatte eine Woche Rucksack-Wandern dort hinter mir und die beiden waren mit dem Auto gekommen, gerade angereist, wir wollten weiter um mit einigen Kommilitonen zusammen in einem Haus im Norden, an der Küste, Urlaub zu machen. Es muss in Concarneau gewesen sein, oder in Quimper, das Detail habe ich vergessen, aber das Café sehe ich noch vor mir.
Das war der Tag vor genau 25 Jahren, der Tag an dem Miles Davis starb. Wir haben in der Jukebox nachgesehen und tatsächlich gab es mehrere Stücke von Davis da drin, also spielte die Box zur großen Verwunderung der anwesenden Franzosen „Kind of Blue“. Als Hommage.
Damals hätte ich mich in den Hintern treten können. Ich hatte noch die Gelegenheit gehabt, Miles Davis live zu sehen, war damals aber nicht ins Konzert gegangen, weil zu Hause was anderes stattfand. Und so ging der Mann, dessen Musik mir so viel sagt wie kaum eine andere, ohne dass ich ihn jemals habe live hören können.
Seine Kollegen habe ich dann alle in Concert gehört, Wayne Shorter, John McLaughlin, Herbie Hancock, Chick Corea, und so weiter. Nur eben Miles Davis selber nicht.
Der Mann war die perfekte Synthese aus Markt und Genie. Jede Platte war ein Schritt weiter, der Mann ist nie stehen geblieben. Und wie bei den Beatles kamen die Platten oft in atemberaubend kurzen Abständen. Und immer was Neues. Die Story ist ja eigentlich, dass aus den Kulturen und Traditionen der Schwarzen der Jazz entstand, dann vermarktet wurde – von Weißen – bis er schließlich im Mainstream, damals bei Glen Millers Gedudel, heute bei norwegischen Sängerinnen in immer schnellerer Abfolge, endgültig marktkonform ist. Bei Davis stimmt das nicht. Seine großen Werke wie Bitches Brew und In a Silent Way sind erst durch die Zusammenarbeit mit der Plattenfirma Columbia überhaupt möglich geworden. Er wollte Pop und Rock einbeziehen, er wollte Musik nicht für die Oberklasse-Elite der Jazzversteher machen, sondern für alle (Schwarzen, das muss man dazu sagen). Und das würde dann die Synthese von Markt und Genie.
Fachleute sagen, dass er nicht gerade ein genialer Techniker an der Trompete war. Sein Genie lag woanders. Vor allem darin, Musiker zusammen spielen zu lassen. Er hat aus allen das Beste heraus geholt. Und wenn auch andere die Stücke geschrieben haben, er hat daraus in seinen wechselnden Besetzungen Musik gemacht.
Immer neu: Probierer oder Verräter?
Seine Musik ist herrlich unpathetisch, ohne Romantik, so gar nicht verspielt. Sie ist anders als so viel Anderes Zeug in den Jazz-Regalen nicht Gehörgang – angepasst. Sie besteht immer aus vielen Stimmen, nie nur der Trompete, die Trompete antwortet und übernimmt, sie ist der Chef aber lässt den Rest der Truppe nicht als Untermalung auftreten.
Zuletzt schrien sie dann alle „Verrat“, als er mit Pop experimentierte. Er wollte halt kein Archivar des klassischen Jazz sein, sondern von den Leuten gehört werden. Schon Ende der 60er und dann heftig in den 70ern mit „Bitches Brew“ und so weiter hat er Massentaugliches in seine Musik aufgenommen, auch wenn das heute völlig schräg klingt. Er wollte den Anschluss an die Menge, an die Vielen, aber ohne Kompromisse zu machen. Mal gelang es ihm, mal weniger, vor allem in den letzten Jahren ist er Wege gegangen, die nur noch weniger Jazzer mitgehen wollten.
War das noch Jazz? Seine Antwort: „Call it anything!“
Bis heute höre ich die alten Scheiben genauso gerne wie die neuen, die unbekannten genauso wie die Stars unter den Platten „Kind of Blue“ oder „Filles de Kilimanjaro“.
Musik ist eine Sprache. Und wenn man sie nicht dauern im Hintergrund dudeln lässt und zu einem Ambient-Wohlfühl-Geräusch herabwürdigt, dann kann sie auch was erzählen. Und gute Musik tut das auch, wenn man ein Stück zum x-ten Mal hört. Und genau deswegen mag ich Miles Davis.
Also schiebe ich heute, am 25. Todestag, seine beste Scheibe in den Player, „In A Silent Way“. Und freue mich, dass seine Musik immer noch zu mir spricht.
PS: Da ich in diesen Tagen unterwegs bin und nicht ständig Zugang zum Netz habe, kann es mit dem Freischalten von Kommentaren etwas länger dauern. Ich bitte um Nachsicht.
Von Kindes Beinen an hat Musik zu mir gesprochen, doch nicht in Form von Personen, sie sprach mich durch die Gefühle an, die sie in mir hervorrufen kann. Meine Erinnerung sagt, dass ich es am liebsten mochte, wenn meine Mutter während der Hausarbeit deutsche Schlager Sang, da war die Welt für mich in Ordnung, weil sie fröhlich vor sich hin sang und gleichzeitig auch noch fleißig arbeiten konnte. Ich interpretiere Musik nicht nach ihren Inhalten, das scheint mir unmöglich, ich empfange sie als etwas Wesentliches im Ausdruck unserer Gesellschaft. Musik ist Kunst, die sich zeitgemäß zu äußern vermag, um Menschen anzusprechen, aufzurütteln oder einfach mitzunehmen. Heute höre ich nur beim Autofahren noch Musik, meist heimische Sender, das vermittelt mir eine gewisse Art von Zugehörigkeit, die ich nicht vermissen möchte. Manchmal bin ich richtig erleichtert, wenn der Radio im Auto anfängt seine wohlwollenden Klänge zu vermitteln, um mich mitzunehmen in eine Welt, die doch noch so vieles für sich behält, was sich aber durch die Musik bereits zum Ausdruck bringen kann.
Wunderbar,dass Sie Pater Hagenkord ein „hohes Lied“ auf den Jazz singen..
selber hab ich erst recht spät zu dieser existenziellen Kunst gefunden- mit der „klassischen E-Musik“ fast elitär aufgewachsen, war es LENARD BERNSTEIN – die Interessierten werden sich noch an diesen universellen Musiker erinnern- der in mir das tiefere Verständnis für diese Musik weckte…
auch für Miles Davis aber auch an Billie Holiday und andere..
bei Billie spürt man auch diese Passion (im Doppelsinn):der Kampf der Afroamerikaner aber auch ihre Sehnsucht nach erfüllender Liebe-da ganz verwandt mit Edith Piaf..
Ja und diese Musik konnte sich -so glaube ich- nur im Kontext des -immer noch andauernden!!- Ringens um volle Teilhabe der Afroamerikaner an ihrer Gleichberechtigung so stark entwickeln..
wenn ich nur an die Beleidigungen des Herrn Trump ua. denke..
ich erinnere noch an den Musikwissenschaftler(!!)Hans Joachim Moser denke, der in seiner „Musikgeschichte“, welche noch in den 50er und frühen 60ern zu den Standardwerken gehörte, abfällig von „Negermusik“ sprach..
übrigens Bernstein war auch ein hervorragender Jazzpianist -einfach ein ganzheitlicher Musiker..
ich erinnere mich an eine Aufführung Von Mozarts Requiem-so innig habe ich das „Lacrimoso“ selten gehört..
bitte Nachsicht für die grammatikalischen und andere „technische“ Fehler-hab den Beitrag relativ schnell geschrieben…
Lieber Pater Hagenkord,
das ist aber ein schöner Nachruf auf den großen Miles und ich danke allerherzlichst dafür!
Ich weiß zwar nicht mehr, was ich vor 25 Jahren gemacht habe, als ich die Nachricht von seinem Tod erfahren habe, aber dafür habe ich ihn vor 32 Jahren einmal live sehen dürfen, beim Jazz-Festival im ostösterreichischen Wiesen, die hatten damals ein unglaubliches Programm mit u.a. Charlie Haden, B.B. King und dem noch fast ganz unbekannten Bobbie McFerrin (für mich damals das umwerfendste Konzert an einem sehr sonnig-heißen Sonntagnachmittag).
Miles hatte eine sehr junge funkig-rockige Truppe – die haben damals wirklich aufregende Musik gespielt, die ich ein paar Wochen später dann sogar im Radio mitschneiden konnte.
Meine Lieblingsalben sind ‚A Tribute to Jack Johnson‘ und die erstaunlicherweise recht unbekannte ‚Circle in the Round‘.
Nicht zu vergessen natürlich seine legendäre Zusammenarbeit mit John Coltrane – meinem persönlichen Jazz-Favoriten – z.B. in ‚A Love Supreme‘!
Auch Coltrane war unglaublich innovativ, ist aber am Ende in einer Free-Jazz-Sackgasse gelandet (so sehr ich Coltrane verehre und in Africa, India oder Impressions versinken könnte, so wenig kann ich ‚Ascension‘ aushalten).
Aber auch nach Mingus, Coltrane und Davis war nicht alles glatt gebügelt. Ich habe vor 2 Jahren mit Esbjörn Svensson einen äußerst innovativen neueren Jazz entdeckt, eine Musik, die sich nicht nur auf die Jazz-Tradition beruft, sondern auch auf klassische Quellen, allen voran die Musik von Bach. Hier geht’s mir so wie Ihnen: ich werde ihn nicht mehr live sehen können – er ist vor 8 Jahren beim Tauchen tödlich verunglückt. Glücklicherweise gibt es Youtube, wenn dort auch keine Aufnahme von dem grandiosen ‚Live in Hamburg‘, dafür aber z.B. Live in Antibes:
https://www.youtube.com/watch?v=_1iM4Im4Yqo
Ich erlaube mir, noch einen link einzustellen, weil ich nicht nur die Musik, sondern auch den Titel so außergewöhnlich finde:
‚When God Created The Coffeebreak‘:
https://www.youtube.com/watch?v=FnA-g9iw9tc
…und für’s Pilgern im Kopf oder in echt gibt es das wunderschöne Stück ‚Eighthundred Streets By Feet‘
…
Sorry, Charlie Haden war ein Irrtum, den habe ich wohl bei einem anderen Festival gesehen, hier aber die Teilnehmerliste von Jazz in Wiesen 1984, einfach unglaublich, wer damals alles dabei war:
http://www.rockfestivals.at/index.php?action=festival&id=100013
Hut ab Pater Hagenkord für private Einblicke und eine gelungene Hommage für Miles Davis.
Ganz wichtig: sich in seine Autobiographie hineinfühlen…
(für KKK abhängige nicht so geeignet.. Grins…)
aber ein starkes Buch!!
die Polyphonie im Jazz! – darin durchaus Verbindungen zu Bach!
Ich denk dabei besonders an Chick Corea und Keith Jarrett aber auch -teilweise- an Friedrich Gulda,der den umgekehrten Weg gegangen ist.
mein Bruder hat Miles Davis noch auf dem Isle of Wight Festival gehört, war wohl ein unvergessliches Erlebnis- gottseidank kann man bei YouTube einiges sehen und wenigstens etwas erahnen..
„Also schiebe ich heute, am 25. Todestag, seine beste Scheibe in den Player, „In A Silent Way“.
Ich behaupte mal, dass die Frage nach Miles Davis‘ bester Platte auch in der geselligsten Runde bei bestem Rotwein die wüstesten Schlägereien auslösen kann.
p.s. Ich steige für „Tutu“ in den Ring, weil dieses Meisterwerk meine erste Begegnung mit Jazz war, und mich seit dem zwölften/dreizehnten Lebensjahr bis heute treu begleitet.