Peripherie, Priorität der Pastoral, Prozess: Die Schwerpunkte von Papst Franziskus lassen sich daran erkennen, dass er sie immer wieder klar und offen ausspricht. Diese Schwerpunkte sind aber nicht irgendwie zufällig, sie hängen zusammen. Und der Zusammenhang ist das Wort „Reform“. Eine der Quellen für Papst Franziskus ist der Dominikanerater und Theologe Yves Congar und sein Buch von der wahren Reform der Kirche, „Vraie et Fausse Réforme dans l’Èglise“ von 1950. Hier kann man nachlesen, was sich bei Papst Franziskus in seinen Schwerpunkten ausdrückt.
Congar entwickelt seine Idee von der wahren Reform der Kirche beim Einzelnen: Beginnend mit der Reform der eigenen Person muss man zu den überpersönlichen und kollektiven Strukturen vorstoßen. Das ist die Dynamik: vom Einzelnen weiter vorgehen. Aber darüber darf man das Zweite, die Reform der Struktur, nicht als „weniger wichtig“ abtun.
Reform setzt also nicht nur bei der Sünde an, sondern bei der Kirche, so wie sie eben in der Zeit geworden ist, sich entwickelt hat, in den Strukturen verhärtet ist oder nach neuen Ausdrucks- und Lebensformen verlangt.
Vier Bedingungen für die Reform
Das heißt, dass zwar der Satz stimmt, dass ich persönlich der Ort der Reform der Kirche sein muss – Mutter Teresas berühmter Satz was sich in der Kirche ändern muss sind Sie und ich – aber dass das nicht alles ist. Strukturen brauchen auch Reform. Theologisch würde man heute sagen, dass auch Strukturen sündhaft sein können, etwas was zu Zeiten von Congar noch nicht gesagt wurde.
Der Theologe nennt vier Bedingungen, und bei dieser Liste stütze ich mich auf das Buch von Frère Emile, „Treue zur Zukunft – Lernen von Yves Congar“. Erstens muss es vorrangig um Nächstenliebe und um Seelsorge gehen, „Die gelungenen Reformen in der Kirche sind jene, die für die konkreten Bedürfnisse der Seelen gemacht wurden,“ sagt Congar. Das bedeutet nicht, die Probleme zu verharmlosen oder ins Innere zu verlegen, das macht sie im Gegenteil erst wirklich wichtig und mächtig. Reform muss pastoral beginnen. Zweitens muss muss die Gemeinschaft erhalten bleiben, mit dem Blick auf die Lehre Christi ist das eindeutig aber bei vielen, die Änderungen wollen oder verlangen, nicht wirklich sichtbar.
Drittens geht es um eine Rückkehr zu den Quellen, „die Kirche ist, wenn man auf ihre ganze Geschichte und Tradition blickt, viel weiter und reicher, als sie oft von sich selbst weiß“, wie Karl Kardinal Lehmann mit Blick auf die Studien Congars sagt. Viertens braucht es Geduld. Nur dann endet das Ganze nicht im Schisma.
Die Energie, die die Kirche in der sich verändernden Welt braucht, um wachsen zu können – wieder greife ich Frère Émile auf – stammt vom Rand, von der Grenze. Congar sagt, „dass wir sie aus dem Kontakt mit den anderen schöpfen und aus dem, was wir von ihnen übernehmen.“ (aus dem zitierten Buch, S. 87). Das ist also die Peripherie, von der die Reform ausgeht. Der Blick auf die Welt ändert sich, wenn ich vom Rand aus blicke, sagt Papst Franziskus, das gibt die nötige Energie für die Reform, sagt Congar.
Das sind die vier Bedingungen für die Reform: Primat der Pastoral, in und für die Gemeinschaft, im Rückgriff auf die Quellen mit der Energie, die von den Rändern kommt.
Schöner, sehr klar formulierter Aufsatz!
Schon wieder eine französische Quelle. Der Papst mag anscheinend wirklich die französischen Theologen aus der Zeit Mitte/Ende des 20. Jahrhunderts.
An was kann das jetzt liegen? Kann man französische Theologie von deutscher, italienischer, spanischer etc. Theologie irgendwie abgrenzen? Gibt es da nationale Besonderheiten oder ist das reiner Zufall? Gibt es Zusammenhänge zwischen der französischen und der argentinischen Theologie?
Wird die Kirche in ihrer Theologie nun französischer? Wenn ja, dann wäre die Kirche der Zukunft in Frankreich zu suchen, oder? Aber so rosig sieht es da auch nicht gerade aus?
Also: Was macht diese französischen Patres so anziehend für Franziskus?
Schreiben Sie irgendwie auch anders? Sind sie irgendwie poetischer oder weiser im Duktus?
Allein der Titel „Treue zur Zukunft“ hat etwas sehr Lyrisches, das heißt aber auch Paradoxes an sich. Wie kann man für etwas Treue hegen, das man nicht kennt?
Wahrscheinlich meint der Titel sinngemäß so viel wie: den Glauben an die Zukunft bewahren. So eindeutig würde man das in Deutschland ausdrücken… Franzosen ticken irgendwie anders.
Kleiner lauer Scherz am Rande: Francesco heißt wohl übersetzt „kleiner Franzose“.
PS: Sie haben doch schon mal etwas über den „französischen“ Papst Franziskus hier geschrieben… Ich muss mir den Artikel nochmal durchlesen.
Toller Ansatz, richtiggehend elektrisierend am frühen Morgen!
Ich kann das voll und ganz unterschreiben und spüre, dass es (wieder) spannend ist, diesen alten Garten namens Katholische Kirche mit zu gestalten.
Als alter frankophiler Namensgleicher, der vor zig Jahren mehr oder weniger freiwillig vom Zentrum an den Rand gegangen ist, fühle ich mich sehr angesprochen, suche aber noch ein bisschen das für mich passende Türchen, um die „winds of change“ hereinzuholen…
Mein Gefühl sagt mir, dass nunmehr, nach 3 Jahren Franziskus, ein ähnlicher Wind, eine ähnliche Energie, ein ähnlicher Geist zu wehen beginnt, wie in den Zeiten des Konzils. Das mag manche beunruhigen – für die Kirche und für die gebeutelte Menschheit kann es nur ein Segen sein!
Wind of change! Das ist genau der richtige Slogan. Gratuliere! Papst Franziskus lässt die Tür offen, damit der Wind vom Hl Geist hereinweht. Dabei vergisst er als oberster Hirte nicht, dass 10% seiner Schafe Ultrakonservativ sind und trotzdem versucht er alle an Board zu bringen. Selbst die Pius Bruderschaft lässt er nicht fallen. Er hält den Dialog mit ihnen aufrecht. Franziskus ist ein wahrer Samariter für alle Seelen. So wie es Gottvater im Himmel will.
So sehe ich das auch.
Und gerade auch die Rückbesinnung auf Theologen wie Congar, die von der Kirche nun nicht gerade immer positiv behandelt wurden, zeigt die geistige Weite von Franziskus
„die von der Kirche nun nicht gerade immer positiv behandelt wurden“… Das ist noch sehr freundlich formuliert. Psychoterror und Verfolgung offen katholisch denkender Menschen trifft es wohl eher. Wo wären wir ohne Theologen wie de Lubac, Congar, Teilhard, Danielou, Urs von Balthasar, Guardini, Rahner…
Eine Schlüsselstelle für die Haltung Jorge Mario Bergoglios zum Thema der Kirchenreform findet man m.M.n. in seiner kurzen Meditation „Über die Selbstanklage“ von 1984. Dort nimmt er in einer Fußnote (Fn. 2 auf S. 41 f.) auf den seligen Petrus Faber Bezug und zitiert eine Stelle aus dessen Memoriale, wo er (Faber) darüber sinniert, wie man mit vollmundig vorgetragenen Forderungen nach „Reformen“ vonseiten sehr progessiver Kreise (er nennt sie zeitbedingt „Irrlehrer“) umzugehen habe. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, viele dieser Forderungen seien in der Sache durchaus richtig, aber aus einem falschen Geist heraus vorgebracht. Diesen Geist gelte es zu unterscheiden.
Bergoglio nimmt zur Frage der „Reform“ im Anschluss an dieses Zitat nicht direkt Stellung, sondern benutzt es, um zu verdeutlichen, was er die „Struktur der Ideologie“ nennt (eben diesen falschen, übereifrigen und nicht immer ganz ehrlichen Geist, aus dem heraus manchmal sachlich durchaus richtige Forderungen vorgebracht werden können).
Trotzdem hatte ich immer den Eindruck, diese Fußnote charakterisiert die Haltung des ggw. Papstes gegenüber den klass. Reformanliegen des progressiven Lagers sehr gut (habe das Buch ganz zu Anfang seines Pontifikats gelesen). Ihm kommt es weniger darauf an, ob ein solches Anliegen jetzt im Prinzip berechtigt ist oder nicht, sondern ob der Geist, in dem solche Reformforderungen vorangetrieben werden, ideologischen Parteiinteressen entspringt oder ehrlich auf das Wohl der Kirche und der Gläubigen gerichtet ist. Also ob er der Einheit und Sammlung dient oder eher spalterisch-verbissen-lagerorientiert ist.
auch sein Zeugnis in der Friedens Thematik ist nicht nur eindeutig und wird immer wieder durch seine Gesten stark beglaubigt..!
in diesem Kontext hat mich die TODESNACHRICHT von DANIEL BERRIGAN sehr getroffen!
ich verdanke dieser ganzen Gruppe (sein Bruder Phillip.Thomas Merten.Dorothy Day. Martin Luther King ua.) wie auch den Cardenal Brüdern, Dom Helder Camara uva… meine eigene religiöse UND politische Sozialisation.
dazu vielleicht noch hier in der BRD Willy Brandt-dieser von innen getragene Gestus des Kniefalls im Warschauer Ghetto- und die Aussöhnungspolitik mit Osteuropa . ja, der stand noch für eine andere SPD..
also, diese Einheit von „Kampf und Kontemplation“ (Frere Roger) ist es auch ,warum ich mich leidenschaftlich dagegen verwahre, wenn diese Einheit in Frage gestellt wird!
DANKE Pater Daniel für Dein Zeugnis!
RIP
http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/006269.html
PS. unser aller Gebet für den kommenden Freitag (Karlspreis) möge Franziskus inspirieren, DIE Worte zu finden, die WIRKLICHEN!! Werte des „Christlichen Abendlandes“ zu formulieren….
„Es war nie langweilig. Halleluja.“
Danke für diesen Link und Hinweis auf Dan Berrigan (… und Dorothy Day und Thomas Merton und…)
Großer persönlicher Gewinn! Merci!