Die Entscheidung, durch Syrien zu wandern, sei in Anatolien gefallen. Vier Pilger sind zur Zeit auf dem Weg nach Jerusalem, zu Fuß, von der Schweiz aus. Und der Fußweg dahin führt nun einmal durch Syrien. Aber jetzt? Heute? Während der Aufstände, oder wie die UNO es jetzt nennt: Während des Bürgerkrieges? Nach eingehenden Beratungen in der Gruppe und nach dem Einholen von Informationen von Botschaft und Journalisten habe man sich entschieden, das Wagnis einzugehen. Die ersten drei Tage sei das gut gegangen. Als es aber in die Nähe von Homs ging, sei der Geheimdienst der ständige Begleiter der vier geworden. Die Pilger wussten ja auch nicht, dass es gerade erst vor einigen Tagen zu Toten in der Region gekommen war. Der Konflikt und Bürgerkrieg fordert Opfer. Und die Pilger zogen hindurch.
Als Pater Christan Rutishauser, einer der vier, mir das alles am Telefon erzählt, klingt es fast tragikomisch, als würden zwei verschiedene Theaterstücke auf der gleichen Bühne aufgeführt: Zum einen eine geistliche Erfahrung, das Wandern von der Zentralschweiz bis Jerusalem, mehrere tausend Kilometer, alles zu Fuß. Zum anderen die politsiche Situation in Syrien, die alles andere als einladend ist, um es vorsichtig zu beschreiben. Das Zusammentreffen dieser beiden Realitäten muss eine Erfahrung der ganz besonderen Art gewesen sein. Pater Rutishauser berichtet davon, wie er von einer Waffe bedroht wurde, von Polizeieinsätzen und der Sorge der Sicherheitsleute, die Pilger könnten Kontakt zu den Menschen vor Ort bekommen. Aber er berichtet auch von den geistlichen Erfahrungen, die gerade dieser Umstände wegen eine ganz besondere Tiefe bekommen hätten.
Ausgerechnet Syrien. Ausgerechnet Jetzt.
Eigentlich darf es keine Kontakte zwischen Syrien und Israel geben, formal sind beide Länder noch im Krieg miteinander, einen Friedensschluss hat es nie gegeben. Die Pilger durften also nicht sagen, dass es nach Jerusalem ging. Es war nicht verwunderlich, dass die Sicherheitskräfte dennoch genau wussten, wen sie vor sich hatten. Wer wochenlang einen Blog im Internet führt, bleibt nicht anonym. Trotzdem haben sie die Pilger gelassen, sie haben nur eine gesichtswahrende Legende gestrickt. Die Leute in den Dörfern hätten gefragt, was denn diese vier Fußgänger da machten. Und die Sicherheitskräfte hätten die Information ausgegeben, dass diese vier christlichen Schweizer auf dem Weg nach Ma’loula seien, einem Wallfahrtsort der syrischen Christen. Ein Kokon aus Fehlinformation, um das Durchlotsen zu ermöglichen.
Die Sicherheitsleute wären immer 150 Meter entfernt im Auto oder auf dem Motorrad gefolgt, sie hätten immer dann interveniert, wenn es zu Kontakten mit der Bevölkerung gekommen sei. Einen Teil der Strecke sei sogar einer mitgelaufen, um eine besonders kritische Region durchqueren zu können. Es war eine Beschattung, sagt Pater Rutishauser, aber auch irgendwie eine Kollaboration zum Schutz der Pilger und zum Schutz des Systems.
Erst also sicher, dann in Begleitung durch Sicherheitskräfte, aber immer noch zu Fuß. In Südsyrien mussten die Pilger dann auf das Laufen verzichten, zu unsicher ist die Gegend. Einige Dörfer sind im Aufstand, andere halten zum System, alles ist unübersichtlich. Ein Bürgerkrieg eben. Man muss auch auf das Verzichten verzichten können, sagt ein geistlicher Sponti-Spruch. In Syrien zeigt sich, wie wahr der ist. Das sich Einlassen auf das Land kann eben bedeuten, dass man der Situation die Kontrolle überlassen muss. Dann ist eben das Taxi der Pilgerort.
Pilgern heißt nun einmal, sich ganz Gott übergeben
Wünschen kann man sich so etwas nicht. Die Gruppe der vier Pilger sei sich selbst nich einig gewesen, ob man das Wagnis eingehen solle. Und im nachhinein, so sagt Pater Rutishauser, mit der Erinnerung einer Waffe am eigenen Kopf, war es wahrscheinlich auch keine so gute Idee. Die Pilgererfahrung, das sich den Umständen aussetzen, das am Rand der Gesellschaft stehen, das alles habe sich in Syrien sehr verstärkt. Und am Telefon klingt das sachlich und reflektiert. Ich kann mir aber nicht vorstellen, was in den Köpfen und Seelen der Pilger vorgegangen sein muss.
Es habe auch Konflikte in der Gruppe gegeben, erzählt Rutishauser weiter, zu viert sei man auch geistlich aneinander gebunden, man wollte und wolle den Prozess gemeinsam durchmachen. Aber Menschen sind Menschen und unter Druck kommen Konflikte, das ist normal. Und ich ertappe mich dabei, dass ich schon fast ein wenig beruhigt bin. Druck, unglaublicher Druch durch Umstände, und die Pilger reagieren wir normale Menschen, durch Konflikt. Das habe den Pilgern noch einmal neu gezeigt, was zueinander stehen bedeute, sagt Rutishauser. Unter anderen Umständen wäre ich versucht, das sofort als Phrase zu enttarnen. Hier ist es keine. Rutishauser erzählt, dass so in Erfüllung gegangen sei, worum man gebetet habe. Ein Satz, der mich erst einmal einen Augenblick sprachlos zurücklässt.
Er sehe das als eine große Gnade, eine Fügung, sagt Rutishauser. Pilgern heiße nun einmal, sich ganz Gott zu übergeben und da könne schon mal so etwas passieren. Aber er fügt gleich an: „In den letzten Tagen sind wir da von Gott mehr erhört worden, als wir und das gewünscht haben“. Trotzdem bereue er das alles nicht. „Im Augenblick, als mir die Pistole an den Kopf gehalten wurde, da schoss es mir schon durch den Kopf, ‚jetzt hast du dich übertan’. Ich hatte überhaupt keine Märtyrergedanken sondern dachte nur, wir haben falsch entschieden.“ Aber keine Reue über den Enschluss. Emotional ist das alles noch ganz nahe, sagt er, und mir am anderen Ende der Leitung stockt etwas der Atem. Diese ruhige Stimme, dieses reflektierte Erzählen und Sprechen, und dann solche Abenteuergeschichten, denn genau das ist es: Eine Abenteuergeschichte, eine geistliche, aber nicht nur.
Pilgern verändert Menschen
Ist das halsbrecherisch? Naiv fromm? Gefährlich für sich selbst und andere? Ja, vielleicht. Aber das ist Pilgern. Das „ich-bin-dann-mal-weg“ Phänomen der Busse und Pauschalpilgerreisen fällt dahinter doch sehr zurück. Nicht jeder muss eine so existenzielle und gefährliche Reise machen, nicht jedes Pilgern muss gleich über ein halbes Jahr dauern, aber es muss etwas auf dem Spiel stehen. Ohne Wagnis kein Pilgern. Wer so wiederkommen will wie er aufgebrochen ist, wer selber die Kontrolle behalten will über das, was geschieht, der pilgert nicht.
Und Weihnachten in Jerusalem
Die vier Schweizer machen jetzt einige Tage Pause in Amman. Und dann geht es weiter, genau zum Weihnachtsfest wolle man im Heiligen Land sein, die Christmette im Kinderhospiz in Betlehem feiern, sagt Pater Rutishauser. Und dann sei eine Konferenz geplant, zwischen den Jahren, dort, in Jerusalem. Das Thema: Wie das Pilgern ein Beitrag zum Frieden und zur Verständigung zwischen den Religionen sein kann.
Ich freue mich, dass ihr bereits so weit gekommen seid und an weihnachten euer ziel erreichen werdet. ich war allein mit dem rad dieses jahr von augsburg, entlang der donau unterwegs nach jerusalem. im südosten der türkei traf ich drei italienische fußpilger, die in zwei halbetappen nach israel wollen. dort musste ich mich entscheiden, ob ich das wagnis eingehen kann allein nach syrien einzureisen. in reyhanli habe ich mich entschieden die grenze zu überqueren. idlib und hama waren kein problem. bereits in hama warnte mich eine nächtliche demonstration, dass die lage problematisch wird. vielleicht ist man zu viert mutiger und übersieht die gefahr. ich habe auf dem weg nach homs erfahren, dass man auch als pilger bestimmte grenzen nicht überschreiten darf. ich stand nach 20 kilometern vor panzern und kam nicht weiter. ich musste zurück. jemand brachte mich mit dem auto an die jordanische grenze. ein paar tage später erreichte ich über irbid das heilige land und machte in nazareth meinen ersten halt und dankte der Hl.Maria für die glückliche und unversehrte ankunft. ja, als pilger muss man etwas wagen und an seine grenzen gehen. ich wünsche euch weiterhin gottes segen, damit ihr nicht nur jerusalem erreicht und die welt davon erfährt, sondern dass es auch ein schritt auf das himmlische jerusalem zugeht. viele grüße hermann rosenkranz