War es eine Falle der Taliban oder war es Kalkül der Westmächte? Die jüngsten Nachrichten aus Pakistan betreffen eine Bombardierung eines pakistanischen Grenzpostens, bei der 24 pakistanische Soldaten ums Leben gekommen waren. Die USA beteuern, dass es ein Missverständnis gewesen sei. Die Regierung Pakistans unterstellte hingegen Absicht und sperrte die Nachschub-Route der Nato nach Afghanistan. Außerdem kündigte sie an, keine Vertreter zur Afghanistan-Konferenz zu entsenden, die am 5. Dezember in Bonn beginnen wird. Wendet sich Pakistan vom Westen vollständig ab? Ist die Regierung innenpolitisch darauf angewiesen, hart zu erscheinen? Oder Trifft das offensichtlich erlittene Unrecht Pakistan so tief, dass man einen Weckruf an den Westen sendet?
Auf jeden Fall ist Pakistan wieder auf der Tagesordnung. Immer wieder gab es in letzte Zeit politische und militärische Geschichten, es gab auch immer wieder Spannungen mit dem anderen Nachbarland, Indien. Was leider auch immer wieder in diesen Berichten aus Pakistan auftaucht, ist die Situation der Christen im Land. Die deutsche Bischofskonferenz hat an diesem Donnerstag ein Informationsheft vorgestellt, „Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit – Pakistan“. So wichtig die politischen und militärischen Bemühungen und das Ringen um Frieden in der Region auch ist, so darf die Gewissens- und Religionsfreiheit nicht der Preis dafür sein.
Die verschiedenen Gesichter der Christenverfolgung
Der Weltkirchenbeauftragte der Bischöfe, der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick, ordnete bei der Vorstellung der Informationen die zunehmende Aufmerksamkeit für Christenverfolgungen weltweit grundsätzlich ein.
„In den letzten Jahren dürfte in der kirchlichen wie der gesellschaftlichen Öffentlichkeit deutlicher als zuvor erkannt geworden sein, dass Diskriminierung, Marginalisierung und manches Mal sogar massive Angriffe auf Leib und Leben von Christen auch nach dem Ende von Ostblock und Sowjet-System nicht vorüber sind. Auch in unseren Tagen ist es an vielen Orten gefährlich und mit einem hohen Preis verbunden, sich zum Christentum und seinen Werten zu bekennen. Man denke an die Lage der christlichen Iraker, von denen viele in den zurückliegenden Jahren ihr Land verlassen mussten. Auch aus Ländern des Maghreb, insbesondere aus Ägypten wurden in jüngster Zeit antichristliche Vorfälle gemeldet.“
Dies beträfe drei verschiedene Bereiche, so Schick. Es beträfe Länder, in denen zwar das Christentum geachtet sei, sobald man sich aber auf Grund seines Glaubens für Menschenrechte einsetze und sich auf die Seite der Armen stelle, sei man gefährdet. Besonders in Lateinamerika hätten Christen in der Vergangenheit einen hohen Blutzoll für ihr gesellschaftliches Engagement entrichtet. Zweitens beträfe das eine Reihe spätkommunistischer Staaten, in denen sich Christen nicht frei bewegen oder die Religion nicht frei ausüben könnten. Religionsfreiheit würde von oben herab gewährt und geregelt, sei aber nicht menschenrechtlich gewährleistet. Drittens nannte er dann die Bedrohung von Kirchen und Christen in manchen islamisch geprägten Ländern.
„Hier macht sich ein erstarkter religiöser Fundamentalismus bemerkbar, der aus dem Wahrheitsanspruch der eigenen Religion einen alleinigen und absoluten Geltungsanspruch in Gesellschaft und Staat ableitet. Islamische Fundamentalisten haben in einigen Ländern auf staatlicher Ebene großen Einfluss gewonnen, sodass Christen durch gesetzliche Diskriminierung zu Bürgern niederen Ranges herabgestuft und an der Ausübung ihres Rechtes auf Religionsfreiheit gehindert werden.“
Von hier aus lässt sich schnell der Bogen nach Pakistan schlagen, wo Christen diskriminiert und benachteiligt würden:
„Sie fühlen sich zu Recht als Bürger zweiter Klasse, denn viele der Benachteiligungen sind in der Islamischen Republik Pakistan gesetzlich verankert: So können z.B. nur Muslime Richter werden oder die Aussage eines Christen hat vor Gericht schon formal weniger Gewicht als die eines muslimischen Bürgers.“
Nervosität im Land
Es fehlt in Pakistan also an Gerechtigkeit, es fehlt aber auch an Stabilität und zudem ist es Schauplatz von tragischen Ereignissen wie dem Bombardement durch us-amerikanische Soldaten. Wie nervös das Land ist, kann man außerdem an zwei Vorfällen ablesen, die die Medien des Landes betreffen.
So haben TV-Kabelanbieter in Pakistan den britischen Sender BBC an diesem Donnerstag aus dem Netz genommen: „Seit Mitternacht zeigen wir die BBC nicht mehr”, sagte der Sprecher des Kabelbetreibers in Islamabad, Sahid Khan. Mit der Aktion protestieren die Kabelanbieter gegen einen zweiteiligen Dokumentarfilm zur Rolle von Regierung und Militär im Kampf gegen radikal-islamische Extremisten wie die Taliban.
Der zweite Vorfall ist fast schon komisch zu nennen, es geht um eine Liste mit 1.700 Begriffen. Mobilfunkbetreiber sollten sms unterdrücken, in denen diese Begriffe vorkommen, so die vorläufige Absicht der Telekommunikationsbehörde des Landes. Auf der Liste stand unter anderem „Jesus Christus“. Die Mobilfunkanbieter waren angewiesen worden, sms mit einem der 1.700 Begriffen „im Interesse des Ruhmes des Islam” nicht mehr zu übermitteln. Tragikomisch klingt das für westliche Ohren, da sich auf der Liste auch Begriffe wie „Idiot“ oder „Fußpilz“ befanden.
Erst nach einer Intervention des Ministers für religiöse Minderheiten, Akram Gill, bei der Behörde und bei seinen Kabinettskollegen wurde das Verbot aufgehoben. Gill ist selbst Christ.
Die Blasphemiegesetze
Die Nervosität ist mit Händen zu greifen, die Ausbrüche auch. Ein Ventil der Ausbrüche ist der sogenannte Blasphemieparagraf dar, Paragraf 296 aus dem pakistanischen Gesetzbuch, der Schmähungen des Koran und des Propheten, aber auch Schändung religiöser Stätten unter harte Strafen stellt.
Dieser Paragraf hat im letzten Jahr traurige Berühmtheit erlangt, der Fall Asia Bibi hat immer wieder die Öffentlichkeit beschäftigt, er ist zu einem Symbolfall für all die Christen geworden, die diesem Paragrafen zum Opfer gefallen sind. Bibi ist das erste weibliche Opfer der Blasphemie-Gesetze Pakistans.
Die Geschichte der Asia Bibi
„Unser Christus ist der wahre Prophet Gottes, nicht euer Mohammed”, soll die Christin Asia Bibi zu ihren Arbeitskolleginnen gesagt haben. Diese sollen zuvor versucht haben, sie zum Konvertieren zu bewegen. Bibi selbst bestreitet diese Aussage, ihre Kolleginnen hätten sie diskriminiert, sagt sie. Das Ganze spielte sich an einem Brunnen ab, es ging unter anderem auch um die Frage, ob eine Christin beim Trinken den Brunnen verunreinige. Was genau damals geschah, im Juni 2009, bleibt unklar. Nachdem der Streit aber zu eskalieren drohte und sich auch die Männer des Dorfes einmischten, wurde die junge Mutter zunächst zum Schutz vor den aufgebrachten Dorfbewohnern in Gewahrsam genommen. Aus der Schutzhaft wurde aber schnell etwas anderes: Sie wurde der Blasphemie angeklagt.
Seit über zwei Jahren lebt sie nun schon in einer kleinen Zelle im Sheikhupura-Gefängnis in Lahore. Im Oktober 2009 begann der Prozess, am 8. November 2010 fiel dann das Urteil: Tod durch Erhängen. Seitdem ist ihre Zelle eine Todeszelle. Der Richter sprach von der klaren Schuld der Christin.
Nach der Verurteilung äußerten sich schnell internationale Stimmen, beginnend mit den Medien wie der britischen Zeitung Observer, über die Menschenrechtsbeauftragten verschiedener Regierungen bis zu Politikern im eigenen Land: Shahbaz Bhatti, ein Christ und damals pakistanischer Minister für Minderheiten, und Salman Taseer, ein Muslim und damals Governeur des Punjab, setzten sich für sie ein. Taseer besuchte sie auch im Gefängnis, ohne Erfolg. Beide Politiker wurden ermordet. Auch Papst Benedikt XVI. bezog sehr bald nach dem Urteil Stellung. In der Generalaudienz am 17. November 2010 forderte er die rasche Freilassung Asia Bibis. Zugleich äußerte sich der Papst besorgt über die schwierige Situation der Christen und bat die internationale Gemeinschaft um Unterstützung.
Asia Bibi erzählt ihre Leidensgeschichte in dem Buch „Blaspheme“. Weil sie aber in Isolationshaft sitzt und Analphabetin ist, hat die Journalistin Anne-Isabelle Tollet die Geschichte aufgeschrieben. „Asia Bibi hat das Buch mit ihrer Stimme geschrieben. Ich war nur der Stift“, sagt die Französin, die für den TV-Sender „France 24“ als Korrespondentin in Pakistan war. Die Stimme von Asia Bibi hat Tollet nie gehört. „Die Behörden haben mich nicht zu ihr gelassen“, sagt Tollet. „Sie wollen verhindern, dass internationale Medien über Asia Bibi berichten.“ Ihre Fragen hat Tollet über den Ehemann übermittelt. Das fertige Manuskript wurde Asia Bibi von ihrem Anwalt vorgelesen.
Vermittelt durch den Mann von Asia Bibi spricht Tollet von einer winzigen, fensterlosen Zelle ohne Hygiene oder medizinische Versorgung, und von Folter. Unter dem Titel „Rettet mich! – Zum Tode verurteilt wegen eines Bechers Wasser“ ist das Buch auch auf Deutsch erhältlich. Tollet ist überzeugt: „Internationale Aufmerksamkeit ist die einzige Hoffnung, Asia Bibis Leben zu retten.“
Die christliche Organisation The Voice of the Martyrs (VOM) sammelt Unterschriften, um Asia Bibi vor der Vollstreckung des Urteils zu bewahren. Fast eine halbe Millionen Menschen haben bereits unterzeichnet. Auch sie zählen auf die internationale Öffentlichkeit, um das Leben Asia Bibis zu retten.
Während Asia Bibi in ihrer Zelle eingesperrt ist, wird der von einem Antiterrorgericht zum Tode verurteilte Mörder von Gouverneur Taseer, Mumtza Qadri, von den Radikalen als Volksheld gefeiert. Die Berufung Qadris gegen sein Todesurteil wurde vom Hohen Gericht in Islamabad umgehend angenommen – während über den schon vor einem Jahr gestellten Berufungsantrag Asia Bibis noch nicht entschieden ist.
Ein Gesetz von 1860
Gegner werfen dem Gesetz vor, es werde oft für persönliche Vendettas oder Landstreitigkeiten missbraucht, habe also nichts mit Religion zu tun. Ironie der Geschichte: Die britischen Kolonialherren hatten das Gesetz 1860 eingeführt, um den Religionsfrieden zu gewährleisten. 1980 wurde das Gesetz von Präsident Zia-ul-Haq wieder verstärkt angewandt, um seinen Vorstellungen eines islamischen Staates, regiert von der Sharia, näher zu kommen. Prälat Klaus Krämer, Präsident von Missio in Aachen, erläutert die Dramatik der Entwicklung:
„Waren in der Zeit von 1929 bis 1982 in Pakistan nur neun Blasphemiefälle vor Gericht verhandelt worden, sind es seither mehr als tausend Fälle. Die Christen waren – bezogen auf ihren Bevölkerungsanteil von gerade 2,3% – mit 180 Fällen überproportional betroffen. Und tatsächlich ist das Blasphemiegesetz heute das größte Problem für die Christen in Pakistan.“
Problem aber nicht nur, weil es sich ausschließlich gegen Nichtmuslime richtet. Ein Problem ist auch das Verfahren, wie es zu einem möglichen Schuldspruch komme, so Krämer:
„Das Perfide ist jedoch, dass in zahlreichen Fällen, in denen diese Vorschriften angewandt worden sind – z.B. auch im Fall Asia Bibi – überhaupt keine entsprechenden konkreten Handlungen gegeben waren. Asia Bibi soll im Gespräch mit anderen Landarbeiterinnen schlicht ihre Religion und ihren Religionsstifter, Jesus, positiv dargestellt haben. Das wurde ihr dann dahingehend ausgelegt, dass sie durch Unterstellung, Anspielung oder versteckte Andeutung den heiligen Namen des Propheten geschändet habe – so beschreibt Artikel 295-C den unterstellten Tatbestand. Das Ergebnis ist bekannt, Asia Bibi wurde zum Tode verurteilt. Bei entsprechender Anwendung kann man die Gesetze problemlos missbrauchen, um persönliche Rache zu üben oder „offene Rechnungen“ zu begleichen. Einmal ist der von einer minderjährigen Schülerin falsch geschriebene Name des Propheten Anlass für ein Verfahren, das mit der Todesstrafe enden kann; einmal eine heruntergefallene Visitenkarte eines Geschäftspartners, der den Namen des Propheten trägt. Daraus einen Fall für die Gerichte zu machen, ist angesichts der Blasphemiegesetze leicht möglich.“
Initiative für die Politik und in die Kirche
Bei der Pressekonferenz ging es aber nicht nur um Zuweisungen, es ging auch um Differenzierungen. Noch einmal Erzbischof Ludwig Schick.
„Zum einen trifft die allgemeine Benachteiligung nicht allein Christen in Pakistan. Hindus, Buddhisten und andere religiöse Minderheiten sind von der religiösen Intoleranz und Gewalt ebenso betroffen, wie manche islamische Gruppe, die nicht zur Hauptströmung des Islam in Pakistan gehört. Zum anderen darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Christen in weiten Teilen des Landes unbehelligt leben und arbeiten können. Auch besteht weitestgehend Freiheit des Kultes, d.h. dass es Christen überall erlaubt ist Gottesdienst in ihren Kirchen zu feiern. Allerdings leben die Christen – wie alle religiösen Minderheiten – in einer ständigen Rechtsunsicherheit und in der Angst vor Übergriffen und Beschuldigungen.“
Die Initiative der deutschen Kirche Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen wolle Öffentlichkeit herstellen, sie wolle Bewusstsein und Wahrnehmung verändern. Deswegen führe man an diesem Donnerstag auch Gespräche mit Vertretern der Bundesregierung und Bundestag.
„Wir wollen aber auch einen Impuls in die Kirche hinein geben. Denn als Christen, die in unserem Land in gesicherter Freiheit leben, sind wir in besonderer Weise verpflichtet, denen, die wegen ihres Glaubens bedrängt werden, zur Seite zu stehen. Dies nimmt, um keine Missverständnisse entstehen zu lassen, nichts weg von der Solidarität, die wir Christen allen Opfern ungerechter Gewalt schulden. Aber wie sollte diese umfassende Solidarität glaubhaft sein, wenn wir uns nicht einmal an die Seite der eigenen Mitgläubigen stellen?“
Quellen: pm, tv24, Radio Vatikan
Ironie der Geschichte oder die Versuchung des Bösen, der den Glaubenden mit den eigenen Worten (Gesetzen) schlägt oder schlagen möchte. So möchte ich im Blick auf Ihren Bericht von der Mittwochskatechese sagen: wenn wir in der inneren Gemeinschaft mit dem Vater sind, wie Christus so dürfen wir im Gebet “mit dem ganzen Volk ” beten zu widerstehen, wie Christus widerstanden hat. Danke für diesen schönen Bericht, er hat mir den Blick geöffnet wie wichtig es ist mit der ganzen Gemeinschaft der Gläubigen, im Gebet einzutreten für die, die in Bedrängnis sind. Die Verfolgten und die Verfolger.