Christsein heute – Gedanken zu einem Papstschreiben, Teil 4
Heiligsein ist ein Lebensstil, oder wie ich bisher gesagt habe: Christsein ist ein Lebensstil. Nicht nur eine innere Haltung, nicht nur eine Frömmigkeit oder ein Glaube oder eine Überzeugung, sondern auch Ausdruck. Lebensstil eben.
So beginnt Papst Franziskus Kapitel Vier seines Schreibens Gaudete et Exsultate, über die Heiligkeit. Und nachdem der Papst die Schritte zu Einsicht und Aufbruch erläutert hat, geht es nun um Hilfen. Er nennt es „fünf große Bekundungen der Liebe zu Gott und zum Nächsten“, die besonders hilfreich sein können in einigen uns umgebenden Gefahren, nämlich „die nervöse und heftige Unruhe, die uns zerstreut und schwächt; die negative Einstellung und die Traurigkeit; die bequeme, konsumorientierte und egoistische Trägheit; der Individualismus und viele Formen einer falschen Spiritualität ohne Gottesbegegnung, die den aktuellen Religionsmarkt beherrschen“ (111).

Nun muss man das nicht als religionssoziologische Analyse begreifen, aber als Deutung gegenwärtiger Phänomene tragen diese Aussagen des Papstes.
Was also hilft? Der Papst greift fünf Bereiche auf.
„Das erste dieser wichtigen Merkmale ist, auf Gott hin, der uns liebt und trägt, zentriert und in ihm gefestigt zu sein“ (112). Was das bedeutet, kann man gut vom Gegenteil her verstehen. Verbale Gewalt im Internet – auch unter Katholiken – Verleumdung und Geschwätz, sich zum Richter über andere aufwerfen: das ist genau das Gegenteil davon, sich von Gott getragen zu wissen.
Nicht dagegenhalten
Das Böse soll durch das Gute besiegt werden, nicht durch Gegengewalt. Hier geht es darum, wie wir mit den Dingen umgehen, die gegen uns stehen, die unangenehm sind, die vielleicht sogar aggressiv sind. An einer anderen Stelle hat der Papst ausführlich eine Methode des Umgangs dazu beschrieben, der Kern bleibt aber dieser: Nicht dagegenhalten, sondern demütig sein. Was durchaus nicht immer angenehm ist, gibt der Papst zu. Aber: „Eine solche Haltung setzt ein durch Christus befriedetes Herz voraus, befreit von dieser Aggressivität, die aus einem überhöhten Ich hervorgeht“ (121).
Das zweite Mittel ist da auf jeden Fall angenehmer: „Freude und Sinn für Humor“. „Das bisher Gesagte impliziert nicht einen apathischen, traurigen, säuerlichen, melancholischen Geist oder ein schwaches Profil ohne Kraft. Der Heilige ist fähig, mit Freude und Sinn für Humor zu leben“ (122).
Die Freude ist theologisch gesehen klarer gefasst, der Sinn für Humor begleitet sie aber, wenn man das wirklich auch leben will. Humor befreit. Und hier liegt die Verbindung zum ersten Mittel: dem befreiten Herzen.
Humor befreit
Wagemut und Eifer sind Mittel Nummer Drei in der Papst-Liste. Das entspricht dem aus-sich-heraus-gehen, das es für eine missionarische Kirche braucht. Dienst und Verkündigung und Nachfolge und all diese christlichen Begriffe setzen voraus, dass ich nicht da bleibe, wo ich bin. „Wir brauchen den Anstoß des Heiligen Geistes, um nicht durch Furcht und Berechnung gelähmt zu werden, um uns nicht daran zu gewöhnen, nur innerhalb sicherer Grenzen unterwegs zu sein“ (133).
Dass es nur normal ist, sich erst mal nach einem sicheren Ort umzusehen, weiß auch der Papst, und er hat auch gleich eine Liste mit Namen parat, wie dieses Bedürfnis nach Sicherheit heißen kann: „Individualismus, Spiritualismus, Einschließen in kleine Welten, Abhängigkeit, Sich-Einrichten, Wiederholung bereits festgelegter Schemata, Dogmatismus, Nostalgie, Pessimismus, Zuflucht zu den Normen“ (134).
Gott ist „Neuheit“
Gott ist aber immer „Neuheit“, ist immer „Aufbrechen“, hat nie Angst. „Deshalb werden wir, wenn wir es wagen, an die Ränder zu gehen, ihn dort antreffen, er wird schon dort sein“ (135).
Wagemut und Eifer bringen uns also zu Gottesbegegnung.
Nummer Vier: Gemeinschaft. „Die Heiligung ist ein gemeinschaftlicher Weg, immer zu zweit“ (141). Oder noch mehr. Gemeinschaften schaffen göttliche Orte, sagt das Papst, hier wird die Gegenwart des Auferstandenen erfahrbar. Also auch hier: Gottesbegegnung.
Für die Gemeinschaft reserviert der Papst – wie schon in Evangelii Gaudium – das Wort „Mystik“. Sie ist nichts individuelles, sondern etwas was „darin liegt, zusammen zu leben, uns unter die anderen zu mischen, einander zu begegnen, uns in den Armen zu halten, uns anzulehnen, teilzuhaben an dieser etwas chaotischen Menge, die sich in eine wahre Erfahrung von Brüderlichkeit verwandeln kann, in eine solidarische Karawane, in eine heilige Wallfahrt“ (EG 87). Ähnlich nun hier: „Daraus erwachsen auch echte mystische und in Gemeinschaft gelebte Erfahrungen“ (142).
Es ist der Alltag
Achtung: nicht ins Gefühlige abheben. Gemeinschaft besteht aus Alltag: „Die Gemeinschaft, die die kleinen Details der Liebe bewahrt, wo die Mitglieder sich umeinander kümmern und einen offenen und evangelisierenden Raum bilden, ist Ort der Gegenwart des Auferstandenen“ (149).
Oder anders ausgedrückt: sie entspricht dem Heilsplan Gottes.
Und abrundend dann Mittel Nummer Fünf: Kommunikation. Oder genauer: Kommunikation mit Gott, also Gebet. Ein Christ oder eine Christin ist jemand der über die Immanenz der Welt hinausdenkt, -spricht, -geht. „Ich glaube nicht an eine Heiligkeit ohne Gebet“ (147), so der Papst.
Fünf Mittel
Das heißt aber nicht, dass mehr Gebet(-szeit) oder tiefere Gefühle automatisch mehr Christsein bedeutet. Aber diese Momente sind wichtig, für alle, nicht für ‚Gebetsprofis‘ wie Ordensleute. Die Welt kommt zum Schweigen und wir hören auf Gott. Als Gegengewicht gilt: „Ich bitte aber, dass wir das betende Schweigen nicht als eine Flucht verstehen, welche die Welt verneint, die uns umgibt“ (152). Das gibt uns den Ort des Gebets: in der Welt, im Alltag, für unser Leben, nicht als Ausstieg.
Fünf Mittel für die Heiligkeit, bzw. zum Christsein, die dem Papst besonders wichtig sind und „die nicht fehlen dürfen“. Mit ihnen begegnen wir der Welt in uns und um uns herum, und mit ihrer Hilfe kann und soll es gelingen, das eigene Christsein zu leben. Mit Gottes Hilfe.
Angst ist grundsätzlich eine Funktion der Langeweile. Angst ist in der Regel Erwartungsangst künftiger Schmerzen. Todesangst ist die Angst in Erwartung des Todes. Die Antike sah die Todesangst als unsinnig an. Solange der Tod nicht da ist, ist es unsinnig Angst zu haben, wenn er eingetreten ist es nochmals mehr. Die Arria stieß sich den Dolch in den Leib und reichte ihn weiter: „Paete, non dolet“ (Paete, es tut nicht weh)