Gedanken zur Fastenzeit, 5
„Hütet euch also vor unnützem Murren und verwehrt eurer Zunge das Verleumden! Denn euer heimliches Reden verhallt nicht ungehört und ein Mund, der lügt, tötet die Seele.“ So steht es im Buch der Weisheit (1:11). Wessen Seele? möchte ich nachfragen und gleich vermuten, die eigene sowie die des Angelogenen gleich mit.
Lügen zersetzt Gesellschaft, hat Papst Franziskus in seiner Botschaft zum Thema aus dem Januar diesen Jahres gesagt. Gemeinschaft ist Kommunikation, Kommunikation ist Gemeinschaft, und wer das kontaminiert, zersetzt das andere gleich mit.
Es gibt keine Notlügen
Schon in meiner Zeit in der Jugendseelsorge habe ich mich immer vehement gegen die Ausrede der so genannten „Notlüge“ gewandt. Die gibt es nicht. Lüge ist Lüge. Oder in den Worten des Papstes: „keine Desinformation ist harmlos. Im Gegenteil: dem zu vertrauen, was falsch ist, hat unheilvolle Folgen. Schon eine scheinbar leichte Verdrehung der Wahrheit kann gefährliche Auswirkungen haben.“
Aber was ist das genau, die Wahrheit? „Wahrheit hat mit dem ganzen Leben zu tun“, sagt der Papst, nicht nur mit der Übereinstimmung von Worten und Fakten. „In der Bibel hat sie auch die Bedeutung von Stütze, Beständigkeit, Zuversicht, worauf schon die Wurzel ‘aman schließen lässt, von der sich auch das liturgische Amen herleitet. Die Wahrheit ist das, worauf man sich stützen kann, um nicht zu fallen.“
Worauf man sich stützen kann
Was dann auch erklärt, wieso Jesus davon spricht, die Wahrheit zu sein. „Ich bin die Übereinstimmung von Fakt und Aussage“ wäre ziemlich schräg. Auf Wahrheit bauen wir auf, auf sie verlassen wir uns.
Im Mai wird es deswegen einen Welttag der sozialen Kommunikation geben, eine „kirchliche Mahnwache für alle Blogger, Facebooker und Instagram-User“, wie der Journalist Stefan Cornelius das nennt. Gelegenheit, uns das noch einmal gut durch Kopf und Herz gehen zu lassen.
Lügen, bewusst eingesetzt, sind nichts wirklich Neues in der Welt der Menschen, sei es zwischen Staaten, sei es in Familien. Aber im Augenblick scheint es durch die Dauerbeschallung durch Medien und durch die Dauerpräsenz von Bild und Bildschirm epidemisch zu werden.
Wir alle sind dem ausgesetzt. Ein Fastengedanke für die kommenden Tage: genauer hinschauen und überlegen, wo da die Wahrheit drin steckt.
Aber gewiß gibt es nicht verwerfliche Lügen in einer Notlage, wenn man dadurch z.B. einen Unschuldigen schützt oder ihm gar das Leben rettet: http://www.deutschlandfunkkultur.de/luegen-und-luegen-lassen-warum-die-wahrheit-nicht-immer-der.1278.de.html?dram:article_id=349511
Da kann es aber zu Abgrenzungsproblemen kommen.
Was z.b. wenn man den Wahlerfolg eines Politikers, der im Amt dann vermutlich einen Krieg beginnen wird, durch Lügen verhindern kann? Und nach der Wahl keine aussichtsreiche Möglichkeit mehr hätte, die Kriegstreiberei zu unterbinden?
Dann ist aber durch die Lüge gleich alles kontaminiert. Lüge bleibt Lüge.
Dann wäre kein Unterschied zwischen der von Theodorus erwähnten Lüge zur Rettung eines Unschuldigen und der von mir eingebrachten Lüge zur Verhinderung eines Krieges und beides wäre zu unterlassen (und das schreibe ich jetzt einfach nur so als Feststellung, ohne es irgendwie werten zu wollen).
Pater Hagenkord,
woher stammt eigentlich der Fake von der „ignazianischen Notlüge“??
DANKE für Auskunft!
Das verstehe ich jetzt nicht. Was ist die „ignatianische Notlüge“?
….ich ja auch nicht…
mag mich aber erinnern, dass dieser „Begriff“ immer dann benutzt wurde, wenn eine Lüge das sog.“kleinere Übel“ sei.
aber offensichtlich war das lokal bei meiner damaligen „katholischen“ Schule“ beheimatet..
da gab`s allerdings auch „Kleriker“ die-warum auch immer- ein Vor-Urteil Jesuiten gegenüber hatten..
So ist mir das tatsächlich neu, obwohl ich eigentlich meine, sämtliche Vorurteile Jesuiten gegenüber zu kennen. Vielleicht kommt es aus dem Vorwurf, Jesuiten glaubten, der Zweck heilige die Mittel. Der geistert ja schon seit Jahrhunderten herum.
Na, ich find das nicht: Schweigen kann ja manchmal auch schon Lüge sein. Immer die Wahrheit zu sagen, kann auch sehr anstrengend werden. Ich selbst hab da in der Familie so einen Fall: ein echter Wortverdreher. Der Typ bringt mich manchmal an den Rande des Wahnsinns. Ein echter kleiner Teufel. Da ist es nur Selbstschutz auch mal das zu sagen, was diese Person eben hören will – und, ja, da muss man manchmal schon auch etwas lügen. Das fällt dann echt unter Selbstschutz – keine Ironie.
Mit einer ehemaligen Krankenschwester und Leiterin einer Schwesternschule hab ich genau mal darüber geredet: „Muss man immer die Wahrheit sagen?“ Und manchmal ist es eben humaner und mitfühlender, den Mund zu halten oder sogar zu lügen. Die Frau hat über Jahrzehnte Erfahrung mit Patienten machen können.
Es kommt halt auch oft drauf an, in welchem Stil man miteinander kommuniziert. Und: Wahrheit ist halt auch Klartext – tut oft weh.
Mit Leuten, die normal sind bzw. gesundheitlich und seelisch stabil sind, geht das gut. Aber viele Leute sind oft nicht so wirklich normal und mit sich im Reinen.
Es gibt mehr Wracks als man glaubt.
Wie es die Notwehr gibt, so gibt es die Notlüge. Und wenn die Notwehr wirksam durch eine Notlüge erfolgen kann, bleibt der tatsächliche Schaden, der bei der Abwehr geschieht, in der Regel verschwindend gering. Eine plakative Behauptung, es gäbe keine Notlügen, ist fern menschlicher Erfahrung.
Mir geht es nicht um abstrakte und philosophische Erwägungen. Das geht an menschlicher Erfahrung vorbei. Ich habe das Beispiel gebracht, weil sich zu viele Menschen hinter der Aussage verstecken, dies oder das sei schließlich „nur“ eine Notlüge. Lüge ist Lüge, und Notwehr bleibt Gewalt. Erlaubt hin, gerechtfertigt her, wir müssen die Dinge sehen, wie sie sind.
Und die ganzen Beispiele von wegen was würden Sie hierzu sagen oder dazu, die bringen doch nichts.
Ich denke das ist ein Problem der klaren Definition für das Wort Lüge, denn, wer darin bereits nach einer Rechtfertigung sucht, der geht doch schon in die falsche Richtung?!
Lüge ist für mich die Negation von Wahrheit.
Dann muss man aber auch „Wahrheit“ definieren.
Und welcher Mensch kennt die schon?
Selbst in den Naturwissenschaften gibt es „Wahrheiten“, die gerade niemand hinterfragt, die irgendwann falsifiziert werden.
Wenn jemand die absolute Wahrheit kennen würde und mit einem ebenso klugen Menschen kommunizieren würde, ja, dann dürfte man nicht lügen. Dann wäre Lüge schlecht.
Aber da die Realität anders aussieht, ist auch „Wahrheit“ etwas, was wir je nach Situation und Gegenüber im Gespräch anders „formulieren“ müssen.
In den Naturwissenschaften spricht man selten von Wahrheit. Eben genau weil es um Hypothese, Modell und Falsifizieren geht.
Ok, gut: ein Stück näher am Begriff „Wahrheit“ dran. In den Naturwissenschaften gibt es diesen Begriff(!) anscheinend nicht. Trotzdem verifiziert und falsifiziert man dort. Ich finde aber, dass das Höhlengleichnis von Platon eben nach wie vor gilt und darauf wollt ich eigentlich raus.
Ist zwar wiederum aus dem Bereich der (unrealistischen!?) Philosophie, stimmt aber schon.
Die Frage ist doch auch die: Gibt es je nach Wissensgrad eines Menschen verschiedene Stufen von „Wahrheit“ und eben Wertesysteme?
Ich weiß nicht ob man das jetzt so versteht.
Aber irgendwie ist „Wahrheit“ etwas tatsächlich relatives und der Mensch nie ganz mündig bzw. völlig zu verurteilen. Er ist eben ein beschränkte und oft gebrochenes Subjekt.
Nicht jeder versteht die Bibel eben gleich gut, oder? Da sind Wahrheiten drin, die Christen als absolut ansehen. Aber verstehen muss man diese Wahrheiten erst mal. Und oft werden sie missverstanden.
Noch eine kleine Anmerkung – mich beschäftigt das jetzt echt:
Wieso gibt es Menschen, denen Gott Offenbarungen schenkt? Was ist an denen anders als an den anderen?
Ich denke, die sind – gemäß meinen Ausführungen oben – einfach fähiger Wahrheit zu ertragen bzw. in einer, sag ich einfach mal, „höheren Stufe von Erkenntnis“ Regeln noch einzuhalten ohne sich zu verfehlen.
Vielleicht könnte man es so formulieren: „Je mehr der Mensch echte ,Wahrheit‘ erkannt hat, desto mehr Disziplin verlangt sie ihm ab.“
Da muss ich irgendwie wieder an den Sündenfall denken, an den „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“.
Und ich muss noch an was denken: Dass der liebe Gott (man kann den Begriff jetzt blöd finden) eben jedem nur so viel aufbürdet, wie er oder sie ertragen kann. Ich denke, dass das Wissen um die volle Wahrheit echt überfordern kann. 🙂
Wie könnte Wahrheit absolut sein, dann wäre sie ja endlich und hielte keine Überraschungen mehr für uns bereit. Ich glaube, solange Menschen glauben ihr Leben stünde in einer persönlichen Vorstellung von Unendlichkeit, solange kann ich mich persönlich über die Wahrheit definieren, die an Gott festhält was ihr Gewissen zulässt. Gott hat Jesus als Vater der Menschheit ganz klar in den Raum gestellt und über die Zeit definiert, was dieser Würde mit dem Evangelium zu Grunde gelegt ist. Solange wir uns Mensch nennen und nicht im Affen nach seiner höheren Erkenntnis suchen kann ich ruhig schlafen.
Ich habe keine Lust dazu mein Leben auf die Annahmen von Menschen zu bauen, die sie fast täglich einem Status anpassen müssen, der sie in ihren Annahmen einholt. Da lege ich meinen Glauben lieber in der Beständigkeit Gottes an und nehme mir seine Worte zu Herzen, um daraus das zu schöpfen, was mir als Mensch möglich ist, weil ich darin eine Gemeinschaft empfinden kann, der ich mich sehr verbunden fühle.
Pardon, aber absolut ist das Gegenteil von endlich.
„Naturwissenschaftliche Sätze haben nicht den Charakter absoluter Wahrheiten. Physiker arbeiten approximative Richtigkeiten heraus; allerdings ist diese Approximation manchmal so zuverlässig, dass man meint, damit habe man etwas Wichtiges erkannt – ob man dies nun „wahr“ nennen will oder „brauchbar“, ist mehr eine Frage der Terminologie. Doch gegenüber einer kritischen Öffentlichkeit ist es wichtig, zu betonen, dass dieser Grad an Zuverlässigkeit jedenfalls sehr viel personenunabhängiger ist als in irgendeinem anderen Bereich menschlicher Tätigkeit.“ (Jürgen Ehlers aus https://www.spektrum.de/magazin/die-wahrheit-in-der-wissenschaft/827796)
Kann die Lüge wirklich die Seele töten, tot machen, zu einem Nichts machen, wie es die Überschrift behauptet? Ich meine, wenn die Seele göttlichen Ursprungs ist, d.h. den Geist Gottes empfangen hat und von dessen ungeschaffenen Wirkkräften ergriffen worden ist, dann halten diese Kräfte jeden Beseelten so stark, dass er jederzeit zu ihnen zurückkehren kann, soweit er auch abgeirrt sein mag, ja selbst, wenn er das Geschenk der bedingungslosen Liebe Gottes in seinem Leben mit Füßen getreten hat. Die Seele kann nicht durch Lüge vernichtet werden!
Die Überschrift stammt wie Sie gelesen haben aus der Bibel, aus dem Buch der Weisheit. Das ist kein Handbuch für Metaphysik, es geht hier um die Beziehung zu Gott. Natürlich negiert die Bibel nicht die Gnade Gottes, die größer ist als alle Sünde. Aber genauso wenig darf man die Worte nicht ernst nehmen.
Da bleibt dann noch die Schwierigkeit, was man in der Bibel mehr ernst nehmen sollte: eine deontologische oder konsequentialistische Betrachtung der Lüge. Es kommt ja in den Büchern beides vor wie die hier zitierte Einsicht und z.B. die Lügenlist des ‚Fersenhalters‘, der sich hat segnen lassen und von Gott selber gesegnet wurde.
Wenn man alles, was in der Bibel steht, auf Sätze und Regeln runterbrechen will, der wird scheitern. So funktioniert die Bibel nicht. Deontologisch oder konsequentialistisch: darauf gibt die Schrift keine Antwort.
Das Buch der Weisheit (und das daraus entnommene Zitat) hat zentral den vor Gott Gerechten und nicht den von Gott Geliebten vor Auge. Die Lebenshaltung des vor Gott Gerechten unterscheidet sich aber gerade darin, dass er sein Handeln in der Welt deontologisch, als Pflichtethik, sieht und nicht wie ein von Gott Geliebter konsequentialistisch, als Verantwortungsethik, gleichsam einer Antwort auf diese Liebe. Das hat mit einem ‚Runterbrechen auf Sätze und Regeln‘ herzlich wenig zu tun.
Doch, hat es. Sie möchten eine mehrer tausend Jahre alte Weisheitsschrift, die auf langer Tradition aufruht, in moderne philosophische Begriffe fassen. So funktioniert Bibel nicht.
Selbst wenn man philosophisch-gesellschaftliche Begrifflichkeiten außen vor lässt, wird man doch erkennen, dass das im Buch der Weisheit in weiten Passagen vorgestellte Gottesbild in vielerlei Hinsicht vom jesuanischen abweicht. Das im Detail herauszuarbeiten wäre sicherlich eine lohnende Aufgabe für einen Bibelkreis oder eine theologische Seminararbeit.
@Theodoros:
Woher die Gewissheit nehmen, dass zwischen deontologischer und konsequentialistischer Betrachtung überhaupt ein Unterschied besteht?
Wenn der Bruch der göttlichen Gebote die ewige Verdamnis bedeuten kann, dann sind beide Betrachtungsweisen letztlich völlig übereinstimmend.
„Die Seele kann nicht durch Lüge vernichtet werden!“
Die ewige Verdamnis wäre auch kein Spaß.
@carn: Der deontologisch Gerechte würde in der ‚ewigen Verdamnis‘ mit Gott hadern, der konsequentialistisch Geliebte die Hoffnung nicht aufgeben, dass auch die Hölle irgendwann wie ein Schwarzes Loch verdampfen wird.
Das Lesen der Bibel kann auch nicht ‚funktionieren‘, sondern nur glücken.