Als Jorge Mario Bergoglio 1986 nach Deutschland kam, hatte er das Projekt einer Promotion im Kopf. Die Idee war, in Frankfurt über Romano Guardini zu arbeiten, einen in Italien geborenen deutschen Denker, Religionsphilosophen und Theologen. Schon während seiner Noviziatszeit habe er eine Ausgabe von Guardinis „Der Herr“ auf dem Bücherbrett stehen gehabt, berichten Mit-Novizen.
Guardini geht es um die konkrete Welt. „Der Gegensatz“ müht sich um einen Weg, das Konkrete erfassen zu können, es wissenschaftlich behandeln zu können ohne es in den abstrakten Begriff aufzugeben, also es konkret zu belassen. Das ist die Idee hinter seinem Projekt. Es ist ein „existenzielles“ und zugleich sehr „praktisches“ Anliegen, wenn man philosophiegeschichtliche Kategorien aufkleben will.
„Gegensatz“ darf dabei nicht mit „Widerspruch“ verwechselt werden, genau hier liegt der Punkt. Es geht um eine Wechselwirkung, wie er später, nachdem er schon aus Deutschland zurück war, in einem Vortrag erklärt.
Einen „Gegensatz“ nennt er, wenn zwei Momente einander ausschließen und doch wieder verbunden sind und einander geradezu voraussetzen, wie er schreibt. Statik und Dynamik sind so ein Gegensatzpaar, Dauer und Strömen, Stand und Wandel, Einzelheit und Ganzheit, Schaffen und Verfügen. Das eine kann ohne das jeweils andere nicht sein. „Nicht Synthese also zweier Momente in einen dritten“, das ist Guardini ganz wichtig. Die Gegensätze bleiben Gegensätze.
Gegensatz, nicht Widerspruch
Guardini beginnt immer damit, dass er fragt, als was sich das Leben selber erfährt. Als Zusammenhang, als gegliedert, als Handeln, als bezogen und so weiter. Und von dort aus sucht er das Gegensatzpaar, was dem entspricht. Dass er mit der Frage nach dem Lebendigen beginnt, hat mit der Ausgangsfrage zu tun, wie oben angedeutet. Er will das „lebendig Konkrete“ fassen. „Das Konkret-Lebendige ist als Einheit gegeben. Aber als eine Einheit, die nur in dieser Weise, als gegensätzliche, möglich ist,“ wie er sagt.
Die Gegensätze lassen sich nicht logisch fassen, also in Begriffe, denn es handelt sich ja um das Lebendige. Sie lassen sich nur beschreiben und ansprechen. Sie lassen sich nicht aufheben in größere Zusammenhänge oder aus ihnen ableiten.
„Guardini hat seine Methode zur Realisierung einer Vision entwickelt, die den Dingen Raum gibt“, erklärt ein Schüler von Jorge Mario Bergoglio, Jesuitenpater Diego Fares, den Ansatz. Man muss sie nicht festlegen, man muss ihnen nicht das „Lebendig-Konkrete“ nehmen. Und so kann man auch den Anderen, den Gegenüber, als lebendig-konkret ansehen, ohne ihn einzuordnen.
Einheit im Austausch
Dass der Papst sich selber zu Guardini äußert, ist aber selten. Eine Ausnahme war die Audienz für die Guardini Stiftung, im November vergangenen Jahres. In wenigen Worten zeichnet er das Grundanliegen des Theologen nach und zitiert ihn: „Im schlichten Entgegennehmen des Daseins aus Gottes Hand vollzieht sich der Umbruch aus dem eigenen Willen in den Willen Gottes hinüber; so wird, ohne dass das Geschöpf aufhörte, nur Geschöpf, und Gott aufhörte, wirklich Gott zu sein, lebendige Einheit“. Dann weiter: „Das ist der tiefgründige Blick Guardinis. Er hat wohl seinen Ursprung in seinem ersten metaphysischen Werk Der Gegensatz. Für Guardini ist diese „lebendige Einheit“ mit Gott in den konkreten Austausch der Personen mit der Welt und den Mitmenschen eingebettet. Der Einzelne erfährt sich verwoben mit einem Volk, einem „ursprünglichen Zusammenhang von Menschen, die nach Art, Land und geschichtlicher Entwicklung eins sind“. Dem Papst geht es hierbei um den Begriff „Volk“, aber auch hier sieht man einen der „Gegensätze“, Einzeln und Einheit. Weiterlesen „„Der Gegensatz“: Bergoglio liest Guardini“