Es ist absehbar. Wenn an dieser Stelle etwas zum Thema Armut, Flüchtlinge, Migranten, Hetze durch deutsche Politiker kommt, dann kann ich die ersten Reaktionen gleich selber schreiben.
Manche sind dumm, manche sind böse, manche sind zynisch, manche auffallend gleichlautend.
Was aber die meisten gemeinsam haben ist ein rhetorisches Mittel: Der What-about-ism, wie die US-Amerikaner das getauft haben. Es ist eine alte sowjet-Technik aus dem kalten Krieg, wollen Literaturwissenschaftler herausgefunden haben, wobei ich das nicht glauben kann, das muss mindestens 1.000 Jahre alt sein, so verführerisch das ist.
Ich habe hier ja schon mal über rhetorische Tricks in Debatten geschrieben, über den Mann statt den Ball spielen, über Umkehr der Beweislast und so weiter. Aber What-about-ism ist so verbreitet, dass man das einfach mal nennen muss. Denn eine Gefahr erkennen heißt meistens, sie auch vermeiden können. Oder auf sie reagieren können.
Vorwurf und moralischer Druck
Jemand – Cajus – macht einen Vorwurf: „Gaius hat sich schlecht benommen, er hat auf dem Schulhof Marcus geschlagen“. Das ist ein Vorwurf, dem muss man eigentlich nachgehen. Wenn dann aber Lucius, Freund von Gaius, zum Mittel des What-about-ism greift, dann hören wir auf einmal „aber Sempronius und Linus sind noch viel schlimmer, die haben nämlich …“. Anstelle der drei Punkte kann man sich dann was ausdenken und einsetzen, das spielt weiter keine Rolle.
Das mag so sein, Sempronius und Linus brauchen vielleicht auch Aufmerksamkeit, aber was Lucius mit dem What-about-ism erreicht hat ist, dass wir nicht mehr auf Gaius und das Schlagen von Marcus schauen. Auf einmal ist es nicht mehr wichtig, dass ein Unrecht geschehen ist, sondern Cajus muss sich an anderem Unrecht messen lassen und daran, warum er nicht auf das andere gezeigt hat.
Achten Sie mal drauf, ist vor allem bei populistischen Extremisten sehr beliebt.
Einfach Thema wechseln und denjenigen, der einen Vorwurf macht, moralisch unter Druck setzen („eigentlich hättest du auf den und den schauen sollen“), das ist die Methode. Nicht sehr subtil, aber effektiv.
So verdirbt man die Debatte. Erfolgreich.