Es ist mal wieder so weit: Papst Franziskus hört eine Stunde lang öffentlich auf dem Petersplatz Beichte, und die Kritiker können sich gar nicht mehr beruhigen. Beschädigung des Amtes sei das, er mache das nur für die Kamera, das sei alles ein Ego-Trip, er sei für die Weltkirche da und nicht für billigen Populismus, das sei untheologisch und so weiter und so fort. Zu besichtigen unter anderem in den Kommentarspalten bei uns auf Facebook. Bis hin zu dem Herrn, der tatsächlich Benedikt XVI. als letzten wahren Papst bezeichnet, so wirklich echte Sedisvakantisten trifft man sonst nur selten. Und auch dann nur mit der Auffassung, Pius XII. sei der letzte gewesen, unser Kandidat hier erkennt immerhin noch einige mehr an.
Aber wie gesagt, ob es die Flüchtlinge sind, die der Papst aus Lesbos mitgebracht hat, das Beichte hören, das Sprechen davon, dass alle Menschen „Kinder Gottes“ seien, das treibt Menschen auf die Barrikaden.
Warum nur?
Bevor ich auf die Motive einzugehen mich traue, möchte ich ein Hilfsmittel zum Verständnis heran ziehen, nämlich den Begriff „Integralismus“. Der umfasst nicht alle Kritiker des Papstes, beileibe nicht, man muss genau aufpassen, aber die oben angesprochenen Exponenten eines Unbehagens mit dem Papst, der sich zu sehr mit dem Gewöhnlichen gemein macht, kann ich damit zu verstehen suchen.
Integralismus in aller Kürze bedeutet eine Selbstbestimmung durch Abgrenzung und Ablehnung, die ihre Weltsicht aus nur einer Quelle bezieht. Sie bedeutet eine Reduktion von Komplexität zugunsten von fixen Fundamenten. Das ist mein Ausgangspunkt.
Schon einmal war ein Papst dagegen
Integralismus ist also weniger an Gott interessiert, als an Religion als Garanten einer gesellschaftlichen Ordnung. Genau das wurde ihm ja schon in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vorgeworfen, als Papst Pius XI. ihn verwarf und eine Ausprägung – die Action Française – auf den Index setzte. Diese Geschichte hat eine interessante Lehre, denn integralistische „Konservative“ hatten immer auf den Papst als Letztinstanz verwiesen, nun wendete sich dieser aber gegen sie, mit dem Resultat, dass zum einzigen Mal im 20. Jahrhundert ein Kardinal und Unterstützer der Action vom Kardinalsamt zurück trat. Louis Billot, übrigens ein Jesuit.
Integralismus ist eine Form von Fundamentalismus. Man wendet sich vor allem gegen die Normen der modernen Welt, normalerweise als „Zeitgeist“ beschimpft, wobei diese meistens übertrieben dargestellt werden, des besseren Kontrasts wegen. Die Gefahr und der Gegner sind dann ja stärker, um so heroischer wirkt der eigene Widerstand.
Grundsteine sind fixe Sätze, die als unfehlbare Glaubenswahrheiten anzunehmen sind. Ohne die geht es nicht. Aus diesen fixen Sätzen folgt dann eine Omnikompetenz, man hat zu allem was zu sagen. Diese Sätze werden dann auch zu „Testfragen“, an denen man andere Positionen misst, ein Formalismus, der letztlich am Leben vorbei geht.
Als Historiker ist mir persönlich am vergnüglichsten die Reduktion der Geschichte auf selbstgebastelte Thesen, siehe „Messe aller Zeiten“ und so weiter. Zur Legitimierung wird eine Vergangenheit herbei behauptet, die bei genauerer Hinsicht keiner Untersuchung stand hält. Das Vorgehen ist also unhistorisch.
Im Kern unhistorisch
Wenn man kirchliche Äußerungen zum Thema Integralismus sucht, findet man vor allem Beschreibungen von Reaktionen: Johannes Paul II., Benedikt XVI. bis hin zu meinem Lehrer in Fundamentaltheologie beschreiben das Phänomen als Reaktion auf eine andere Ideologie, den Modernismus oder Progressismus. Ein Zitat nur: „Und solch unkritischer Progressismus weckt dann wiederum seinen Gegenpart, den Integralismus auf“ (Joseph Ratzinger auf dem Katholikentag 1966 in Bamberg). Damit wird das natürlich nicht klarer, denn damit muss man ja erst mal „Modernismus“ oder „Progressismus“ klar bekommen.
Nun helfen uns diese Begriffsbestimmungen nicht unbedingt weiter, wirklich harte und klare Integralismen finden sich zwar lautstark auf ihren eigenen Webseiten, aber in Reinform und Radikalität sind sie dann doch eher seltene Wesen.
Mir scheint deswegen, dass wir da zwischen einem „starken“ und einem „schwachen“ Integralismus unterscheiden würden. Weiterlesen “Die Angst vor der verbeulten Kirche”