Bewegung, Dynamik, Tiefe und Kraft allüberall: Wer Bilder von Peter Paul Rubens sieht und schätzt, wird immer wieder von dessen geradezu überbordenden Darstellungen überrascht. Da steht nichts still, da ist immer Entwicklung drin, Geschichten eingefangen in einem Moment.
In Frankfurt kann man das zur Zeit sehen, in einer wunderbaren Ausstellung im Städel Museum. Da hängen die Rubensbilder neben den Vor-Bildern, also seinen Zeichnungen oder neben Gemälden von anderen Künstlern, die Rubens aufgriff und ästhetisch weiter führte.
Die Ausstellung will aber zeigen – und schafft das bravourös – dass Rubens keineswegs schlicht kopiert, so wie wir das heute verstehen würden. Wenn heute ein Künstler eine Melodie benutzt um sie in seinem eigenen Werk einzusetzen, geht es um Rechte und um intellektuelles Eigentum. Von dieser Besitz-Denke müssen wir uns lösen, wollen wir den kreativen Prozess nachvollziehen, der sich da im Städel Museum zeigt.
„Kraft der Verwandlung“
Es geschieht mehr als nur Kopie, es geschieht Verwandlung. „Kraft der Verwandlung“ heißt die Ausstellung deswegen, wobei die Frage offen bleibt, wer hier was verwandelt oder verwandelt wird. Aber dazu gleich noch eine Bemerkung, zuerst zurück zur Kreativität.
Rubens war eine Zeitlang in Italien, in Mantua angestellt mit zwei Aufenthalten in Rom. Und er machte das, was alle Künstler machten, er zeichnete die Klassiker, die Statuen und Reliefs, die idealisierten Körper der Antike. All das wurde zu einem unerschöpflichen Fundus für ihn, die Figuren und Haltungen, ihr Ausdruck und die ihnen innnewohnende Spannung wird verwandelt in neue Bildideen.
Aus dem Farnese-Herkules wird Christophorus, aus dem Zentaur der Villa Borghese wird ein Ecce Homo, aus dem Torso Gaddi wird Christus mit Kreuz.
Die Zeichnungen Rubens aus seiner italienischen Zeit sind wie gesagt ebenfalls in der Ausstellung zu sehen, sogar einige Torsi, so dass man sich von diesem Vorgang der Verwandlung selber ein Bild machen kann.
Aber es sind nicht nur antike Meister, die gezeichnet zitiert und kreativ weiterentwickelt werden. Wir wissen von 35 Rubens-Gemälden, die Titian verwandeln, um im Tenor zu bleiben. Dazu kommen Tintoretto und natürlich Caravaggio.
Griechische Statuen, Tizian und Caravaggio
Aber ich wollte ja noch mal auf die Frage zurückkommen, wer hier wen verwandelt. Denn das zitieren oder kreative verwandeln von antiken Statuen bleibt ja nicht unschuldig. Es sind nicht einfach nur schlicht Formen, die in ein neues Jahrhundert und in eine neue Kultur transponiert werden. Mit den Formen werden auch die Ideale übertragen und mit den Idealen Vorstellungen in das Dargestellte eingepflanzt.
Wenn man den leidenden Christus anhand der Figur eines muskulösen Zentauren oder eines ebenso muskelbepackten Torsos darstellt, dann übernimmt man eben nicht nur die den Ursprungsformen innewohnende Dynamik. Man übernimmt auch all das andere, was an Idealisierung von Körper da dran hängt.
Idealisierung eines leidenden Körpers
Jesus leidet, aber bleibt ein körperliches Ideal. Wir haben uns ästhetisch so daran gewöhnt, dass wir das vielleicht schon gar nicht mehr sehen. Das Leiden bekommt eine Ästhetik, welche das Ganze irgendwie heroisch macht. Das Leiden leidet weniger, sozusagen. Aus dem Schmerzensmann des Mittelalters und der Devotio Moderna wird ein irgendwie immer idealer Körper.
Das kann man schon hier in Rom an der Capella Sistina sehen, an Michelangelos Letztem Gericht, 100 Jahre vor Rubens. Da ist der Christus auch mehr ein Apollo denn ein jüdischer Zimmermann. Mit Rubens bekommt das dann noch die volle Dynamik und Lebendigkeit.
Prägende Vorstellungen
Die Verwandlung, die hier stattfindet, geht in alle Richtungen. Das Aufgegriffene wird kreativ in etwas Neues verwandelt, aber das dargestellte Neue – der Christus, die Muttergottes, ein Wunder – verwandelt sich eben auch. Und die Frage stellt sich in der Ausstellung sehr deutlich, wie viel von der Form in die neuen Darstellungen eingeht. Das hat unsere Vorstellungen von Christus geprägt und prägt es noch.
Ein zweiter Gedanke zu wer hier wen verwandelt. Dankenswerterweise sind in der Ausstellung alle möglichen Werke versammelt, der fromme Rubens hat eben nicht nur fromme Bilder gemalt, Altartafeln und dergleichen. Da sind auch allerlei mythische Darstellungen. Wer von außen schaut, ohne Kenntnis von griechisch-römischer Mythologie und von Christentum, sieht den Unterschied nicht. Fallende Kleider, Bewegung, viel Haut, dramatische Verdichtung der Handlung. Und auf einmal bekommt die Darstellung des Christlichen etwas von Mythologie.
Christliches wird mythisch
Die griechischen Götter und Tragödien waren damals Darstellung von Tugenden und von Pädagogik, niemand hat ernsthaft an die Existenz von Zeus oder Herkules geglaubt. Trotzdem findet auch hier eine Verwandlung statt. Die christlichen Themen bekommen eben auch etwas von Tugenddarstellung, etwas von barocker Figurenkunst.
Noch nimmt die Form nicht überhand und verdrängt die Aussage, das kommt später erst oder bei weniger guten Künstlern. Aber wenn man durch die Ausstellung wandelt und – sagen wir – kein Christ ist, der findet in den Christusdarstellungen nichts, was nicht kontrastfrei neben eine Diana bei der Jagt passt.
Das ganze wäre von rein kunsthistorischem Interesse, wenn Rubens und seine Zeitgenossen – und Nachfahren – nicht so ästhetisch wirkmächtig wären. Bis heute finden sich immer wieder Zitate seiner Werke, unsere Kirchen sind voll von Kunst, die sich an dem großen Meister abarbeiten.
Christus und Diana
Denn genauso wie Rubens Teil von Bewegung ist, hört diese Bewegung natürlich bei ihm nicht auf. Viele greifen wiederum ihn auf, kopieren ihn, entwickeln ihn weiter, finden eigene kreative Ideen für Bilder. Nicht alles ist immer genau so gut wie seine Bilder es sind, Rom und seine tausend Kirchen können da ein Lied von singen.
Aber es gibt auch große Werke, nicht nur Kopien. Und so ist ausgerechnet das eindrucksvollste Bild in der Ausstellung gar nicht vom genialen Rubens. Sondern von einem Maler, der von seinen ersten Bildern an sich am großen Antwerpener Vorbild abarbeitete. Das Bild ist die „Blendung Simsons“. Und es ist von Rembrandt.
Das nennt man auch “Eklektizismus” – gibt’s in vielen Phasen/Epochen der Kunstgeschichte: Manierismus, Barock (der Humanisten), Klassizismus, Historismus etc. Also man bastelt aus altbekannten Klassikern Neues zusammen. Problem dabei: es hat was Künstliches an sich, ist aber sehr kompliziert und wenn man gern um sieben Ecken denkt, den Kopf anstrengen will, dann ist diese Form von Kunst immer interessant; ich denke, grad für Leute, die weniger Gefühlsmenschen sind.
Um Bilder Rubens zu erklären, muss man viel Kunstwissen besitzen:
Erst mal muss man wissen, wie die wichtigsten Antiken ausgesehen haben, dann muss man wissen, was sie darstellen und die Quellentexte, auf die Sie sich beziehen, lesen oder kennen. Dann muss man, wenn es der Titel nicht angibt, wissen, was Rubens eigentlich darstellen wollte und auch jene Quellentexte dazu lesen. Im vierten Schritt muss man schauen, ob irgendwelche Gestalten besonders ausdrucksstarke Körperhaltungen aufzeigen. Dafür braucht es ein Gespür für Formen bzw. ein Gespür für das “Ästhetische” der jeweiligen Zeit bzw. der Antike. Die Figuren sind oft – und nicht ohne Grund – von Antiken kopiert. Dann schaut man welche Figur im Bild genau so dargestellt wurde und meist hat das auch schon wieder Sinn: wertet die Figur auf. Und dann muss man bedenken, wer Auftraggeber war und in welcher Phase im Leben des Künstlers das Werk entstanden ist.
Reinste Detektivarbeit, die nichts mit Gefühlsduselei oder Kunstgeschwätz zu tun hat.
Es ist halt eine eigene Sprache, die man lernen muss um so ein Werk auch wirklich verstehen zu können.
Also: Rubens wirkt zuerst immer so dynamisch und barock-sinnlich, wäre aber sehr kompliziert zu analysieren, wenn es da nicht schon genügend Forschungsliteratur dazu geben würde. Solche Künstler sind für Forscher genau deshalb auch so interessant: sie sind hochkomplex.
Der Titel geht, denke ich, auch auf Ovids “Metamorphosen” (Verwandlungen) zurück. Ein echtes Standardwerk über die Antike. Rubens kannte das sehr gut.
Und nicht zuletzt war Rubens ja auch ein “Verwandlungskünstler”: der könnte alles: war Gelehrter, Unternehmer, Diplomat, Künstler etc.
Pardon, das nennt man nicht Ekklektizismus. Das hat mit Ekklektizismus auch sehr wenig zu tun. Und die Metamorphosen sind auch kein Standardwerk über die Antike.
Für Künstler sind und waren die “Metamorphosen” ein Standardwerk zur, ok, korrekter bezeichnet: “antiken Kunst” – nicht “Antike”. Ohne deren Wissen kann man antike Plastiken meist nicht verstehen.
Wir hatten extra einen Grundkurs zur antiken Mythologie im Fach Kunstgeschichte wo im Grunde nur die “Metamorphosen” durchgegangen wurden.
Ich hab auch Rubens als Prüfungsthema gehabt – kenn mich also schon ein bisschen aus.
Ein zweiter Grundkurs beschäftigte sich dann mit christlicher Ikonographie – hier lag als Grundlagentext natürlich die Bibel zu Grunde.
Was verstehen Sie genau unter der Bezeichnung “Eklektizismus” – schreibt man übrigens tatsächlich vorne nur mit einem “k” – hab ich auch oft falsch geschrieben. 😉
Ich geb aber mal ein schönes Beispiel:
Ich hab mal einen Künstler bearbeitet, einen Klassizisten, der, wie das eben Brauch war, Antiken in seine Gemälde, die sich mit einem Bibelepos beschäftigten, eingefügt hat, um damit noch was auszusagen:
Der Apoll von Belvedere (schöner jugendlicher Sonnengott) diente als Vorlage für eine Gestalt, die im Bild gegen den Teufel rebellierte. Satan wurde in jenem Bild die Körperhaltung des eher alten Priesters Laokoon gegeben, natürlich mit Schlänglein um den Körper – ein lustiges Detail. Laokoon ist zwar eine positive Gestalt aber er stirbt zuletzt doch. Darauf spielte das an: der Teufel wird verlieren.
So funktioniert das in etwa… Ziemlich trickreich. Und immer ist es diese eine Methode, dieses eben.
Eklektizismus bedient sich einzelner Elemente, indem er sie aus ihrem Zusammenhang heraus nimmt. Aber genau das macht eben die Kunst des Barock nicht. Und zwar ganz bewusst nicht, wie sie dann ja auch schreiben, man muss die Mythen kennen und so weiter. Aber genau das ist eben nicht Eklektizismus.
Aber der “Apoll von Belvedere” (als Beispiel für viele Antiken, die in den unterschiedlichsten Kunstepochen rezipiert wurden) wird doch aus seinem Zusammenhang rausgenommen, wenn erst mal seine bloße Form zum Beispiel wieder verwendet wird um einen Christus darzustellen. Erst durch das Studium von Literatur begreift man, dass da eben Im Grunde eine antike Figur in ein christliches Bild eingebaut wird. Erst mal wirkt das sehr irritierend, oder nicht?
Und dann erst, viel später bei der Analyse eines Kunstwerks, bemerkt man, dass da doch Sinn dahinter steckt.
Was aber vielleicht wirklich fehlerhaft bei dem Begriff von meiner Seite her war, ist das “Eklektizismus” lange Zeit als etwas sehr Stupides im Bereich der Kunstwissenschaft angesehen wurde und man den Begriff tatsächlich eher mit dem Historismus in Verbindung bringt.
Aber selbst der Barock war eine Zeit lang eine Kunstepoche über die Kunstwissenschaftler sehr negativ urteilten – aus Unkenntnis eben. Es gab eine wertende Kunstgeschichtsschreibung, das gibt es heute nicht mehr – seit Aby Warburg etwa hat sich das verloren.
So ist heute der Begriff “Eklektizismus” auch kein so negativer mehr.
Denn man erforscht wiederum den Historismus und merkt halt auch, dass der nicht nur hirnlose Nachahmung von früheren Epochen war.
Mhh, aber vielleicht, ich gebe es ungern zu, wäre der Begriff “Imitatio” oder einfach nur “Rezeption” von Kunstelementen etwas besser gewählt gewesen.
Mir gefällt Ihre Schreibweise Pater Hagenkord, sie verbindet die Inhalte miteinander und trennt sie nicht durch ihre persönliche Sichtweise voneinander. Es ist als könne man selbst in ihre Darstellungen eintreten, ohne dafür mehr als die eigene Vorstellungskraft zu benötigen. Ich persönlich mag es sehr, wenn mir jemand das Gefühl geben kann erwünscht zu sein in einer Debatte um elementare Beschaffenheit aus der Menschen ihre persönlichen Werke weiterentwickeln können, wenn sie dies auch wirklich wollen.
Gerade erlebe ich dies in einer sehr persönlichen Angelegenheit, die für mich kaum greifbar ist und doch täglich in mein Leben eingreift, so als käme sie von irgendwo und führe in ein Nirgendwo, was sehr seltsam ist, denn ich selbst bin wohl die weiterführende Ursache dafür.
Was ich damit sagen will ist, dass es sehr schwer ist Grenzen/Linien/Gedanken ohne Gott in ein endgültiges Format zu führen, denn durch seine Schriften ist die Form des Menschen bereits vollendet und findet mit Jesus im Wesen durch ihren Wert was weiterführend dabei herauskommen kann. Es wird immer nur ein Versuch bleiben, sich dem Ursprung aus dieser elementaren Vorgabe anzunähern, um die eigene Kreativität zum Ausdruck bringen zu können und im Wunsch nach einem gemeinsamen Fortschritt aus der gegenwärtigen Verfassung als Blick ins Ungewisse zu deuten.
Ein Maler sendet seine Begabung über ein Bild, das ihre Ausdrucksstärke zur Geltung bringt und der Betrachter empfängt mit all seinen Sinnen was ihm dieses Bild vermitteln kann. Es ist wie ein Gespräch zwischen der Begabung und der Sinnlichkeit im Spiegel ihres Wesens.
danke Pater Hagenkord, ganz lieben Dank für diesen einfühlsamen und NICHT “spekulativen” Kommentar..
..gerade weil ich in Ausstellungen- war auch im Städel- mehr durch “Staunen” und ohne Zuviel(!) Analyse “schauen ” mag..
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Pater Hagenkord, noch eine Sach- Frage:
Sind Dom Radio und katholisch.de -eigentlich seriöse Quellen- einem Fake aufgesessen, wegen des Foto-Benedikt- Briefes?
Halb. Das Foto zeigt tatsächlich nur den halben Brief, aber das hat nichts mit Verheimlichen zu tun, denn der komplette Text wurde bei der Pressekonferenz vorgelesen.
Die Metamorphosen und Verwandlungen, die Rubens kraftvoll in seinen Werken zum Ausdruck bringt, lassen sich schon aus seiner Person heraus erklären. Er, der fromme katholische Maler des frühen Barocks, der das kraft- und machtvolle Lebensgefühl der Renaissance kannte, ging, noch bevor er sein Tagewerk begann, jeden Morgen in die heilige Messe, wo er hörte und im Credo betete: “Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches.” Genau diesen Glaubensartikel hat Rubens in seinen Bildwerken bekannt. Darum malt er die die Leiber seiner Frauen und Männer in einem leuchtenden Inkarnat, in leuchtender Fleischesfarbe. Die leuchtende Leibesfarbe bringt sein Bekenntnis zum Ausdruck: Ich glaube an die Auferstehung der Toten – und das sind für ihn keine verwesten Leiber, sondern die Leiber Auferstandener in Herrlichkeit, im Licht der Verklärung überstrahlte Leiber jenseitiger Menschen voll vom Glanz ewiger Schönheit.
Mehr über Rubens: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/T4AYKXVG52K2L44VR5LOSBGAHFMN42IG
Mehr über das Wirken des Autors beim Erzbistum Köln unter Robert Grosche I-III
Die massig muskulöse DARSTELLUNG des Leibes lässt mich zunächst an den ungeformten Erdenklos, den Golem denken. Leibhaftig, intelligent, aber noch seelenlos. Die Formgebung und Gestaltung zum Ebenbild harrt noch der Vollendung.