„Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte”. Schillers Ausspruch über Wallenstein ist zwar irgendwie immer und für jeden wahr, der in der Öffentlichkeit steht und für etwa eintritt. Aber mir kam dieser Ausspruch einmal wieder in den Sinn, als ich mich dransetzte, einige Zeilen anlässlich des Geburtstages des Papstes zu verfassen.
Die Kirche und die Öffentlichkeit in den deutschsprachigen Ländern haben eine lange Geschichte mit Joseph Ratzinger, vor allem seit seiner Ernennung zum Präfekten der Glaubenskongregation. Diese Geschichte prägt unsere Wahrnehmung bis heute, kurz unterbrochen vom „Wir sind Papst“ des Jahres 2005. Was davor lag – zum Beispiel seine Teilnahme am Konzil und seine frühen Bücher wie die Einführung ins Christentum – werden heute durch die Brille dieser Zeit der Glaubensentscheidungen und der meistens im Modus des Konfliktes ausgetragenen Auseinandersetzungen betrieben.
Heute wird der Papst 85 Jahre alt.
Mich selber sehe ich als einen später dazu gekommenen. Ich bin kein Ratzinger-Spezialist und kein Benedikt-Beobachter gewesen, bis ich hierher nach Rom gekommen bin um für Radio Vatikan zu arbeiten. Seitdem versuche ich, das als Vorteil zu sehen. Die Texte, Ideen, Ansprachen und Entscheidungen habe ich nicht emotional miterlebt, sondern studiere sie nun in der Vergangenheitsform, ruhig und allmählich.
Eine Glaubensfrage
Und nachdem ich gefühlt unendlich viele Texte vom Papst und Theologen gelesen habe, meine ich sagen zu können, dass er sich nur über den Glauben verstehen lässt. Auch die frühen Schriften, auch die Entscheidungen, die in den 80er und 90er Jahren so harsch herüberkamen, sind nicht über die Disziplin oder im Modus der Autorität verständlich, sondern über die Frage, wie Glaube unter den Bedingungen von heute gelebt werden kann. Natürlich fragt er auch nach Schädlichem und da sieht er viel; das Innerkirchliche zu stoppen war seine Aufgabe für lange Jahre. Aber dahinter liegt immer die Frage nach der Einwurzlung des Glaubens in die Welt.
Nehmen wir zum Beispiel das Wort „Reform“. Bei all den Überlegungen scheint mir, dass sehr viel über die Kirche, sehr wenig dagegen über den Glauben gesprochen wird. Das Gebet zum Beispiel ist als privat irgendwo im Regal abgestellt, wenn überhaupt, kommt im Diskurs aber kaum vor. Bei Benedikt XVI. ist das anders, ohne aber spiritualisiert daher zu kommen. Es ist keine Verdrängung der notwendigen Schritte, wenn er über geistliches spricht. Die Realität ist nur über das Gebet und den Glauben zu verändern, und ohne Gebet und Glauben laufen alle Veränderungen der Welt ins Leere.
Leider haben sich auch in der Kirche die beiden Pole konservativ – liberal eingeschlichen, und das nicht erst seit gestern. Hieran wird gemessen, ob das, was Benedikt XVI. sagt, passt oder nicht. Zugegeben, ich übertreibe, aber nicht viel.
Leider gibt es auch viele Scharfmacher, auf allen Seiten des Spektrums. Dem Inhalt wenig Raum gebend wird angeschärft und dann sagt der Papst genau das, was in den eigenen Kram passt. Aber genau das wird Benedikt XVI. nicht gerecht, wird Joseph Ratzinger nicht gerecht. Wer Benedikt XVI. verstehen will, der muss bereit sein, sich etwas sagen zu lassen. Das mag Widerspruch auslösen, aber dem ist der Papst ja auch nicht abgeneigt, siehe das Interview mit Kardinal Kasper.
Wo also ordnen wir Benedikt XVI. heute ein? Am besten gar nicht. Das wäre doch ein gutes Geburtstagsgeschenk, oder?
Benedikt denkt selber und paßt somit in keinen Ordner.Er macht sich auch nicht zum Spielball anderer. Kann er gar nicht. Weltkirche.Wem will er es denn da recht machen?Einer ist immer beleidigt, einer ist immer froh und somit geht es ihm wie dem lieben Gott.Ich denke, er kommt gut klar mit Andersdenkenden.