Teil 1
Der Papst will Reform. Vielleicht passt das nicht immer auf die Vorstellungen, die wir mit dem Wort verbinden, vielleicht kommt es da zu ziemlich viel Knirschen, wie in den vergangenen Tagen zu beobachten war. Vielleicht gehen wir auch einfach falsch, wenn wir unsre – zentraleuropäischen – Vorstellungen zum Maßstab nehmen.
Wenn man den Papst nach der Reform befragen würde, bin ich sicher dass er auf den Christen und die Christin verweisen würde. Nicht auf Struktur, nicht auf bahnbrechende und alles entscheidende Einzeldinge. Sondern auf die „ständige Haltung des Aufbruchs“, die er sich wünscht, damit eine „missionarische Kirche“ wächst, von der er träumt, wie er sagt.
Über sein Schreiben „Gaudete et Exsultate“ habe ich hier schon geschrieben, da habe ich aber eher Einzelpunkte herausgegriffen. Oder eine allgemeine Zusammenfassung geschrieben. An dieser Stelle mag ich mich aber noch mal an dem ganzen Text versuchen, um der Reform nahe zu kommen, die Papst Franziskus mit uns versucht.
Sein Ausgangspunkt ist das Heilig-Sein, dazu die Selbsterkenntnis, wie wir es schon von ihm gewohnt sind: „Erkennen wir unsere Schwachheit, aber lassen wir zu, dass Jesus sie in seine Hände nimmt und uns in die Mission hinaustreibt“ (131).
Dazu gehört dann auf die Aufforderung, keine Angst zu haben vor der Heiligkeit. Oder vielleicht müsste man hier besser sagen, keine Angst zu haben, sein Christsein auch wirklich voll zu leben. „Du wirst dabei zu dem Menschen werden, an den der Vater dachte, als er dich geschaffen hat, und die wirst deinem eigenen Wesen treu bleiben“ (32) lautet das Versprechen.
Dem eigenen Wesen treu bleiben
Zwei Dinge dürfen wir dabei nicht übersehen. Erstens die „Heiligkeit von nebenan“, wie der Papst sagt, also ein nicht immer sofort spektakuläres und damit vielleicht Angst machendes Christentum, sondern einfache, schlichte, stille Heiligkeit.
Zweitens hat Heiligkeit (= Christsein) auch immer eine Dynamik, und zwar eine die uns biblisch gesprochen zu einem Volk macht. Sie ist gemeinschaftlich, nichts nur allein für mich.
Was auch nervös machen kann sind die vielen Heiligenlegenden die wir immer wieder zitieren und die wir auf Säulen in unseren Kirchen sehen. Heldenmut gleich, furchtlos scheinen die gewesen zu sein. Dabei gilt:
„Es gibt Zeugnisse, die als Anregung und Motivation hilfreich sind, aber nicht als zu kopierendes Modell. Das könnte uns nämlich sogar von dem einzigartigen und besonderen Weg abbringen, den der Herr für uns vorgesehen hat. Worauf es ankommt, ist, dass jeder Gläubige seinen eigenen Weg erkennt und sein Bestes zum Vorschein bringt, das, was Gott so persönlich in ihn hineingelegt hat (vgl. 1 Kor 12,7), und nicht, dass er sich verausgabt, indem er versucht, etwas nachzuahmen, das gar nicht für ihn gedacht war.“ (Nr. 11)
Nicht nachahmen!
„Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen“, zitiert der Papst den Propheten Jeremias. „Noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt“: es geht um uns, wie wir gewollt und geschaffen und geliebt sind. Nicht darum, uns nach Modellen auszurichten.
Ein weiterer Punkt klingt hier schon an, in den folgenden Abschnitten des ersten Kapitels, das ich hier behandle, wird das weiter ausgeführt: wir sind geheiligt. Wir machen Heiligkeit nicht. „Lass zu, dass die Taufgnade in dir Frucht bringt“ (15), wir besitzen die Kraft des Heiligen Geistes und müssen nicht alles neu erfinden, wir machen das nicht selber. Die Heiligkeit – das Christsein – wächst. Wenn wir es denn lassen.
„Versuche dies, indem du Gott im Gebet zuhörst und die Zeichen recht deutest, die er dir gibt. Frage immer den Heiligen Geist, was Jesus von dir in jedem Moment deiner Existenz und bei jeder Entscheidung, die du treffen musst, erwartet, um herauszufinden, welchen Stellenwert es für deine Sendung hat.“ (23)
Hier macht der Papst einen Schritt weiter: „Sendung“ ist das Wort, was wir gebrauchen, aber man könnte auch andere Worte benutzen. Die „missionarische Kirche“ etwa, das Christsein auf eine Weise, dass andere darin Christsein erkennen. Gott hat mit der Schöpfung auch etwas in uns hinein gelegt, was wachsen und sich ausdrücken will, dass nach außen, zu den anderen will: „So ist jeder Heilige eine Botschaft“ (21).
Jeder Christ ist eine Botschaft
Heiligsein, Christsein, ist also nicht etwas für mich, auch wenn ich selber dadurch derjenige werde, den Gott gewollt hat. Die Christin und der Christ, welche gewollt wurden.
Botschaft sein: darin drückt sich der personale Charakter unseres Glaubens aus. Wir haben nicht eine Botschaft, Christus selber ist die Botschaft. Er berichtet nicht die Wahrheit, er selber ist die Wahrheit. Wir haben keine Lehre, er selber ist die Lehre. Und so weiter, uns so weiter.
„Im Tiefsten bedeutet Heiligkeit, in Einheit mit ihm die Geheimnisse seines Lebens zu leben. Sie besteht darin, sich auf einzigartige und persönliche Weise mit dem Tod und der Auferstehung des Herrn zu verbinden, ständig mit ihm zu sterben und mit ihm aufzuerstehen.“ (20)
Das ist in geistlicher Sprache ausgedrückt nichts anderes als genau diese Nähe zu Jesus Christus, von der auch die Evangelien dauernd sprechen, vor allem in den Abschiedreden Jesu. Er will bei uns sein, bis zum Ende der Erde.
Einheit mit Jesus Christus
Und nicht vergessen: das gilt nicht für den perfekten Christen, das gilt für unsere Schwachheit und „inmitten deiner Fehler“, den Beginn des Schreibens dürfen wir nicht vergessen.
Die Wirkung: wir machen das nicht für uns. „Es ist nicht gesund, die Stille zu lieben und die Begegnung mit anderen zu meiden, Ruhe zu wünschen und Aktivität abzulehnen, das Gebet zu suchen und den Dienst zu verachten“ (26). Diese von einigen kritisierten Worte des Papstes richten sich nicht etwa gegen kontemplative Orden, es geht schlicht darum, die eigene Sendung – wie die immer aussehen mag – nicht für sich selbst zu leben.
Wer sich in seinem Christsein auf sich selber bezieht – Ruhe und Gebet auf Kosten des Dienstes, auch wenn es der Dienst des Betens ist – der verfehlt die Botschaft. Wer nur den inneren Frieden sucht, verpasst das, was der Heilige Geist in uns wirken will.
„Manchmal sind wir jedenfalls versucht, die pastorale Hingabe oder das Engagement in der Welt als zweitrangig zu betrachten, als wären sie „Ablenkungen“ auf dem Weg der Heiligung und des inneren Friedens. Man vergisst dabei, dass „das Leben nicht eine Mission hat, sondern eine Mission ist“. (27)
Das Leben ist ein Auftrag
Christsein und Wirken in der Welt fallen also in eins, Heiligkeit bedeutet fruchtbar für die Welt zu sein, geistlich ausgedrückt (33).
„Fürchte dich nicht davor, höhere Ziele anzustreben, dich von Gott lieben und befreien zu lassen. Fürchte dich nicht davor, dich vom Heiligen Geist führen zu lassen. Die Heiligkeit macht dich nicht weniger menschlich, denn sie ist die Begegnung deiner Schwäche mit der Kraft der Gnade.“ (34)
Ich glaube der Papst wünscht sich, dass wir als Christen spüren, dass sich etwas durch die Katholische Kirche bewegt. Sie wird durch ihn immer mehr zum Kern der Handlungen jedes Christen. Vielleicht nehme ja nur ich das so wahr, doch vor einigen Jahren noch, da schien die Katholische Kirche eher ein Weisenkind zu werden, dessen Eltern verloren schienen und sich dabei nicht einmal richtig verabschiedet haben. Heute empfinde ich das eher anders herum und die Katholische Kirche bietet zumindest mir eine innigere Beziehung zu den Menschen an, die ich gerne Erinnern möchte, weil sie mir Gutes getan haben.
Gerade Papst Franziskus zeigt dabei ein Leben auf, das geradezu nach einer stabilen Hand lächzt, die sich nicht der Zeit anpasst sondern an der Zeit misst was diesem Leben durch einen gemeinsamen Geist helfen kann, der sich dafür einsetzt, genau so wie es kommt und wie es geht, jeden Tag aufs Neue durch den gleichen Sinn, der sich daraus ergibt.