Kardinal George Pell ist frei. Nach einem langen und komplexen Gerichtsverfahren in allen Stufen steht fest, dass das gefällte Urteil „schuldig“ keinen Bestand hat. So hat es einstimmig das höchste Gericht des Landes entschieden. Das Ganze lässt viele Fragezeichen zurück. Der Prozess ist nun beendet. Von einem Rechtsstaat, bei allen Komplikationen. Aber das Thema Missbrauch und Kirchenführung bleibt uns erhalten.
Das missliche an der Causa Pell war und bleibt, dass es neben allem anderen auch ein symbolischer Prozess war und ist. Alle Seiten haben es so betrachtet. Die Betroffenen schreien auf, weil sie einen Missbrauchstäter frei aus dem Saal gehen sehen. Die Pell-Verteidiger sprechen davon, dass hier ein Mann für eine ganze Kirche verfolgt worden sei.
Missbrauch und Kirchenführung
Was Schuld und Unschuld angeht, habe ich in dieser Causa immer noch keine Meinung. Es gilt, den Rechtsstaat zu respektieren, aber persönlich hätte ich kein Urteil fällen wollen. Nicht nur, weil ich nicht alle Umstände genau kenne. Sondern einfach, weil es wahnsinnig schwer ist, aus der Ferne genau sagen zu können, was passiert sein könnte oder passiert ist. Aber trotzdem finde ich können wir einige Fragen auch hier stellen, im Anschluss an das Verfahren Pell.
Erstens: Der Missbrauch hat tiefe Furchen der Zerstörung gezogen in den Leben derer, die damit zu tun bekommen haben. Bei den Betroffenen, den Überlebenden zu allererst. Bei deren Familien, Freunden. Und er war und ist für viele immer noch unaussprechlich. Nicht alle können darüber reden, und das gilt es zu respektieren. Um so wichtiger ist es, den Betroffenen und Überlebenden zuzuhören, vor allem weil sie es immer noch schwer haben, Gehör zu finden.
Der Gerichtsprozess in Australien hat einmal mehr vor Augen geführt, wie schwer das ist. War das plausibel? Überhaupt möglich? Verbirgt sich dahinter eine Geschichte? Wann ist Zweifel angebracht und erlaubt? Wie gesagt, aus der Ferne kann und sollte man das nicht beurteilen. Sondern vor Ort zuhören und hinschauen.
Fernurteile verbieten sich
Zweitens: Symbolische Debatten und juristische Entscheidungen bzw. Prozesse passen nicht zusammen. Jemand kann noch nicht schuldig gesprochen werden, nur weil er angeklagt wird. Das ist oft schwer auszuhalten, siehe Pell, siehe aber auch andere Fälle. Die Zerstörung im Leben der Betroffenen ist real, die Feststellung der Schuld aber von vielen Hürden geschützt, so scheint es. Da ist ein Ungleichgewicht, das nicht einfach auszuräumen ist. Und das nicht durch Symboldebatten aufgelöst wird, so hart das klingt.
Drittens: Kardinal Pell steht für das Thema Verantwortung. Deswegen war und ist er auch eine symbolisch aufgeladene Figur. Es ging nie nur um die konkreten Geschichten – ich korrigiere: im Prozess schon, aber in der Beobachtung nicht – sondern es ging immer auch um die Verantwortungsträger in der Kirche, die es nicht gewesen sein wollen. Und den Zorn und das Unverständnis darüber.
Das dürfen wir nicht herunter spielen. Das ist da und bleibt. Spektakuläre Fälle wie Kardinal Theodore McCarrick in den USA oder jetzt Kardinal George Pell sind aber nicht die Regel, Wegschauen, Vertuschen und Herunterspielen gab es und – leider – gibt es auf allen Ebenen. Der Wunsch, endlich auch einen Großen und Mächtigen „dran“ zu kriegen ist verständlich, es bleibt aber trotz alledem ein Weg der kleinen Schritte.
Das Thema Verantwortung
Der Frust bei vielen über den Freispruch bzw. die Aufhebung des Urteils ist verständlich. Aber es ist ein rechtsstaatlich gefallenes Urteil. Es bleibt die Aufgabe der Kirche, das letzte Thema – das Thema der Verantwortung – dabei nicht an die Seite zu legen. Es sind nämlich nicht nur die gerichtlich zu entscheidenden konkreten Geschichten, es sind vor allem die systemische Ermöglichung und die Vertuschung und das Herunterspielen, die uns als Aufgabe bleiben. Die oft nicht gerichtlich zu klären sind. An denen Kirche aber gemessen wird und weiter werden wird.
Ich würde mich sogar vorsichtig zu der Aussage tendieren, dass die Missbrauchsdebatte überhaupt nicht über Prozesse zu klären ist. Einzelne Geschichten sehr wohl, wo es möglich ist muss Recht gesprochen werden. Aber das hat halt auch seine Grenzen.
Aber die Debatte ist weiter. Über Justiziables hinaus. Die australische Kirche hat ja auch sofort in diesem Sinne reagiert: Das Ende des Prozesses gegen Kardinal Pell bedeute nicht ein Nachlassen und so weiter. Der Missbrauch wächst auf einer Kultur, die es aufzudecken gilt. Und die es abzuschaffen gilt. Verantwortliche müssen Verantwortung tragen, aber auch wir alle müssen uns eingestehen, dass wir eigentlich auch nicht genau hinsehen wollen. Einige spektakuläre – und ferne – Fälle wären uns lieber. Dem ist aber nicht so. Missbrauch ist um uns herum, dem müssen wir ins Auge sehen.
Immer noch und immer weiter.
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- Nachtrag am 8. April, 19.40 Uhr: ich lasse zu diesem Text keine Kommentare mehr zu.
Lieber Pater Hagenkord, das Entscheidende ist Doch die grundsätzliche Frage, ob Australien ein RECHTSSTAAT ist – oder nicht.
Diese Frage kann man mit JA beantworten oder?
Also GEWALTENTEILUNG usw.
Und dann – unabhängig seines Subjekt Standpunktes – gilt es ein Urteil zu respektieren
So sehe ich das – also so ein Prozess in einem Staat wie China aber auch Polen, wo die Justiz nicht mehr staatsfern ist , ja da hätte ich größte Bedenken..
Was mich noch mehr umtreibt: wann wird neben Mord auch sexueller missbraucht- Vergewaltigung( auch In der Ehe) etc ebenso ausgenommen , denn die Opfer können ja oft Jahrzehnte Dich hat mich öffnen!!
Vergessen : Von der VERJÄHRUNG!
https://www.katholisch.de/artikel/25113-naehe-zu-missbrauchsopfern-rechtfertigt-keinen-rechtsbruch
Kommentar auf katholisch.de , finde ich gut.
Da wird ein Unschuldiger nach mehr als einjähriger (nahezu Isolation-)haft entlassen und Sie reden über den Frust, den dies bei einigen auslöst? Unglaublich!
Können Sie das nicht verstehen? Nach der von allen Seiten hitzig geführten Symboldebatte?
Um was geht es denn hier? Geht es darum, in einem Schauprozeß einen hohen Würdenträger der Katholischen Kirche abzuurteilen, zu vernichten? Stellvertretend für die ganze Kirche?
Wenn diese Leute, denen es nur darum geht, Frust entwickeln, dann kann mir das herzlich egal sein. Auch Sie sollten für diese Leute kein Verständnis entwickeln sondern höchstens für ihre Umkehr beten, was ja zu Ihren Kernkompetenzen als Priester gehören sollte.
Es war kein Schauprozess, das Wort sollten Sie ganz schnell wieder zurück gehen. Und: der Frust wird nicht entwickelt. Er ist da, aus sehr viel Verletzung entstanden. Ich habe sehr viel Verständnis für Menschen, die vom Verbrechen des Missbrauchs betroffen sind, direkt oder auch nur indirekt. Und meine Kernkompetenz als Mensch ist das Zuhören.
Jetzt deren Umkehr zu fordern, wie Sie das tun, ist schwer übergriffig.
Und was hat nun Kardinal Pell mit dem Mißbrauch zu tun?
Es ist dessen angeklagt worden, er wurde zum Symbol. Ob zu recht oder zu unrecht ist noch einmal eine andere Sache, aber die Verbindung bleibt.
@Jutta, Klarstellung::
Schauprozesse mit „Aburteilung“
gab es beispielsweise in der Sowjetunion ( besonders in der Stalin Ära, in Hitler- Deutschland oder auch in der DDR
Aber auch in der MC‘Carthy Ära in den USA
Der von ihnen gewählte Begriff ist eine Beleidigung für einen Rechtsstaat!!
Kann es sein dass Sie gerade mit Ihrem Frust kämpfen, dass auch das Urteil über Herrn Pell nichts daran ändert, dass Die Kirche weiter ihren Umgang mit Kleriker Macht aufarbeiten muss?
Ein paar Worte der Genugtuung oder gar Freude darüber, dass ein Unschuldiger freigekommen ist, würden Ihre Sorge erheblich verständlicher und erträglicher machen.
Das verstehe ich nicht.
Ein Mensch musste unrechtmäßig und unschuldig über ein Jahr im Gefängnis verbringen, diese Ungerechtigkeit hatte reale und konkrete Einwirkungen und Sie philosophieren über „Systemdebatte“?
Ja, das tue ich. Unrecht ist schlimm, aber was den Opfern, Überlebenden und Betroffenen widerfahren ist auch. Mein Plädoyer ist schlicht, den Rechtsstaat seine Arbeit tun lassen – was er in diesem Fall getan hat – aber als Kirche vor allem und zunächst denen zuhören, die Missbrauch, Vertuschung und Kleinreden dieser Verbrechen erdulden mussten und müssen.
Wenn ich die Kommentare lese, die sich bemüsigt sehen Herrn Pell vor dem Beitrag von Herrn Pater in Schutz zu nehmen dann habe ich den Eindruck man meint, mit dem Freispruch von Australien könnte man wieder zurück vor die Missbrauchsfälle.
Da wird mir schlecht!
In der Kirche von Klerikern sind Verbrechen begangen worden und die Aufarvmbeitung beginnt gerade erst. Wer versucht Herrn Pell wie und wofür auch immer zu einem Maryrer zu stilisieren hat echt nicht begriffen wie notwendig ein Umdrnken und Handrln innerhalb der klerikalen Szruktur der Kirche nötig ist.
Menschen die so kommentieren sind Teil des Problems. Keinesfalls Teil der Lösung!