Zum Tod von Robert Spaemann.
Er hatte immer eine unbequeme Nachricht für uns: die Wahrheit richtet sich nicht nach dem Menschen. Robert Spaemann, gestern im Alter von 91 Jahren verstorben, hat an den unausgesprochenen Selbstverständlichkeiten des Denkens gerüttelt.
„Wenn es nur darauf ankommt, dass jeder das denkt, wonach ihm zumute ist, dann gibt es kein rationales Gespräch mehr, sondern es gibt dann nur noch Befindlichkeiten. Es ist ja ein Denken, das sich heute auch bei vielen Christen ausbreitet, die eigene Befindlichkeit für das Letzte zu halten. Da fällt mir immer das Wort von Karl Krauss ein: ‚Ich interessiere mich nicht für meine Privatangelegenheiten’.“ Das stammt aus einem Interview, das ich 2012 mit ihm geführt habe.
Ich interessiere mich nicht für meine Privatangelegenheiten
Für diese Klarheit habe ich ihn immer bewundert. Er war unbestechlich in seiner Einsicht, dass es ohne Wahrheit keine Ordnung und ohne Gott keine Wahrheit geben kann. Dann bliebe nur die Befindlichkeit und das Individuum übrig.
Lesern dieses Blogs wird nicht entgangen sein, dass ich mich auch über ihn geärgert habe, wenn ich meinte, dass er in seinen Überzeugungen zu weit galoppiert war. Aber er war ein Denker, den man eben nicht ignorieren konnte.
Jetzt kommen die Nachrufe und unisono ist dort vom „konservativen“ Philosophen die Rede. „Er war ein Konservativer in der Annahme, dass eine rein aufs Innerweltliche bezogene Philosophie bald an die Grenzen der Erkenntnis gerät“, darf ich einen beliebig heraus gegriffenen Nachruf zitieren. Ist das konservativ? Es charakterisiert viel vom Fragen Speermanns, aber ob es sich so schlicht einordnen lässt, wage ich doch zu bezweifeln.
Naturrecht und Denken
Konservativ gehört wie der Widerpart liberal zu den Begriffen, die unsere Gesellschaft und unser Denken kartographieren wollen. Sie stammen aber aus einer Zeit, die von ganz anderen Debatten geprägt waren. Wenn ich Spaemann heute lese oder besser noch mir meine Interview-Aufzeichnungen noch mal anhöre, dann höre ich nicht jemanden, der zurück zu etwas will, der etwas Vergehendes bewahren will. Es ging ihm immer um Grundsätzliches, er bewahrte nie um des Bewahrend willen.
Wahrheit war ihm ein Zentralbegriff. Ohne Wahrheit kein Bezug, keine Ordnung. Was das bedeutet und wie Recht Spaemann hat sehen wir in unserer Welt: die Lüge geht unmaskiert und offen durch die Welt und gewinnt, sie zerschlägt die Ordnung zu Gunsten von Macht und will sich nicht solchen Dingen wie der Suche nach Wahrheit unterwerfen. Allein Macht zählt.
Weil sich die Macht aber nicht nach dem Menschen richtet, sondern wir uns an ihr ausrichten müssen, deswegen ist die Wahrheit der Feind derer, die Macht um der Macht willen wollen. Die Wahrheit ist unser Freund.
Wahrheit wider die Macht
Gerne nahm er dafür das heute unbeliebte Naturrecht zu Hilfe. Der eben zitierte Nachruft fasst das sehr gut: Spaemanns Sprechen vom Naturrecht wolle nichts bewahren, schon gar nicht bestehende Verhältnisse stützen. Er sei immer Rebell gewesen und geblieben.
So konnte man sich immer an ihm reiben, und so habe auch ich mich immer wieder mit ihm beschäftigt. Er saß nie auf dem Thron der Philosophen und erklärte die Welt. In den vergangenen Jahren hatte ich mehrfach die Gelegenheit, in kleineren Runden mit ihm zu diskutieren. Sein Denken war immer von etwas gepackt. Robert Spaemann war ein Überzeugter, der das lebte, was er dachte.
In einem Interview hatte ich ihn gefragt, ob er es als seine Aufgabe als Philosoph sieht, das Unausgesprochene in unserer Welt zu demaskieren. Seine Antwort:
„Das scheint mir eine der wichtigsten Aufgaben der Vernunft heute zu sein.“
Möge er in Frieden ruhen.