Repubblica-Chef Eugenio Scalfari gibt zu, dass die Papstworte aus seinem Interview keine Papstworte sind. Am 1. Oktober war ich auf dem Weg in die Schweiz, als mich am Flughafen die Zeitung ‘La Repubblica’ anlächelte. Vier Seiten Papstinterview hatten sie, die ersten vier Seiten. Wohlgemerkt: Das war kurz vor einer großen Regierungskrise in Italien, und die wichtigste linksliberale Zeitung des Landes publiziert vier Seiten Papstinterview.
Das Interview war in direkter Rede wieder gegeben, starke Zitate waren das. Gewürzt war es mit allerlei Details über volle und leere Wassergläser und so weiter, sehr authentisch. Der Osservatore Romano hat das Interview auch gleich nachgedruckt und damit semi-offiziell gemacht.
Eine Woche später ruderte Scalfari zurück, er gab zu, beim Interview weder Aufzeichnungen gemacht noch ein Aufnahmegerät benutzt zu haben, eigentlich Journalismus Lektion Eins. Außerdem ist der Herr 89 Jahre alt. Keine Vorurteile gegen alte Menschen, aber das Gedächtnis wird im Laufe eines Lebens nicht unbedingt besser.
Und nun – heute – sagt Scalfari vor Journalisten, dass er versuche, die Person zu verstehen, die er interviewe und dann in seinen eigenen Worten (Scalfaris!) dessen Antworten niederzuschreiben. Scalfaris Worte geben also das wieder, was er vom Papst verstanden hat. Oder glaubt, verstanden zu haben.
Scalfari mag das vielleicht Journalismus nennen, im Rest der Welt nennt man das Belletristik. Roman. Novelle. Irgendwas, aber nicht belastbaren Journalismus. Mit dieser Methode ist nichts überprüfbar. In indirekter Rede merkt man ja, dass es eine Bearbeitung ist. In direkter Rede, im Zitat, wird mir als Leser Authentizität suggeriert. Und die – so gibt es Scalfari nun zu – besteht nicht.
Und ob und wie der Papst dann gesagt haben soll, dass das ok sei, ist unerheblich. Wenn ich direkte Rede schreibe, muss das auch direkte Rede sein. Alles andere ist nicht zu rechtfertigen.
Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen an den Redaktionstischen in Deutschland: Denkt an die Entstehungsgeschichte dieses Interviews, wenn ihr eine Geschichte aus einer italienischen Zeitung übernehmt.