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Schlagwort: Kultur

Die Kirche aus dem Kabel: 5 Thesen zu Internet und Glaube

Veröffentlicht am 6. Mai 20206. Mai 2020
Vernetzte Religion Neue Welt! Neuer Mensch? Neue Religion? Foto: Dongdaemun Design Plaza in Seoul

Wir streamen Gottesdienste und freuen uns, dass es so viele neue Initiativen gibt, die uns in Corona-Zeiten das Kirche-Sein ermöglicht. Vielleicht nur als Übergang, vielleicht mit ganz neuen Ideen, aber hier ist ein Schub zu erkennen. Vernetzte Religion bekommt auf einmal eine ganz neue Wucht.

Vernetzte Religion

Gut oder nicht gut? Wie immer ist das nicht eindeutig zu entscheiden. Klar ist aber, dass das alles nicht einfach eine Verlegung des Bisherigen ist. Das neue Medium prägt Religion und wird das zunehmend tun. Dazu habe ich so meine Gedanken, ich formuliere sie mal als These. Das mache ich nicht zum ersten Mal an dieser Stelle, aber auch unter Einbeziehung jüngerer Erfahrungen „aus diesen Zeiten“ würde ich sie halten und zur Diskussion stellen.

These 1, oder die Frank Schirrmacher These

Es gibt vor allem in den USA die Vorstellung, die Zunahme der Wichtigkeit des Internets führe gleichzeitig zu einer Abnahme der Wichtigkeit von Religion. Untersuchungen glauben, das auch belegen zu können. Die Begründung dahinter: Religion wird durch Wissen besiegt, Internet stellt Wissen unkontrolliert und unzensiert zur Verfügung, daraus folgt eben ein Mehr an Aufklärung. Hier interessiert mich die zweite Annahme: Internet stellt Wissen zur Verfügung. Das tut es nämlich nicht, jedenfalls nicht so einfach und deutlich.

Sie kennen das Phänomen: Sie buchen eine Reise, sind dann bei Amazon unterwegs und bekommen Bücher zum Reiseziel angeboten. Algorithmen bestimmen, was wir zu sehen bekommen.

Dazu kommt: In den USA gibt es bereits Software, die Nachrichten schreibt. Das geht schneller, als einen Redakteur dran zu setzen. Packen wir das eine mit dem anderen zusammen, dann gehört nicht viel Phantasie zur Vorstellung, dass in nicht allzu langer Ferne jeder von uns spezifische Nachrichten generiert bekommt. Sprachstil und Inhalt, je nach eigenen Präferenzen. Sie bekommen dann von der gleichen Seite zum gleichen Thema eine andere Meldung als ich geliefert, Frank Schirrmacher (verstorbener FAZ-Herausgeber) hat das in Buch und Interview ausgefaltet, deswegen habe ich die These nach ihm benannt.

Weswegen das wichtig ist: Die Orientierung nach der Algorithmen Dinge für uns aussuchen ist der Konsum. Und eben nicht die Aufklärung. Auf die Religion angewandt: Es entsteht im Netz eine marktgerechte und konsumorientierte Form von Religion und Religionsdiskurs.

These 2, oder die Blog-These

Seit 2011 betreibe ich meinen eigenen (diesen) Blog. Da versammeln sich in der Kommentar-Spalte alle möglichen Meinungen. Und wenn ich im Netz auf anderen Blogs herumlese, oder besser noch auf anderen sich mit Glauben und Kirche befassenden Seiten, dann zeigt sich ein Bild: Selten kommt es zu einer wirklich interessanten Debatte. Web 2.0 ist also noch weit weg, wirkliches Engagement wird nur von einer wirklich sehr kleinen Gruppe betrieben.

Eine kleine Begebenheit: Bezüglich der Friedensgebete für den Nahen Osten im Vatikan hatte ich das Beten der Sure durch einen Imam verteidigt. Daraufhin kamen die üblichen Muslim-ist-böse Kommentare. Ich habe einen Islamwissenschaftler gefragt, der das erklärt hat. Und darauf kam dann der Kommentar eines Users, die Zeit der akademischen Wissenschaft sei vorbei, sie werde abgelöst durch den Privatgelehrten (wörtliches Zitat), der sich seine Informationen selbst besorge und nicht im Elfenbeinturm lebe. Also: Keine wissenschaftlichen Standards mehr, keine peer-control, jeder darf sich seine Welt und sein Wissen zusammen basteln. In Bezug auf die Religion: Alle sind wir auf einmal Fachleute. Begründungen, Wissen, Argument, rigoroses Denken, intellektuelle und akademische Ausbildung, das alles wird weniger wichtig. Religion wird zu einer persönlichen Welt, widi-widi-wie sie mir gefällt. Und das ist schädlich.

These 3, oder die Freiheits-These

Früher haben Journalisten entschieden, was Nachricht ist und was nicht. Journalisten haben Kriterien, etwas kommt in die Sendung oder ins Blatt, etwas anderes nicht. Medien hatten früher die Hoheit über Themen, Selbstbefragung und Selbstauslegung der Religion in den Medien fand nach den Regeln der Journalisten statt. Das ist nicht mehr so.

Ein Beispiel: Als der Papstwechesel 2013 anstand, hatten die meisten Redaktionen in Deutschland das nicht für wirklich interessant gehalten. Die Menschen aber schon, das Internet hat das Interesse widergespiegelt und die Redaktionen mussten hinterher laufen.

Es gibt kein Leitmedium mehr, das die Menschen und ihr Interesse ignorieren kann, Religion ist interessant, egal ob es den Nerds bei diversen online-Medien passt oder nicht. Das schafft Freiräume für mehr Diskurs.

Sie sehen, nicht alle meine Thesen sind negativ.

These 4, der die Zoo-These

Es ist ein Zoo da draußen. Es gibt Kampagnen und reine Kampagnen-Webseiten zu Religion und vor allem Kirche im Internet, Pöbeleien, jegliche Form von Schmähungen. Es gibt die Erregung, die Lautstärke, die Irren und Wirren, all diejenigen, die uns nicht denken lassen wollen sondern irgendwelche Gefühle, vor allem Angst, ansteuern. Das gibt ihnen nämlich Macht.

Da gibt es Goodwin’s law auch in Bezug auf die Religion.

Da gibt es, was ich „Relevanzverwirrung” nenne, also das Durcheinander von Bedeutungen. Was bedeutet was für was?, da wird gerne mal ein Kurzschluss für einen Geistesblitz gehalten.

Da wird souverän von Inhalt auf Person umgestellt, man spielt den Mann, nicht den Ball, um aktuell zu sein.

Das macht etwas mit Religion, das lässt uns in der Wahrnehmung wie komische, wirre, merkwürdige und manchmal bösartige Diskurse erscheinen.

Das macht etwas mit Religion, vor allem der organisierten Religion, vor allem auch mit inner-religiösen / interkirchlichen Diskursen.

These 5, oder die neue-Heiden These

Es entstehen neue Religions-Cluster, Verbindungen, Gruppen, Interessen, die sich nicht an den traditionellen Vergemeinschaftsungsmustern und Hierarchien orientieren. Christen, die an Reinkarnation glauben oder an Astrologie, Neuerfindungen des Heidentums mit Druiden und so weiter. Neue Religionsformen entstehen, allerdings ohne „Realität”, also ohne Gemeinschaft, ohne die Schwierigkeiten des Alltags, ohne all das, was Religion ausmacht.

Online-Rituale wie etwa Postings für Verstorbene sind zwar bislang nur ein Randphänomen, nehmen aber zu und werden prägender. Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, über das Netz einen „Tzetel” in der Westmauer, der so genannten Klagemauer, in Jerusalem zu hinterlegen. Oder in einem online-Hindutempel kann man Rituale per Kreditkarte ordern.

Das wird Auswirkungen auf die realen Religionen haben. Welche genau, das wissen wir noch nicht. Das testen und probieren wir noch, die Corona-Dynamik schiebt uns da mächtig an.

Die Druckerpresse Ende des 15. Jahrhunderts veränderte Religion, das Sprechen und das Nachdenken über Religion. Jeder konnte auf einmal eine Bibel in der Hand halten (wenn er oder sie das Geld dazu hatte), Wissen wurde in bis dahin unbekanntem Maß verbreitet.

Bildung, Bildung, Bildung

Genau dasselbe geschieht nun durch das Internet. Europa reagierte damals auf diese Verbreitung des Wissens mit der „Erfindung” der Schule, wie wir sie heute kennen. Dasselbe muss meiner bescheidenen Meinung nach heute geschehen.

Schlussthese: Die richtige Weise des Umgangs und damit der positiven Nutzung des Internets für Religion und darüber hinaus für Glauben lautet: Bildung, Bildung, Bildung.

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Zur Transparenz: Die Thesen sind eine Überarbeitung von Thesen, die ich hier 2014 das erste Mal vorgelegt habe.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Kunst, Kultur und Können, Neulich im InternetSchlagwörter Corona, digital, Internet, Kultur, Messe, Netz, These4 Kommentare zu Die Kirche aus dem Kabel: 5 Thesen zu Internet und Glaube

Und was hat Amazonien nun davon?

Veröffentlicht am 27. Oktober 2019
indigene Kultur Kirche in einem indigenen Dorf in Amazonien, aufgenommen bei meinem Besuch im Mai

Der Uluru, der heilige Berg der Aborigines in Australien, darf nicht mehr bestiegen werden. Eine Nachricht, die Freitag in den Nachrichten und Samstag in den Zeitungen groß erschienen ist. Den Berg kennen wir alle, von Bildern her, ab jetzt ist er aber wieder ganz und gar der indigenen Kultur Australiens gegeben, den Aborigines.

Australien hat in unserem Fall auch mit Amazonien zu tun, indigene Kultur ist hier das Stichwort: An diesem Wochenende geht in Rom die Bischofssynode zum Thema Amazonien zu Ende, in den vergangenen Wochen hatte ich hier an dieser Stelle von meinen eigenen Begegnungen dort berichtet. Jetzt liegt das Abschlussdokument vor, abgestimmt und dem Papst vorgelegt und damit ist die Synode zu Ende. Eine gute Zusammenfassung finden Sie hier.

Indigene Kultur

Die gesammelten und beratenen und schließlich abgestimmten Ideen sollen einer klar umrissenen Weltgegend und auf klar bestimmte Probleme reagieren. Das „indigene Angesicht der Kirche“ findet sich deswegen immer wieder. Nicht eine Kirche, die dann auf eine lokale Wirklichkeit angewandt werden soll, das wäre die beklagte Kolonisierung. Sondern eine Kirche, die in der Kultur sichtbar wird – und zwar kritisch genau so wie bejahend.

Besonderen Ausdruck findet das in der Frage nach einem eigenen Ritus für die Liturgie. Von einem liturgischen Pluralismus ist dort die Rede (116) und davon, dass es ja bereits 23 Riten in der katholischen Kirche gebe. Das könne Vorbild sein. Mein erster Gedanke: so einfach ist das nicht, es gibt nicht 23 Riten in der einen Kirche, es gibt 23 Kirchen, die mit Rom uniert sind. Da geht es eben nicht nur um Riten. Aber nun gut, das wird dann das Thema der anschließenden Beratungen sein. Ob aber – wie der Papst in seinen Abschlussworten gesagt hat – ausgerechnet eine vatikanische Kongregation das richtige Mittel zur Entwicklung einer solchen Liturgie ist, das wage ich eher zu bezweifeln.

Liturgischer Pluralismus

Die Frage nach der Liturgie bzw. dem eigenen Ritus für Amazonien finde ich aber hoch spannend. Vor allem deswegen, weil es die meisten Punkte des Papiers bündelt. Hier geht es um indigene Kultur, um Wertschätzung, um Glaube und Kirche, letztlich im Wort „Kosmovision” anklingend auch um Umwelt und Schöpfung. Liturgie und Gottesdienst sind eben keine Anhängsel an die wirklich wichtigen Themen, hier bündelt sich christlicher Glaube und kirchliches Leben.

Ein Wort noch zu einem anderen Thema: War die Debatte um verheiratete Priester nun eine Ablenkung von den wirklich wichtigen Themen? Vorausgesetzt, man legt selber fest, was wichtig ist und was nicht. Die erste KNA-Meldung nach der Abschlusspressekonferenz jedenfalls hatte nur das zum Thema, als ob es bei der Synode um ein Votum um die Frage zu verheirateten Priestern gegangen sei. Wenige Minuten später legte die NYTimes nach, und andere dann auch. Die Nachricht zum Ende der Synode war gefunden.

Die verheirateten Priester

Ich hatte ja hier schon einmal gesagt, dass das nicht der böse Wille von Journalisten ist, sondern schlicht ein Thema, wo Kirche zeigen kann, dass sie selbst sich zu ändern bereit ist. Bei Umwelt-Themen etc. liegt es nicht allein an der Kirche. Es ist also eine berechtigte Frage. Im Abschlusstext findet man es in der Nr. 111, ein langes Stück über die Zentralist der Sakramente und das Recht der Gläubigen.

Trotzdem: Wenn ich das richtig lese, dann geht es nicht um einzelne abgegrenzte Themen. Man kann die Frage nach den Priestern und der Seelsorge insgesamt nicht losgelöst vom Kontext behandeln. Sonst debattiert man nur die eigenen Probleme unter dem Deckmantel Amazoniens. Es ist ein dünn besiedeltes Gebiet, und wie immer wieder betont wurde braucht auch die katholische Kirche Präsenz-Seelsorge, nicht Besuchs-Seelsorge, um ein Wort von Kardinal Schönborn aufzugreifen.

Präsenz-Seelsorge, nicht Besuchs-Seelsorge

Und hier kommt wieder die indigene Kultur ins Spiel. Die Synode hat versucht, auf lokale Fragen Antworten zu geben, bei den verheirateten Priestern geht es ausdrücklich um die „entlegensten Gebiete”, nicht um eine allgemeine Regelung. Und diese Antworten passen dann auch in genau diesem Kontext. Das es in unserer globalisierten Welt nicht mehr beschränkbar ist, versteht sich von selbst und damit hat so ein Votum natürlich auch eine weltkirchliche Bedeutung. Alles andere wäre ja auch naiv. Und ich bin mir sicher, dass interessierte Kreise ziemlich schnell auf diese Voten einschlagen werden.

Aber noch einmal: um zu verstehen, was die Synode da beraten und abgestimmt hat, muss man den Kontext mitdenken. Und fragen, was nun Amazonien und was die indigene Kultur von den Überlegungen hat. Die Frage hier lautet also, ob die gegebene Antwort Probleme vor Ort lösen kann oder helfen kann. Nicht, ob man das nicht auch für uns hier nutzen kann, indem man eine vom Kontext losgelöste Regelung heraus destilliert. Denn nur so erhalten wir uns auch das Recht, für unsere Probleme und Fragen eigene Lösungen zu finden.

Frauen und Ämter

Spannender finde ich hier sogar die Frage, die auch vom Dokument aufgeworfen wird (103): Da geht es um den Diakonat der Frau, also um Weihe. Man wolle mit der vom Papst eingerichteten Kommission sprechen – 2016 hatte Franziskus diese eingerichtet – und die Ergebnisse teilen. Hier wird eine Debatte aufgegriffen, die einige im Vatikan lieber vergessen wollen.

Ein weiteres Thema, das immer auch mit verhandelt wurde, ist die Synodalität. Nur halt nicht theoretisch, sondern in der Praxis, in der Übung, sozusagen. Das fünfte Kapitel des Abschlussdokuments behandelt es auch ausdrücklich, wie dieser Gedanke in der Kirche in Amazoniens gelebt und umgesetzt werden kann. Hier finden sich dann auch die Gedanken zu Frauen-Weihe und zu verheirateten Priestern. Es brauche eine „synodale Bekehrung”. Das meint aber nicht schlicht eine Macht-Umverteilung, sondern eine gemeinsame Suche nach dem Willen Gottes. Ganz kurz formuliert: Glaube und Verkündigung geschieht im Gemeinsamen, oder es geschieht gar nicht.

Hilft das nun Amazonien? Die Preisfrage. Das Dokument ist erst einmal genau das: ein Text. Es ist nun am Papst, diese Beratungen anzunehmen und selber etwas draus zu machen. Aber auch dann ist das Ganze, wie etwa Laudato Si’ oder Evangelii Gaudium, auch nur Text. Und wie man an den genannten Texten sehen kann, helfen die alleine noch nicht viel. Text ist Text, mehr nicht. Wenn das dann nicht gelebt wird, und hier geht es um Haltungen mindestens so sehr wie um einzelne Aktionen, dann bringt so ein Text gar nichts.

In diesem Sinne hat die Amazonien-Synodalität einen wichtigen Schritt gemacht, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das weiß auch die Synode, und formuliert einen ziemlich steilen Anspruch. Das Dokument beginnt mit einem Bibelzitat, aus der Offenbarung (21: 5):

„Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu. Und er sagte: Schreib es auf, denn diese Worte sind zuverlässig und wahr!”

Die Aborigines in Australien haben ihren heiligen Berg wieder, ein konkreter Schritt für sie und ihre Kultur. In der Kirche braucht es viele solcher Schritte, um die Ideen, Vorschläge und Forderungen wirklich werden und den Menschen in Amazonien zu Gute kommen zu lassen. Und nur so wird Kirche dort weiter leben können. Ein wichtiger Schritt, nicht mehr aber auch nicht weniger.

 

Kategorien Allgemein, Bischofssynode, Franziskus, Geschichte, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, Sprechen von GottSchlagwörter Amazonien, Bischofssynode, Gerechtigkeit, Indigene, Kultur, Papst Franziskus, Zölibat6 Kommentare zu Und was hat Amazonien nun davon?

Der Widerständige

Veröffentlicht am 5. Oktober 201913. August 2019
Landwirtschaft bedroht das Leben Francisco und ein Teil seiner Familie

Er sieht nicht aus wie ein Großvater: Francisco Paraibo da Silva ist ja auch erst 43 Jahre alt, da vermutet man das auch nicht. Wir besuchen ihn und seine Familie vom Volk der Mura am Fluss Madeirinha. Aber Francisco sieht auch nicht aus wie einer, der eingeschüchtert wird. Das wird er aber, Landwirtschaft bedroht das Leben der Mura.

Landwirtschaft, das bedeutet vor allem Viehwirtschaft durch Weiße. „Eindringlinge“ nennt sie Francisco, der auch der gewählte Kazike der Dorfgemeinschaft von Taquara ist. „Invasoren“ seien das. Als wir ankommen, wird gerade ein Jubiläum in der Schule gefeiert. Der Kazike ist nicht gekommen, er will nicht auf die Vertreter der Regierung treffen, das gäbe zu viele Spannungen. Und das passe nicht zum Fest, sagt er.

Weiße Landwirtschaft bedroht das Leben

Die Familie lebt in einer Doppelhütte am Fluss, einfache Holzbohlen, drei Wände, ein einziger großer Raum für alles, was es im Leben so gibt. Seine junge Tochter kümmert sich um ihr eigenes Kind, andere Töchter kochen Hühnchen, Fisch, Reis und Bohnen, das Essen was wir hier überall bekommen. Und bringen Obst herbei, diese unglaublich schmeckenden Früchte Amazoniens.

Und Francisco erzählt, von den Drohungen, von den Vorladungen die er erhält und die er schon wegen der Distanz nicht wird einhalten können. Und wer soll in den Tagen der Reise dann das Essen herbei schaffen?

Einschüchterungen

Einer seiner Söhne ist verletzt. Eine Machete hat ihm beim Holzhacken getroffen, am Abend nehmen wir ihn dann mit zum nächsten Arzt. Da kann er jetzt nicht weg. Das sei alles Schikane, sagt er.

Aber er weicht nicht. Die Weißen mit ihren Büffeln kommen und trampeln seine Pflanzen weg. Die lokale Regierung sei auf deren Seite oder gar mit ihnen verwandt, da stünden die Indigenen schwer unter Druck.

Er weicht nicht

Aber er weicht nicht. Er kommt eher sanft rüber, aber von sich selber sagt er, dass er Mut habe und auch deswegen nun schon seit zehn Jahren Kazike des Dorfes, immer wieder gewählt. Seine Leute schätzen seine Hartnäckigkeit. Eben weil sie menschlich rüber kommt.

Francisco weicht nicht. Einige aus dem Volk und auch aus dem Dorf machen es wie die Weißen und schaffen sich Büffel an. Andere arbeiten sogar auf den kleinen Rinderfarmen, die Konfliktlinie ist also gar nicht so klar und deutlich. Aber er will sein Volk, sein Dorf, seine Kultur erhalten.

Smartphone und eine Angel

Einen Tag verbringe ich mit der Familie, und mit Gästen, man ist selten allein. Sprachlich geht das fast gar nicht, da müssen die sprichwörtlichen Hände und Füßer her. Aber das ist auch nicht wichtig. Seine Kinder haben Smartphones in den Händen, was merkwürdig aussieht in der sehr schlichten Hütte. Sie tragen Fußballer-Shirts, im Raum steht ein Fernseher, auch wenn die Satelliten-Schüssel gerade nicht funktioniert.

Francisco und ein Teil seiner Familie
Zwei Hütten, eine Familie

Aber wenige Minuten später sitzen sie unten am Fluss, fischen oder nehmen ein Huhn aus, das gehört so selbstverständlich dazu wie das Smartphone.

Abgeschnitten ist er nicht von der Welt, zurück gezogen lebt seine Familie nicht. Nur weichen wollen sie auch nicht. Nicht dem Büffel, nicht den Einschüchterungen, nicht den Weißen. Sie wollen ihr eigenes Leben leben, sagt mir Francisco.

 

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Der Baum

Veröffentlicht am 1. Oktober 201913. August 2019
Regenwald Amazonien Unterwegs auf einem Amazonas-Nebenfluss

Für meine europäischen Augen sieht es idyllisch aus, romantisch fast, auch ein wenig exotisch: mit dem Boot rauschen wir über einen der Nebenflüsse des Amazonas, die Regenzeit hat fast alles mit Wasser bedeckt, und dann ragen da immer wieder einzelne Bäume aus dem Wasser. Und wer wochenland immer wieder „Regenwald Amazonien“ hört und von Wald und Baum reden hört, wer mit Indigenen spricht die den Baum als Schöpfung sehen und mit Waldbauern, die ihn als Kapital betrachen, der kommt ins Grübeln.

Sind wir noch unterwegs auf dem Fluss? Oder ist es schon überschwemmtes Land? Während der Regenszeit ist das nicht einfach zu unterscheiden, und vielleicht auch nicht wichtig, ob etwas Land ist oder nicht ist eine Frage der Jahreszeit. Und damit ist die Untescheidung auch nur für uns, für die Besucher wichtig. Dem Baum jedenfalls ist es gleich, er hat sich angepasst.

„Regenwald Amazonien“

Bäume habe ich viele gesehen. Einzeln wie diesen sehen sie romantisch aus. Als Wald spannend und irgendwie fremd. Nun bin ich kein „treehugger“, wie man auf Englisch sagt, ich neige nicht zu Romantisierungen. Aber Eindruck hinterlassen diese Bäume schon.

Regenwald Amazonien
Der Baum in seiner beeindruckenden Lebensweise: als Wald

Die Indigenen sagen mir, Bäume seien Teil ihrer Welt. Nicht Objekte, Subjekte. Von Seiten der Kirche höre ich immer wieder das Wort „Schöpfung“, das alles ist geschaffen, und zur Sorge überlassen, aber eben genau zur Sorge. Unsere Sorglosigkeit im Umgang mit dem Baum droht, die gesamte Schöpfung aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das ist noch einmal eine andere Sicht, aber sie begegnet der indigenen Sicht, die beiden sind vereinbar.

Sorge und Sorglosigkeit

Gänzlich unvereinbar sind dagegen Sichtweisen, welche den Baum als Material sehen. Als Kapital. Oder als Hindernis für Entwicklung. Das werfen viele den neuen Kirchen vor, den pentekostalen. Baum wird angebaut, geerntet, benutzt und bewirtschaftet. Mehr nicht.

Das Resultat sehen wir auch. Baum, der kein Baum mehr ist, der Hindernis war für das, was jetzt Weide wurde. Kilometerlang fahren wir auf rostroten Lehmstraßen an Land vorbei, das einmal Wald war, das jetzt aber Weide ist. Den Übergang markieren verkohlte Baumstümpfe, der Wald wurde abgebrannt um Raum zu schaffen für das Vieh, für uns und unsere Nahrung. Und er kommt auch nie wieder, der Boden ist nach der Abholzung unwiederbringlich weg, das wächst nur noch Gras.

Oder es wächst der Baum in seiner Plantagen-Variante, der Eukalyptus. Schnell wachsend, monoton, und egoistisch: dieser Baum duldet keine anderen Pflanzen um sich herum. Der perfekte Baum zum Anbau. Die Monotonie dieses Baumes ist in der Reflexion um so bedrückender, als da ja mal der Reichtum der Verschiedenheit war.

Subjekt, Schöpfung, Kapital

Die Fragen drängen sich auf, wenn man durch den Regenwald fährt. Oder durch das, was mal Regendwald war. Hier hat die menschliche Kultur brutal zugeschlagen. Das alles ist keine Natur mehr, das ist Kultur. Menschengemacht.

Der Baum ist in meinen kleinen Geschichten von Begegnungen in Amazonien dabei, eben weil er eine Rolle spielt. Wie gesagt, ich will nicht romantisieren, aber am Baum kann man am ehesten ablesen, was wir Menschen machen und entscheiden. Schöpfung wehrt sich nicht, Schöpfung fügt sich, wenn man die richtigen Instrumente hat. Und die haben wir ja, das haben wir zur Genüge bewiesen.

Der Baum ist Teil des Lebens-Netzes Amazoniens, gleich in welcher Weise, als Subjekt, als Schöpfung, als Kapital. Und wenn es ihn nicht mehr gibt, dann ändert sich alles, der Klimawandel zeigt sich ja bereits auch bei uns. Der Baum ist deswegen auch ein Anzeiger, wie wir mit dem Umgehen, was uns anvertraut ist.

Ein Indikator unserer Sorglosigkeit, oder eben unserer Sorge. Und darüber hinaus: Schön ist er auch, so ein Baum.

Regenwald Amazonien
Der Baum in seiner traurigen Variante: Hier war mal Wald, hier ist nun Weide.

 

Kategorien Allgemein, Bischofssynode, Franziskus, Glaube und GerechtigkeitSchlagwörter #SinodoAmazonico, amazonas, Amazonien, Kultur, Natur, Papst Franziskus2 Kommentare zu Der Baum

Heiler, Richter, Beter

Veröffentlicht am 29. September 201913. August 2019
Geistliche Autorität Raimondo Maciel da Rocha Filho, Pajé von Murutinga

Wer ein Problem hat, der geht zu ihm: Raimondo Maciel da Rocha Filho ist der Pajé von Murutinga, einem Dorf des indigenen Volks der Mura. Wer krank ist, der ruft zuerst ihn, dann erst die Krankenpfleger von der Gesundheitsstation. Pajé, das ist so etwas wie der Schamane, Heiler, aber auch Beter und früher auch Richter im Dorf.

Würde, Macht, geistliche Autorität, das alles stellt man sich anders vor. Maciel da Rocha ist 83, ein netter Herr, der leise spricht und in Gruppen nicht besonders auffällt. Soll heißen: er steht nicht im Vordergrund. Oder drängt sich nicht dorthin. Keine Abzeichen, keine besondere Kleidung, kein Ehrenplatz.

Geistliche Autorität

Geistliche Autorität ist bei den Indigenen anders, als wir uns das vorstellen, es wird eine der spannendsten Begegnungen bei meiner Reise, aber auch eine die mir fremd bleibt. Die Vorbereitungen der Synode sprechen davon, die Weisheit der indigenen Völker ernst zu nehmen. Und der Pajé gehört dazu.

Seine Berufung und seine Fähigkeiten habe er von Gott, sagt Raimondo da Rocha mir. „Ich war noch ein Junge, ich war etwa 10 Jahre alt. Jetzt bin ich 83.” Bei meiner nächsten Frage prallen dann die Welten aufeinander. Der Pajé betet, also hat er mit Religion zu tun. Und er hat eine Rolle in der Gemeinschaft. Also denke ich natürlich, diese Rolle muss ihm übergeben worden sein. In einer Art Initiation, so etwas wie die Weihe bei uns, eine Liturgie, ein öffentlicher Akt.

Nichts da. Der Pajé spürt die Berufung und übt sie dann aus. Und allein die Akzeptanz bei den Menschen entscheidet, ob er das weiter machen kann. Keine Autorität durch eine Religion, eine Institution, eine Weihe.

Heiler

Wer ein Problem hat, geht zu ihm, das ist seine Funktion. Heiler zu sein. „Hier gibt es verschiedene Arten von Krankheiten: Krebs, Cholesterin, Diabetes und andere. Dann werde ich für die Person beten und dadurch sehen, welche Art von Krankheit sie hat, damit ich die Medizin herstellen kann. Und wenn ich nicht helfen kann, dann schicke ich den Arzt, um der Person eine andere Art von Medizin zu geben. Dann wird die Person untersucht, damit der Arzt sie behandeln kann. Die Medizin, die ich gebe, ist nur hausgemacht.“

Es gebe Krankheiten, an die gehe er gar nicht erst heran, die brauchen auf jeden Fall sofort einen Arzt, sagt er. „Ich heile von außen. Wenn die Leute kein Wasser schlucken können, dann gehe ich dorthin und bete, nehme ein bestimmtes Blatt, lege etwas Bienenhonig hinein, nehme das Serum und gebe es der Person, die es nehmen soll.“ Er wisse, welche Baumrinde gegen Tuberkulose helfe, und wie man aus dieser Rinde einen Tee mache. Wenn wir andere Indigene fragen, sprechen die mit Ehrfurcht vom Wissen der Pajés um die Heilkräfte von Pflanzen, es gehört fest zu ihrer Kultur dazu, die Pajés pflegen dieses Wissen.

Baumrinde gegen Tuberkulose

Die Gesundheitspfleger, die wir auf der Reise treffen, haben mit den Pajés kein Problem. Immer wenn sie in ein Dorf von Indigenen gerufen würde, sei der Pajé schon da, sagt uns bei der Reise eine Krankenschwester. Das sei aber kein Problem, die Pajés wüssten genau, wann medizinische Hilfe gebraucht würde und traditionelle Heilkräfte nicht mehr reichten.

Er habe geträumt, dass er Pajé sei, erzählt Raimondo da Rocha von seiner Kindheit. Meistens bleibt die Berufung in der Familie, auch Raimondos Vater war schon Pajé. Früher waren die Pajés auch Richter, aber das geht mit dem brasilianischen Recht heute nicht mehr. Heute gibt es Verfahren und Prozesse, da hält er sich zurück, Richter sei er schon lange nicht mehr.

Aber noch einmal zurück zur Gretchenfrage, das mit Gott und der Religion interessiert mich dann doch. Ist das keine Konkurrenz zu den Kirchen, die hier in Amazonien seien, möchte ich von ihm wissen. Und ob er Beziehungen hat zu anderen Religionen, zu Pastoren der Evangelikalen oder zu Priestern? „Nein, nur mit Katholiken“, sagt er. Ob wohl es Evangelikale im Dorf gebe.

Die Frage nach der Religion

Gleich um die Ecke vom Gemeindehaus steht das Gebetshaus der „Assembleia de Deus“, eine der am weitesten verbreiteten pentekostalen Kirchen in Amazonien. Die wollen aber mit indigener Kultur nichts zu tun haben. Die Sprachen der Völker, ihre Trachten und Gebräuche, das sei alles Teufelszeug. Und deswegen auch der Pajé und seine geistliche Autorität.

Nur die Katholiken und woanders auch Baptisten versuchten, die indigenen Kulturen zu erhalten, hören wir immer wieder.

Raimondo da Rocha schweigt dazu. Er sagt nichts Negatives. Gott habe ihm diese Gabe für die Gemeinschaft gegeben, und das mache er.

 

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Zwischen den Kulturen

Veröffentlicht am 23. September 201913. August 2019
Indigene Kultur in der Spannung Ausdruck ihrer Kultur: Ticuna führen ihre Tänze und Musik vor

„Ich bin Ticuna, und ich bin Brasilianerin“: Omaida Pereira Vasquez muss nachdenken, die Frage hatte sie so nicht erwartet. Ob sie sich mehr als Ticuna oder Brasilianerin fühle, wollte ich wissen. Sie lebt die indigene Kultur in der Stadt, in Manaus, gemeinsam mit anderen ihres Volkes der Ticuna in einer Gemeinschaft. Aber sie will auch wieder zurück. Sie lebt indigene Kultur in der Spannung.

Wir waren eingeladen im Kulturzentrum, dass den Ticuna von einer europäischen Botschaft geschenkt worden war. Nichts Großartiges, eines der üblichen Holzhäuser, ein Raum, aber eben nur für die Ticuna und ihre Kultur da.

Indigene Kultur in der Spannung

Geboren wurde Omaida Pereira im angestammten Land der Ticuna, dort wo sich Peru, Kolumbien und Brasilien treffen. Bis zu 1.500 Kilometer weg von Manaus ist das, oder wie es Omaida sagt: Acht Tage im Boot.

Sie ist sowas wie Teilnehmerin in einem Experiment. Weil sie Bildung wollen, kommen die Ticuna in die Stadt. Sie selber erzählt, dass sie bis sie 30 Jahre alt war nicht mal aus ihrem Dorf heraus gekommen ist, jetzt hat sie studiert und ist Lehrerin. Ihr Mann sei schon zurück im Dorf, auch er ein Lehrer. Und dahin wolle sie auch wieder.

Sie möchte wieder zurück

Die Ticuna in Manaus wollen aber auch in der Stadt Ticuna bleiben, wir bekommen eine Vorführung ihrer Musik, ihrer Tänze. Und mir stellt sich automatisch die Frage, ob das noch Kultur ist, oder ob das hier in der Stadt nicht schon in Folklore abgleitet. Und ob das überhaupt vermeidbar ist.

Omaida ist da eindeutig, sie versteht meine Frage, ist aber nicht einverstanden. Nein, das sei nicht nur Musik, da seien auch die Werte. Ihre Kleidung sei nicht nur exotisch, da stecke der Bezug zur Natur und zur Umwelt drin. Und wenn die Kinder mit ihr als Lehrerin auch ihre Sprache lernen würden, dann würde das auch so bleiben.

Dorfkultur in der Stadt

Meine Skepsis bleibt. Sie ist zwar leiser geworden, Omaida ist eine selbstbewusste Frau die sich und anderen sicherlich nichts vormacht. Aber trotzdem, wie will man eine Dorfkultur in der Stadt erhalten? Wie eine Landwirtschaft-Kultur, wenn die Leute in Fabriken arbeiten? Wie sich der Geldkultur entziehen?

Zu Besuch bei den Ticuna kann man kultureller Transformation zuschauen. Omaida ist das beste Beispiel für das Gelingen. Studiert und urban, aber tief in ihrer Kultur zuhause und diese bewahrend. Einfach ist es nicht, sagt sie noch. Aber das ist es ja nie.

 

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„Auf beiden Seiten der Brücke“

Veröffentlicht am 19. September 201919. September 2019
für die Rechte der Indigenen einsetzen Unterwegs mit Sr. Irma Luzinete de Arauso Silva

Sich für die Rechte der Indigenen einsetzen ist wirkliche Evangelisierung: Luzinete de Araujo Silva ist Ordensfrau und arbeitet sowohl in der Seelsorge, als auch beim Cimi mit. Cimi: das ist der Einsatz für die Rechte der Indigenen. Seelsorge vor Ort, das sind vor allem die nicht-Indigenen. Damit ist sie auf allen Seiten der Konflikte, bei den Weißen und den Bauern, und bei den Indigenen. „Auf beiden Seiten der Brücke arbeiten“ nennt sie das.

Das Evangelium komme so in die Welt, sagt sie im Gespräch, „inkarniert“ werde es. Der Einsatz für die Menschen, die niemanden auf ihrer Seite hätten oder denen nur mit Vorurteilen begegnet würde, das sei echter Einsatz für die Frohe Botschaft.

Sich für die Rechte der Indigenen einsetzen

„Ich sehe, dass Cimi wirklich ein Evangelisierungswerk im wahrsten Sinne des Wortes vollbringt“, sagt Sr. Lucinete. „Denn zu evangelisieren bedeutet, sich um das Leben zu kümmern, das Leben in den Mittelpunkt zu stellen. Und die Aktivitäten, obwohl sie nicht direkt verkündend, sakramental oder pastoral sind, haben in ihrem Zentrum die Sorge um das bedrohte Leben.“ Jeder solle das Leben haben, und es in Fülle haben.

Die Seelsorge in der Gemeinde in dem kleinen Dorf, das sich ihre Gemeinschaft als Ort ausgesucht habe, bringe sie hingegen in Kontakt mit den Weißen, den Holz- und Viehwirten. Auch die gehörten zur Realität Amazoniens hinzu.

Amazonisierung der Welt

Wir fahren auf einem der vielen Flüsse, unterwegs zu einem Dorf um dort das Volk der Mura zu treffen. Das mache sie täglich, drei verschiedene Völker gebe es hier, mit Gruppen sei sie unterwege, diese zu besuchen, zuzuhören, zu helfen und Glauben und indigene Kultur zusammen zu führen.

Die Kultur in Amazonien sei besonders, Amazonien sei besonders, sagt Sr. Lucinete. „Wir hoffen von der Synode, dass die Kirche diese Besonderheit anerkennt und dass sie die Kultur hier akzeptiert. Die Kirche muss die Art und Weise der Kultur annehmen, wir brauchen sozusagen die Amazonisierung der Welt, nicht umgekehrt“, sagt sie lachend.

Aber die Synode finde ja schon statt, fügt sie an, hier in Amazonien, an den Orten an denen sie Gespräche führe, sei es mit Indigenen, sie es in den Gemeinden. In den Studiengruppen, den Diskussionen. „Neue Wege der Kirche, das passiert bereits“. Dass sich jetzt durch diese Synode in Rom alles auf einmal ändern würde, glaube sie hingegen nicht.

Nicht warten auf ein Dokument

Das Neue sei nicht so sehr von einem Dokument zu erwarten, dass die Synode im Oktober produziert. Das Neue, das komme in den Gesprächen vor Ort. „Das Neue wird geboren, wenn die Gemeinden vor Ort dieses Neue annehmen und nicht erwarten, dass dieses Dokument kommt.“ Die Synode könne eher sowas sein wie ein Schlusspunkt oder wie die Zusammenfassung dessen, was hier in Amazonien alles passiert.

Beide Seiten der Brücke – das heißt, dass nicht nur die Indigenen diesen neuen Weg gehen. Das gelte für die gesamte Kirche. Weiße und Indigene, am Fluss oder im Dorf.

 

Kategorien Allgemein, Bischofssynode, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter #SinodoAmazonico, Amazonien, Bischofssynode, Dokument, Indigene, Kultur, Verkündigung1 Kommentar zu „Auf beiden Seiten der Brücke“

Christianisten unterwegs

Veröffentlicht am 27. Juli 201926. Juli 2019
Bildungstouristen in Kirchen Fresco im Benediktinerkonvent von Subiaco

Eine Busfahrt in Rom. Ich stehe neben zwei deutschsprachigen Touristinnen, und weil ich weder kurze Hosen noch T-Shirt oder dergleichen Strandkleidung in der Stadt trage, halten die mich für einen Einheimischen. Und reden laut. Bildungstouristen in Kirchen, darum ging es.

Die beiden Damen waren gerade in San Luigi die Francesi gewesen und hatten sich die beiden Caravaggios dort angeschaut. Und sie beschwerten sich, dass man die so schlecht sehen könne, weil sie an den Seitenwänden eine Kapelle hingen. In einem Museum wären die doch viel besser aufgehoben.

Bildungstouristen in Kirchen

Dass die beiden Bilder für die Kapelle gemalt wurden und selbst der Lichteinfall abgestimmt ist, das lassen wir da mal beiseite.

Und dann ging es um eine andere Kirche, dort hatten die beiden eine Darstellung Jesu Einzugs in Jerusalem gesehen. Und die beiden überlegten, ob es da nicht auch sowas wie ein Fest zu gäbe. „Palmsonntag“ wollte ich zurufen, aber habe mich dann doch zurückgehalten.

Nun kommt das jetzt von mir sehr schnöselig herüber, herablassend. Aber mir hat sich da schon die Frage gestellt, wie man etwa Caravaggio richtig sehen will, wenn man nicht weiß, worum es da geht.

Wissen worum es geht

Die Kulturleistungen der Christen sind erheblich. Kirchen, Gemälde, Theater, Literatur, überhaupt Sprache und Bildwelt: Europa ist voll von christlichem Erbe. Muss ich nun das Christliche auch kennen, um das sehen und hören und wertschätzen zu können?

Ja, ich glaube das geht. Man kann das achten, wertschätzen, sogar verstehen, wenn auch notwendigerweise immer eingeschränkt. Vielleicht sehen Menschen, die nicht sofort die christliche Geschichte und vielleicht die Predigten dazu im Kopf haben, auch ganz andere Dinge? Die Christen nicht sehen? Haben einen Zugang zur Kunst wie wir Christen zu nichtchristlicher religiöser Kunst?

Ich bitte also nachträglich um Nachricht für meine Schnöseligkeit.

Nicht nur schnöselig

Trotzdem: Es fehlt was. Ein Altarbild ist eben kein Gemälde und Fresken haben einen Ort und durch diesen Ort einen Sinn. Ein Caravaggio an der Museumswand verliert seinen Ort, die Kirche. Das Christliche ist eben nicht nur der Ursprung, Kunst ist nicht nur Bebilderung oder Vertonung. Sie will genuiner Beitrag sein.

Und: ich kann das Christliche auch nicht allein auf Kulturleistung zurückführen. Ein Bild oder ein Oratorium steht in Spannung zu gelebtem Christentum. Es ist nicht nur Kultur, ohne den Sinn- und Vollzugszusammenhang.

Der Theologe Remi Brague hat den Begriff der „Christianisten“ geprägt. Das sind Menschen, die das Christliche achten, es dabei aber dann auch belassen. „Die Leute, die diese Errungenschaften geleistet haben, waren eben keine Christianisten, sondern echte Christen. Sie taten, was sie taten, weil sie an Christus glaubten und nicht nur allgemein an die westliche oder abendländische Kultur.“ Das steckt in christlicher Kunst eben auch drin.

 

Kategorien Allgemein, Geschichte, Kunst, Kultur und Können, Rom, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Christentum, Kirchen, Kultur, Kunst, Tourismus21 Kommentare zu Christianisten unterwegs

Die Flöte der Populisten

Veröffentlicht am 26. April 201921. April 2019
Identität im Wandel Mao, Moderne und Museum: Warhols kopierte Kopien

Andy Warhols Mao-Bilder sind witzig. Zum einen greifen sie chinesische Macht-Darstellung auf, gleichzeitig unterwerfen sie diese westlichen Werbe-Darstellungen. Und durch die Kopien wird das auch noch ironisiert. Identität im Wandel und in der Brechung, sozusagen.

Wer nun wirklich dieser Mao war, das scheinen uns die Bilder zu sagen, ist nicht klar. Und wir sollten uns da auch nichts vormachen: auch das Ursprungsbild kann uns das nicht sagen. Es ist nicht weniger aufgeladen als die Kopien.

Identität im Wandel

Über Ostern bin ich über einen Essay gestolpert, der schon viel zu lang ungelesen auf dem Schreibtisch lag: das Buch „Es gibt keine kulturelle Identität” des von mir geschätzten Autors Francois Jullien. Wie immer sehr anregend, auch wenn man nicht immer mit allem einverstanden sein muss. Aber darum geht es ja auch nicht, es geht ums Denken. Warum das mit Ostern zu tun hat, darauf komme ich gleich noch zurück.

Die These und der Titel des Buches sind natürlich provokant gewählt. Sie sind politisch.

Zu viele politische Akteure ziehen mit einer fixierten Vorstellung von kultureller Identität auf Stimmenfang, es ist sozusagen die Flöte aus dem Märchen. Sie sind das Gegenteil zu dem, was Warhol in seinem Spiel mit Identitäten macht. Sie sind Festleger von kultureller Identität, als ob es so etwas gäbe.

Kultur ist nicht fixiert

Dabei ist Kultur nichts, was ich habe oder was es gibt. Nichts Fixiertes. Das zu behaupten führt auf Holzwege. Kultur ist Wandel, war es immer schon und muss es auch sein. „Eine Kultur, die sich nicht länger verändert, ist tot“, lautet Julliens Urteil. Transformation ist Ursprung und Motor des Kulturellen, Fixierungen sind ihr fremd.

Oder in den Worten des Papstes: es handelt sich bei dem Begriff um „die charakteristische Weise ihrer Glieder, miteinander, mit den anderen Geschöpfen und mit Gott in Beziehung zu treten“. „Beziehung“ ist hier das Stichwort, nicht etwa Status (Evangelii Gaudium, 115). So verfüge das Christentum nicht über ein einziges „kulturelles Modell“.

Jullien greift uns hier unter die Arme, er spricht von „Abständen“ und weist die Vorstellung von „Distanzen“ zurück. Letztere würden feste Standpunkte voraussetzen oder entstehen lassen, je nach Perspektive. Abstände hingegen haben was von Interesse, Abenteuer, Neugierde, eben Begegnung. Nur dort entsteht Raum für Neues, und damit Kultur.

Raum für Neues

Was auch bedeutet, dass wir nicht alle gleich sind, gleich denken, und gleich ausdrücken, gleich glauben. Das ist ja das Schöne an Kultur. Eine Kultur kann nicht als Identität besessen werden, sie werde ausschließlich als Ressource genutzt. Für weiteren Wandel.

Und dann kommt noch einmal ein politischer Satz Julliens, nämlich dass Kultur niemandes Eigentum sei.  „Sie gehört dem, der sich die Mühe macht, sie zu aktivieren“. All die Rattenfänger die mit Angst spielen, erdrosseln Kultur, weil sie sich nicht entwickeln darf.

Beim Papst heißt das dann „Sakralisierung der eigenen Kultur“, mit dem Resultat eines Fanatismus, der wirkliche Verkündigung unmöglich macht (EG 117). Und hier sind wird dann beim Osterfest, oder besser bei den Begegnungen mit dem Auferstandenen. Denn nach der Auferstehung gibt es keine Heilungen mehr, keine Lehre, keine Gleichnisse. Nur noch Begegnungen. Und den Auftrag zur Verkündigung. Und das hat mit Kultur zu tun.

Nicht festhalten, nicht in Identitäten fixieren die letztlich leblos sind. Ostern bricht auf, verwirrt, stößt in jeder der Erzählungen auf Unglauben und auf Zögern. Ostern ist das Anti-Populismus-Fest. Das Fest das uns zeigt, dass ich Christentum nicht festlegen darf, nicht benutzen darf. Der Auferstandene kommt entweder durch abgeschossene Türen und durch Wände, oder er sendet aus bis an die Enden der Erde. Abgrenzungen sind das letzte, was dieser Auferstandene uns zeigt.

Eine sehr aktuelle Botschaft für heute.

 

Text: Francois Jullien, Es gibt keine kulturelle Identität. Edition Suhrkamp

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Geschichte, Glaube und VernunftSchlagwörter Identität, Jullien, Kultur, Politik, Populismus, Wandel9 Kommentare zu Die Flöte der Populisten

Glauben sehen: Der Barock und die Religion

Veröffentlicht am 3. März 20192. März 2019
Barock in der Religion Der allerbarockeste Barock: Palazzo Barberini

Sant’Ignazio, Palazzo Farnese und natürlich Sankt Peter: Rom ist nicht arm an barocker Kunst. Statuen auf der Engelsbrücke, Fassaden an den Palazzi, die ganze Anlage der Piazza Navona, und so weiter. Man kann das tage- und wochenlang genießen, oder man kann sich schnell satt sehen, und wer mit dem Barock so gar nichts anfangen kann, dem wird das schnell über. Vor allem gilt das für den Barock in der Religion. Aber dazu später.

Zunächst mein persönlicher Favorit: Das eindrücklichste Werk von all den Barock-Dingen findet sich meiner bescheidenen Meinung nach im Palazzo Barberini, am Abhang des Quirinal, ein großes Deckenfresko. Pietro da Cortona hieß der Künstler, der hier kreativ war.

„Allegorie der göttlichen Vorsehung“

Man kommt in einen großen Saal. Dankenswerterweise haben die Museeumsgestalter dort nichts hinein gestellt. Der Saal ist einfach groß und hoch und leer und ganz anders als etwa in einer Kirche haben die Wände keine Verzierung, der Saal hat auch keine Blickrichtung auf einen Altar.

Und nach Oben öffnen sich Räume. Man schaut durch die Decke hindurch ins Himmelreich, sehr plastisch und sehr hoch hinauf. „Allegorie der göttlichen Vorsehung“ heißt das, und es hat viel mit den Auftraggebern, der Familie Barberini zu tun.

Wir wissen alle, dass das gemalt ist, aber hier lassen sich Sinne und Augen im Besonderen doch zu gerne täuschen. Man schaut hier durch die Decke hindurch.

Durch die Decke hindurch

Das Dargestellte hat nicht unbedingt was mit Realität zu tun, man sieht viele Tugenden dort. Und eine der zu sehenden Tugenden der Familie der Barbarini ist die des Friedens-Papstes, genauer des Papstes Urban VIII. Er habe den Nationen den Frieden gebracht. Ganz schön absurd, wenn man bedenkt, dass das Fresko Mitten im 30jährigen Krieg entstand. Aber es will eine andere Wirklichkeit bezeichnen.

Barock in der Religion: die Treppe iim Palazzo Bernini
Francesco Borrominis Treppe

Und wenn wir schon mal da sind: Direkt Daneben gibt es im selben Palazzo gleich ein zweites architektonisches Meisterstück des Barock, Francesco Borrominis Treppe. Eine Spitze gegen seinen Konkurrenten Bernini, der im gleichen Palazzo auch eine Treppe gebaut hat, aber ganz eckig. Dagegen setzt Borromoni die pure Eleganz. Aber das führt jetzt zu weit.

PR könnte man sagen, Identitäts-Politik, Fürsten – und das waren die Päpste damals vor allem anderen – haben sich inszeniert. Dieses Fresko ist da ein ganz besonderes Beispiel der Gattung.

Der Barock in der Religion

Der Barock oder auch die Barocke, wenn man will, laden ein in Bildern zu denken. Es ist trotz aller Bildhaftigkeit aber auch das Zeitalter der Vernunft, der Aufklärung, der Mathematik. Aber diese Vernunft ist noch nicht der Positivismus, barocke Wirklichkeit kennt noch alle Dimensionen der Welt nebeneinander, Wissenschaft und Glauben. 

Unsere Religion ist bis heute immer noch von diesem Denken und vor allem von diesem Schauen geprägt. Nicht nur, weil sehr viele unserer Kirchen barock gebaut oder umgestaltet sind. Unsere ganze religiöse Vorstellungswelt ist zutiefst von diesen An-Schauungen gefüttert.

In Bildern denken

Passt das heute noch? Immer wenn der Papst davor warnt, dass die Kirche zu einem Museum wird, habe ich so eine barocke Kirche vor Augen, ganz automatisch. Selbst Sankt Peter ist da keine Ausnahme. Die meisten Menschen kommen hier eben wegen der Kunst rein wie in ein Museum. Nicht der Religion willen.

Dabei ist der Barock vor allem eins nicht: langweilig. Hier passieren Dinge, hier passiert was, hier ist alles in Bewegung. Egon Friedell schrieb in seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“ in den 20er Jahren, dass Menschen, welche die Renaissance höher stellten als die Barocke glauben „dass man ein Kunstwerk nur dann erhaben finden dürfe, wenn es langweilig ist.“ Barock ist Theater, ist Handlung, ist nicht langweilig. Jedenfalls nicht, wenn es gute Kunst ist.

Theater, Handlung, nicht langweilig

Noch einmal die Frage: passt das heute noch? Die Geschichte-Politik der Papst-Fürsten-Familien können wir nicht mehr Ernst nehmen. Das großartige Deckenfresko im Palazzo bleibt uns museal. Gilt das auch für religiöse Kunst? Für Rubens Christusbilder? Für Sankt Peter? Für all die kleinen und mittleren Barock-Kirchen bei uns?

Wenn ich im Palazzo hoch schaue, ist mir das alles sehr fremd. Wenn ich in der Kirche auf ein Bild aus der gleichen Zeit schaue, dann gestehe ich mir dieselbe Fremdheit oft nicht ein. Schließlich ist es eine Kirche, ein  Altarbild, oder so etwas. Aber es gibt sie, diese Fremdheit. Wir leben nicht mehr im Barock, unsere Bilder sind heute andere. Deswegen müssen wir noch längst nicht alles weg- oder abtun, aber das Denken in Bildern heute läuft anders.

Da ist jetzt unsere eigene Kreativität gefragt. In der Bild- und Zeichensprache von heute Kunst schaffen, die in unseren Glauben passt, als Darstellung, als Infragestellung, als Kommentar, als Widerspruch. Ein Besuch hier in Rom in einer der großen Kirchen zeigt uns jedenfalls, an welchen Vorläufern sich Kunst messen lassen muss.

 

Kategorien Allgemein, Geschichte, Kunst, Kultur und Können, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Barberini, Barock, Fresko, Glauben, Kultur, Kunst13 Kommentare zu Glauben sehen: Der Barock und die Religion

Glauben verstehen – den Schritt heraus machen

Veröffentlicht am 9. Dezember 2018
Neue Perspektive im Glauben - Santa Sabina in Rom Draußen und drinnen: Santa Sabina in Rom

Wir hören vor dem Fest in den Lesungen während der Liturgie von Johannes dem Täufer. Was gut zur Vorweihnachtszeit passt, jedenfalls besser als die ganzen Märkte. Johannes der Täufer ist unsere Hilfe, Weihnachten zu verstehen. Und damit vielleicht zu verstehen, wie Gott immer wieder in unser Leben kommt.

Denn das ist ja nicht so ganz einfach zu verstehen. Nach so vielen Jahren und Jahrhunderten hat sich der Glaube, unsere Religion, die Kirche kulturell gesetzt.

Neue Perspektive im Glauben

Nehmen wir nur einfach mal das Wort ‘Kirche’. Wir benutzen das Wort schnell dahin, als wäre das selbstverständlich. Und laden es auf, mit Kultur, mit Bedeutung, mit Ansprüchen. Gestern habe ich zum Beispiel von einem prominenten Kardinal gelesen, der behauptete, Jesus habe die Kirche so gegründet wie wir sie jetzt vorfinden, in Leitung, Lehre, Regeln.

Dabei ist selbst die Kirchensprache nicht eindeutig. Ein Theologe hat mal nachgezählt und allein in den Konzilsdokumenten zwölf verschiedene Bedeutungen des Wortes gezählt. Im Neuen Testament kommt das Wort mehr als 100 Mal vor.

Johannes hilft uns da, weil er den Schritt macht und heraus tritt. Die Wüste ist nicht der Ort, an dem sich normalerweise Religion organisiert, Johannes sucht einen Ort außerhalb, eine neue Perspektive, ein draußen. Und damit machen auch alle diejenigen, die zu ihm kommen – bis hin zu Jesus – diesen Schritt heraus. Er gewinnt eine neue Perspektive im Glauben.

Mit Johannes dem Täufer heraus da

Ich erinnere mich an eine Tagung, bei der es darum ging, als Journalisten Religion als Religion zu verstehen und zu berichten. Es trat eine Journalistin auf, die ihr ganzes Leben hat kämpfen müssen, gegen alle möglichen Vorurteile und Benachteiligungen, bis sie dahin gekommen war, wohin andere viel leichter kommen, also in Verantwortung. Sie übernahm die Debatte, berichtete von ihrem Kampf und drehte damit die Perspektive: Religion und das Berichten darüber müsse zu einer offeneren, inklusiveren, fördernden und toleranten Gesellschaft führen.

Das Problem damit: Damit wird Kirche und Religion zum Zweck. Wir alle sind für eine offene und inklusive Gesellschaft, wir alle wollen das. Und auch aus christlichem Geist, das ist ein Auftrag, der auch aus unserem Glauben kommt. Aber dieses Verständnis von Religion tötet Religion. Es macht sie zu einem Zweck. Es ist eine Reduktion.

Die Falle ist verlockend: Der Journalist weiß angeblich, was gut und was schlecht ist und in welche Richtung sich Gesellschaft entwickeln muss. Religion wird dann vor diesen Karren gespannt. Der Bricht wird dann zu einem Messen: passt das? Oder nicht? Dementsprechend kommt dann auch die Kritik.

Eine verlockende Falle

Aber auch außerhalb des journalistischen Betriebes ist das nicht anders. Wir verstehen Religion, Kirche, Glaube oft genug in unseren Vorverständnissen, wie sollte es auch anders sein. Und da kommt Johannes und macht den Schritt heraus, schafft die neue Perspektive.

Wir reden so leichthin über „Gott wird Mensch“ oder auch über kompliziertes wie, „Gnade“ und „Vergebung“. Leichthin, weil diese Wörter so tief verankert sind, dass die Sinnspitze oft verschütt gegangen ist. Die kirchliche Binnensprache ist voll von diesen Begriffen, die davon ausgehen, dass wir wissen, wovon wir reden, bei genauem Hinsehen aber eine Neuübersetzung oder einen „Umweg“ gebrauchen könnten. Einen Schritt heraus.

Die Worte entstehen und ändern ihre Bedeutung. Es treten Assoziationen hinzu. Die Worte nutzen sich ab weil sie zu oft einfach nur wiederholt werden. Da tut der Perspektivwechsel gut.

Das hat dann auch mit Bekehrung zu tun, man kann über Johannes nicht sprechen, ohne das Wort Umkehr zu benutzen.

Es geht aber auch um Hoffnung. Der Schritt mit Johannes hilft, Hoffnung wieder zu beleben, ein Warten, das vielleicht eingeschlafen ist, wie der Papst es zum Angelusgebet heute formuliert hat.

„Noch heute sind die Jünger Jesu berufen, seine demütigen, aber mutigen Zeugen zu sein, um die Hoffnung wiederzubeleben, um zu verstehen, dass das Reich Gottes trotz allem weiterhin Tag für Tag mit der Kraft des Heiligen Geistes aufgebaut wird.“

Dazu braucht es die neue Perspektive. Und dazu hilft uns die Perspektive des Täufers.

Kategorien Allgemein, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, Sprechen von GottSchlagwörter Gesellschaft, Glaube, Kirche, Kultur, Säkular1 Kommentar zu Glauben verstehen – den Schritt heraus machen

An-Blicke

Veröffentlicht am 26. November 201826. November 2018
Blick auf den Menschen: Zwei Gemälde in der Neuen Pinakothek München Neue Pinakothek München: Übereinander gehängte Blicke auf den Menschen

Es sind zwei verschiedene Blicke auf den Menschen, zwei Blicke im Augenblick wo Tod und Leben aufeinander treffen. Zwei Gemälde in der Neuen Pinakothek in München, direkt übereinander. Mit Museen und Kunst habe ich es ja immer wieder, auch hier im Blog. Oder hier.

Aber zurück in die Pinakothek: Beide Bilder dort zeigen den Tod einer jungen Frau. Beide Bilder zeigen auch jeweils einen Mann, der schaut. Es sind aber zwei völlig verschiedene Blicke. Einmal ist es Jesus, der auf die gerade erweckte junge Tochter des Jairus schaut, einmal ist es ein Anatom, der auf eine Leiche blickt.

Blick auf den Menschen

Es ist interessant, dass beide – Anatom und Jesu – fast dieselbe Kopfhaltung haben. Und dass beide junge Frauen sich sogar ein wenig ähnlich sehen. Dabei könnte die Situation nicht unterschiedlicher sein.

Der Anatom ist dunkel, das Mädchen hell, auch wenn er noch lebt und sie tot ist. Es ist der Moment, das Ende, bei aller Zartheit wie die junge Frau gemalt ist ist da kein Leben mehr drin. Der Blick gilt also dem Körper der Frau allein, nicht dem Menschen. Denn der ist ja tot.

Bei Jesus ist es anders, er hat die junge Frau gerade aufgerichtet, sie schaut noch etwas benommen drein während die Menschenmenge um sie herum einen auffälligen Kontrast bildet. Der Blick Jesu gilt nicht dem Körper, er gilt dem Leben. Es ist eine Geschichte darüber, dass für Gott der Tod nicht das Ende ist, dass die Liebe Gottes nicht endet, wenn das Leben hier endet, sondern weiter geht.

Blick auf die unbekleidete junge Frau

Dass die beiden Bilder in der Pinakothek übereinander gehängt sind, ist eine Einladung zur Meditation über unsere eigene Blicke auf den Menschen. Sind wir Anatom, sehen wir Leben und Tod, oder können wir darüber hinaus blicken und mit dem Herrn das Leben auch nach dem Tod ansehen?

Tod ist unerbittlich, der Anatom mit seinem Blick zeigt uns das sehr deutlich. Man sieht diese Unerbittlichkeit auch im verwirrten Blick der Menschen um die Tochter des Jairus, für Jesus ist der Tod zwar ein Hindernis, aber das Leben ist größer. Die verstörte Überraschung der Umstehenden zeigt, wie fest sie mit der Unerbittlichkeit gerechnet hatten.

Der Anatom spricht auch in der Vergangenheitsform. Der Körper vor ihm war ein Mädchen. Mit Jesus hingegen blicken wir in die Zukunft, der Tod ist nicht das Ende, er verwandelt uns nicht in Vergangenheit, die Zukunft bleibt, die Hoffnung bleibt, das Leben bleibt.

Autoritäten

Was wir auch sehen ist Autorität. Eine medizinische, wissenschaftliche Autorität, deren Aufgabe es ist, mit Realitäten umzugehen. Die über diese Realität aber nicht hinaus geht, wie könnte sie auch. Aber dann gibt es auch die Autorität Jesu, die anders ist. Wo Jesus spricht, weicht der Tod. Das sprechen sehen wir nicht auf dem Bild, aber das Ergebnis – das sich aufrichtende Mädchen- zeigt uns die Wirkung. Und die Betrachter des Bildes kennen die Geschichte des „Talita kum!”.

Das ist aber noch nicht alles. Die Meditation der beiden unterschiedlichen Blicke ist das eine, es gibt da aber noch einen anderen Blick, der beide Bilder vereint. Der uns, der wir beide Bilder ansehen, vereint. Beide Bilder sind Beispiele des dezidiert männlichen Blicks auf junge Frauen. Beide Bilder sind auch dazu da, unbekleidete junge Frauen zu zeigen, machen wir uns nichts vor. Ganz egal ob es ein frommes Bild ist und der Herr einen Heiligenscheint trägt, oder ob es ein wissenschaftlich/moderner Blick des Anatomen ist, der Sachlichkeit ausstrahlt: Unser Blick, vor allem der männliche Blick, gilt den unbekleideten Frauen. Das könnnen wir heute nicht mehr unbelastet tun, und das nicht nur wegen #MeToo.

Auch das ist Teil der Meditation der beiden Bilder: was für einen Blick haben wir, habe ich? Ganz gleich, ob es der halb sachliche, halb traurige Blick des Anatomen ist oder ob es Jesus ist, der gemalte An-Blick ist nicht unschuldig. Der Mann im Bild kontrolliert die Situation, ist Subjekt, die unbekleidete Frau wird von den Ereignissen – und Männern – kontrolliert, ist Objekt.

Die Blicke sind nicht unschuldig

Unsere Blicke heut brauchen „Läuterung und der Reifung“. Das gilt für Kunst genauso wie für Glauben. Das Zitat von der  „Läuterung und der Reifung“ stammt aus Evangelii Gaudium, aus dem Teil über die Inkulturation (EG 69). Den Glauben und in diesem Fall die Darstellung von Glauben, das Erzählen des Glaubens anhand biblischer Geschichten braucht diese Läuterung. Die muss persönlich sein und betrifft Bereiche in unserem Leben, wo das vielleicht nicht angenehm ist, weil es tief sitzende Muster trifft.

Solche Bilder würde man heute so nicht mehr malen. Aber es gibt sie weiter, sie sind Teil unserer Kultur. Sie jetzt anzuschauen zeigt uns auch, wie sehr sich unsere Blicke gewandelt haben. Oder sie zeigen uns, wie sehr sie sich noch wandeln müssen.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Kunst, Kultur und KönnenSchlagwörter #MeToo, Blick, Kultur, Kunst, Mensch3 Kommentare zu An-Blicke

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