Für Jahre lag er im Zentrum meines Lebens: der Petersdom. Ich konnte nicht aus dem Haus gehen, ohne die beeindruckende Präsenz direkt ins Blickfeld zu bekommen. Präsenter kann Kirche gar nicht sein. Präsenter kann auch Gott gar nicht sein, denn schließlich ist Gott dort drin, Gott ist in der Kirche repräsentiert. Im Petersdom ist sogar so viel Gott, das ist kaum zu ertragen. In Heiligen, in Kreuzen, in Bildern, im Raum und den Kuppeln, ich kann Gott dort gar nicht suchen, da ist so viel Anwesenheit, das ist überwältigend. Für Fragen und Suche ist da kein Platz. Diese Kirche ist ein Statement.
Aber genau das ist uns heute ein Problem. Gott ist für viele, und auch vielleicht für uns, fremd. Abwesend. Wir wehren uns gegen die ästhetischen Überwältigungen, die uns im Petersdom und all den anderen Kirchen begegnen. Und das gilt nicht nur für die Ästhetik, sondern auch die Semantik: auch das kirchliche Sprechen über Gott stellt dar und stellt fest, dagegen wehren sich viel um uns herum und vielleicht auch wir selber. Darüber zu sprechen, dazu gab es in den vergangenen Tagen einen – digitalen – Kongress, „Was und wie wenn ohne Gott?“ – zum Geistlichen Leben im Verschwinden der Gottessicherheit.
Was und wie wenn ohne Gott?
Die Zustandsbeschreibung laut Kongress: „Für viele hat Gott keine Relevanz mehr, wenn sie nach Antworten nach dem Woher und Wohin suchen. Die naturwissenschaftlichen und technischen Erkenntnisschübe machen uns selbst immer mehr zu Schöpfern der Welt. Religion gilt vielen besorgten Zeitgenossen als Quelle von Macht und Gewalt. Die Missbrauchsskandale haben die Kirche als Rahmen der Gottesbeziehung diskreditiert.“
Wichtig ist das für alles religiöse Tun, auch für den Synodalen Weg, der ja nicht einfach eine Renovierung des Bestehen den sein kann, eine Runderneuerung der Struktur. Wir müssen uns in der neuen Kirche zurecht finden, die eben nicht mehr mit der Omnipräsenz Gottes und der Selbstverständlichkeit Gottes überwältigt.
Ohne die Präsenz Gottes
Gott und Welt sind sich fremd geworden, das war der Tenor des ersten Tages. Säkularer Staat und säkulare Gesellschaft, die naturwissenschaftliche und technizistische Bestreitung des Gottesglaubens, die philosophische Bestreitung des Gottesglaubens: das waren die drei Aufschläge in die Tagung.
Daran schloss sich gleich die eifrig debattierte Frage an, ob diese Bestreitungen nicht auch eine Form Gottes sei, sich uns zu entziehen. Und ob dieser Gottes-Entzug nicht auch eine mögliche Offenbarungsform Gottes sein könnte. Soll heißen: der Entzug Gottes funktioniert als Korrektiv gegen einen „allzu begriffenen Gott“, er zwingt uns zu neuen Weisen, von Gott zu sprechen.
Die Fremdheit Gottes soll fremd bleiben
Oder wie es Tomas Halik formuliert hat: der Entzug Gottes ist vielleicht ein erstes Wort, das an uns ergeht. Ein neuer Weg der Menschenzugewandtheit Gottes.
Mir ging das etwas zu schnell. Wenn dem wirklich so ist, wenn Gott fremd wird, dann müsse wir als erstes diese Andersheit, diese Fremdheit respektieren. Wenn ich von Korrektiv und Chance spreche, wird aus dem „Fremden“ gleich etwas „Eigenes“, mein Korrektiv, meine Chance. Mir geht es da eher wie den Emmaus-Jüngern: im Augenblick des Begreifen, des Schauens ist Gott schon wieder weg. Das Sprechen von Chance und Korrektiv ist mir zu vereinnahmend. Die Fremdheit Gottes soll fremd bleiben.
Spirituelle Entwürfe der Gegenwart
So sind mir die Gottes-Statements des Petersdoms zwar kunstgeschichtlich erschließbar, sagen mir aber für meinen Glauben nichts (mehr). Und das ist erst mal keine Chance, sondern bleibt Fremdheit.
Spirituelle Entwürfe der Gegenwart waren dann Thema des Gesprächs, und zwar von Madeleine Debrêl, Mutter Teresa und Chiara Lubich. Das war sehr dicht und ist sicherlich zu viel für wenige Zeilen hier im Blog. Es war aber wichtig auch in Bezug auf den dann folgenden Punkt: Missbrauch.
Zwischen Mystik und Missbrauch
Diese Spannung zeichnet unseren Gottesglauben heute aus: irgendwo eingespannt zwischen Mystik und Missbrauch. Denn wir können heute nicht über Gottes Anwesenheit oder Abwesenheit sprechen, ohne dass das vorkommt, was im Namen Gottes an Gewalt angetan wurde.
Das macht etwas mit der Gemeinschaft derer, die glauben, bekennen und verkünden und ist nicht einfach abschliebbar. Wir merken das ja auch an der Unglaubwürdigkeit der christlichen Botschaft, der wir in der Gesellschaft begegnen. Das liegt eben auch an der Unglaubwürdigkeit der Botinnen und Boten. Unserer Unglaubwürdigkeit. Kirche – die Gemeinschaft der Glaubenden – trägt bei zur Abwesenheit Gottes.
Mehr Fragen als Antworten
Und auch hier meldete sich wieder meine Vorsicht: nicht zu schnell nach Auflösungen dieser Spannung suchen. Ja, es braucht konkrete Lösungen, aber das nimmt noch nicht das Problem weg, das uns der Missbrauch von Macht auch in der Gottesfrage stellt. Allein von der All“macht“ Gottes zu sprechen, braucht Reflexion, das verweigert sich der schnellen Lösungen.
Und so komme ich mit mehr Fragen als Antworten aus der Tagung. Was eine gute Nachricht ist, finde ich. Fragen zu haben und nicht Gottes-Statements, das scheint mir der bessere Weg in eine glaubende Zukunft zu sein.
Gut, dass Sie diese Vorsicht betonen. Ich reagiere sehr empfindlich auf den verbreiteten Impuls, Krisen sofort als Chancen zu deklarieren. Ignatius wusste sehr wohl, dass sich Gott im geistlichen Leben immer wieder entzieht – manchmal derart brutal, dass alles erschüttert und sinnlos wird (Stichwort „Dritte Woche“). Dasselbe passiert natürlich auch der Kirche. Und dann gilt es erstmal auszuhalten, betend auszuhalten. Die Abwesenheit erleiden. Fragen. Klagen. Und warten, bis er sich wieder zeigt: Ganz neu, ganz anders. Ich mag den Gedanken von Johannes vom Kreuz, dass die radikale (gefühlte) Abwesenheit Gottes alle unzulänglichen Bilder und Vorstellungen von ihm, die uns im Weg stehen, geradezu aus uns herausschmilzt und vernichtet. Um ihn dann tiefer und näher zu erleben, als zuvor. Aber das dauert eben. Wir klammern uns nur zu gern an liebgewordene Vorstellungen, die uns mal Halt gaben – bis wir uns darin eingemauert hatten. Die Abwesenheit Gottes führt uns daraus in neue Freiheit.
„Fragen zu haben und nicht Gottes-Statements, das scheint mir der bessere Weg in eine glaubende Zukunft zu sein.“
Wer nicht mehr sucht hat den Weg verloren. Das passiert in unserer Zeit der verlogenen/heuchlerischen Selbstgewissheit gar zu schnell.
„Fragen zu haben und nicht Gottes-Statements, das scheint mir der bessere Weg in eine glaubende Zukunft zu sein.“
Nein, ist es nicht. Deswegen sprechen evangelikale/pentekostale Bewegungen immer mehr Menschen an, statt immer nur hadernde, zweifelnde, hinterfragende Theolog*innen und entsprechende „Theologien“.
Jahrzehntelang hat die deutsche Kirche und Theologie Gott aus ihren Betrachtungen weggelassen, Strukturen und Mensch waren (und sind) im Fokus, und jetzt wundert man sich, dass Gott irgendwie abhanden gekommen ist.
Neuevangelisierung ist der Weg und die Antwort.
Gott aus den Betrachtungen weggelassen? Das habe ich überhaupt nicht so erlebt, und ein Zurück, eine „Neuevangelisierung“ bringt uns nichts.
„Nach oben blicken reicht nicht“.
Dann NACH INNEN BLICKEN. Ich meine, das ist der Kern der Mystik: nach INNEN blicken.
wenn die Welt und (!) die Kirche durcheinander sind, vermutlich ist dafür auch der Heilige Geist gesandt worden.
Sah unlängst einen guten Film, da meinte ein alter kranker Mönch: manchmal ist besser, die Ruhe zu genießen und Gott zu suchen/finden. Sogar die Struktur vieler Gebete kann da „schaden“.
Es ist aber ein großer Schatz in unserem Glauben, dass wir zumindest die zwei Dimensionen haben: das im Inneren und die Gemeinschaft im Außen.
Vielleicht kommt nach jedem Chaos die Rückbesinnung auf die Welt im Inneren. Vielleicht ist das der Ausweg ….
Pater Hagenkord,
für Ihre wohlwollenden Worte über das neue Buch von Doris Reisinger
– ehemalige Nonne , die in der Zeit Benedikts im Orden von Priestern sexuell und geistlich mehrfach vergewaltigt wurde-
Im BR bin ich positiv überrascht- Danke,
Deswegen heisst es ja bei Johannes: „ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ Λόγος καὶ ὁ Λόγος ἦν πρὸς τὸν Θεὸν καὶ Θεὸς ἦν ὁ Λόγος“, im Anfang war das Wort und das Wort war zu Gott, und ja: Gott war das Wort(, das Gespräch, der Zusammenhang, die Vernunft!) Es heisst ja nicht: „Im Anfang war der Petersdom!“, da stimme ich ganz zu!
Ich finde es sehr treffend, wenn der Papst daran erinnert hat, daß die Kirche ein Lazarett ist und daran, daß wir in der Gegenwart im Krieg sind. (Im Krieg hat`s ja sogar auch und im Lazarett beim hl. Ignatius angefangen, oder nicht?). Und das ist ja genau auch heute die Situation, im Krieg verwundet, in Schuld als hilfloser Zeuge oder aktiv verstrickt, wo die Menschen den abwesenden, verlorenen Sinn suchen, das Wort, ein Gerades, ein Recht, wie Hölderlin es formulierte (ich stell sein Gedicht hintendran). Und da kommt mir eine Kirche, die so sehr um sich sich dreht und ihre Streitigkeiten, daß sie gar nicht Trost und Orientierung geben kann, nicht mit dem Wort nähren, und Pfingsten vergessen zu haben scheint, fehl am Platz vor. Konrad vom Kreuz hat das verstanden, offen für die Suchenden und Fragenden zu sein. Deswegen war er auch so verbunden mit Teresa von Avila.
Und jetzt noch Hölderlins Gedicht:
Lebenslauf
Größers wolltest auch du, aber die Liebe zwingt
All uns nieder; das Laid beuget gewaltiger;
Doch es kehret umsonst nicht
Unser Bogen, woher er kommt.
Aufwärts oder hinab! herrschet in heil’ger Nacht,
Wo die stumme Natur werdende Tage sinnt,
Herrscht im schiefesten Orkus
Nicht ein Grades, ein Recht noch auch?
Diß erfuhr ich. Denn nie, sterblichen Meistern gleich
Habt ihr Himmlischen, ihr Alleserhaltenden,
Daß ich wüßte, mit Vorsicht
Mich des ebenen Pfads geführt.
Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,
Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern’,
Und verstehe die Freiheit,
Aufzubrechen, wohin er will.
Ihre Aussagen kapier ich, aber den Hölderlin an dieser Stelle nicht ganz.
Kann man das schöne Gedicht von Rilke replizieren. Da sehe ich dann das Problem auch: die Kirche kann ja ruhig säkular mit den Politikern ein paar Runden und Ringe ziehen. Aber wozu schon der liebe Rilke in der 2. Strophe ermahnt: Gott ist wichtiger. Um ihn kreisen wir jahrtausende Jahre.
Und man kann ruhig unwissend sterben, denn im Fegefeuer (besser: Purgatorium, Reinigung) und/oder Himmel haben wir dann eh so viel Zeit. Es ist wichtig, dass auch das Purgatorium als Trost gelten.
Aber jetzt weiß ich nicht, ob Hölderlin mit Rilke richtig interpretiert ist??
Rilke
„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.“
Danke für Ihre Antwort. Vielen geht es so, daß sie mal, oder öfter mal ordentlich durchgerüttelt werden oder an die Wand krachen und nicht mehr wissen, wo oben und unten, was gut, was böse, und die Sprache verloren haben; und dafür hab‘ ich von Hölderlin den schiefesten Orkus und den verzweifelten Ruf, ob denn da kein Gerades, kein Rechtes (so heisst’s glaub‘ ich im Original) noch auch wachse. Denken Sie nur mal an Joseph kopfüber im Brunnen stecken! Vielleicht kennen Sie sowas auch? Wenn jetzt die Kirche bei einem Rechtsanwalt sowas wie Erlösung sucht, na ja, manchen mag das reichen, es scheint mir so der Stil amerikanischer Serien, wo es am Ende einen Gerichtsprozess gibt und einer schuldig gesprochen wird von einer Jury, aber sie müsste doch aus sich selbst heraus die Kraft finden, wenn auch schwitzend und angekratzt, aber sprechend und eine Struktur ausschwitzen – und spätestens in Ländern der Weltkirche, wo es schnell die Todesstrafe gibt oder 100 Peitschenhiebe auf dem Marktplatz, dann entsteht ja ein brutales Dilemma. Und wofür soll das Ganze überhaupt gut sein, wer will man werden? Rilke hat viele gute Gedichte geschrieben, auch zu ähnlichen Themen, die Duineser Elegien, aber irgendwie auch etwas bodenfern, das Große suchend, während Hölderlin sehr modern ist, aufs Kleine, menschliche hin. Aber, was ist’s drum. Ich glaube, etwas ähnliches ist angesprochen. Rilke vielleicht immer so an Idealen, Hölderlin mehr mit Bodenmetaphern. Danke für die Idee und Anregung.
Noch etwas Dietmar, betreffend Fegefeuer. Wenn Sie z.B. Kinder haben, denken Sie bitte auch dran, daß Sie denen wichtig sind und Sie vielleicht doch besser nicht dumm sterben sollten und alles der Zeit danach überlassen. Die haben dann nämlich die Bürde, mit Ihnen fertig zu werden und mit dem, was Sie hinterlassen haben. Es geht ja nicht drum, sich selbst reinwaschen zu lassen, es geht um einen u.U. langen und erschwerten Trauer- und Bewältigungsprozess, wenn andere damit zu tun haben, Ihnen verzeihen zu können oder ein von Ihnen evtl. (Gott bewahre! Das ist ja jetzt reine Spekulation und hat mit Ihnen persönlich rein gar nichts zu tun, nur mal für den hypothetischen Fall) angerichtetes Übel wieder auszugleichen. Ich finde, ein Bild kann man sich machen, hört man Mozart`s Requiem – was muss alles geschehen, bis das erlösende „Benedictus“ auftaucht. In der Kirche gibt es da auch Hilfe, in Tirol werden z,B, Messen gelesen wo es um Angehörige im Fegefeuer geht. In Vilnius gibt es bei der Kirche eine Gruppe für Leute, die als Kinder z,B, misshandelt wurden, oder wo der Vater Trinker war. Ein gutes Projekt, wie zu hören ist, so eine Gruppe hat sich neulich beim Papstbesuch dort vorgestellt. Bestimmt wird die Kirche wegen dieser Brücken bauenden und sozialen Tätigkeit und Haltung auch oft so heftig angegriffen.