Was will der Papst eigentlich? Wenn man bei den vielen Artikeln zum zweiten Jahrestag der Papstwahl – von uns Journalisten gerne als Anlass für Einschätzungen genommen – eine Frage immer wieder und in ganz verschiedenen Schattierungen hat lesen können, dann diese. Es gibt eine Unsicherheit darüber, wofür der Papst steht, was er genau umsetzen will, man kann nicht wirklich einschätzen, was er als nächstes tun will.
Mir begegnet diese Frage schon etwas länger, sei etwa einem halben Jahr, meistens in der Form „wann endlich …?“. Und da ist ja auch etwas dran, es gibt einige Prozesse wie zum Beispiel die Kurienreform, die man konkret nennen kann. Aber was er mit der ganzen Kirche will, das ist nicht unmittelbar einsichtig.
Meine Antwort darauf kennen Sie vielleicht schon. Ich nenne gerne das Prinzip „die Zeit ist wichtiger als der Raum“, das Pater Jorge Bergoglio SJ bereits als Provinzialoberer der Jesuiten genutzt hat und das sich auch in Evangelii Gaudium unter den vier pastoralphilosophischen Prinzipien wieder findet. Nicht das Besetzen von Positionen, nicht das Innehaben von etwas ist wichtig, sondern der Raum, die Offenheit, der Prozess. Und das bedeutet eben, dass wir aushalten müssen, dass es keine Entscheidungen gibt, wo wir doch endlich welche haben möchten. „Aber jetzt muss er doch mal …“. Muss er?
Es ist überfordernd, die Dinge immer offen zu lassen. Der Heilige Geist – dem in so einem offenen Prozess Raum gegeben wird – ist anstrengend. Wir wollen uns irgendwie festmachen, irgendwo Schritte setzen, so dass nicht alles flüssig ist und wir mit unseren Einschätzungen vor Anker gehen können. Immer im Ungewissen zu bleiben, ist wie gesagt überfordernd.
Bei Papst Franziskus ist dieses Prinzip aber weder Entscheidungsschwäche noch Personalismus. Dahinter liegt – unter anderem – eine Überzeugung von seiner Rolle als Papst. Blicken wir zurück auf die Bischofssynode 2014:
Der viel beachtete Absatz in der Eröffnungsansprache der Synode lautete so: „Alles, was sich jemand zu sagen gedrängt fühlt, darf mit Parrhesia [Freimut] ausgesprochen werden. Nach dem letzten Konsistorium (Februar 2014), bei dem über die Familie gesprochen wurde, hat mir ein Kardinal geschrieben: ‚Schade, dass einige Kardinäle aus Respekt vor dem Papst nicht den Mut gehabt haben, gewisse Dinge zu sagen, weil sie meinten, dass der Papst vielleicht anders denken könnte.’ Das ist nicht in Ordnung, das ist keine Synodalität, weil man alles sagen soll, wozu man sich im Herrn zu sprechen gedrängt fühlt: ohne menschliche Rücksichten, ohne Furcht! Und zugleich soll man in Demut zuhören und offenen Herzens annehmen, was die Brüder sagen. Mit diesen beiden Geisteshaltungen üben wir die Synodalität aus.”
Parrhesia – Freimut
Das ist also der Prozess, den ich angesprochen habe, Parrhesia/Freimut ist ein Wort, dass sich bei Papst Franziskus immer wieder findet, er will dass sich alle einbringen und reden und debattieren können.
Das Gegenstück zu diesem Text stammt sozusagen wie eine Klammer aus der Schlussansprache, er habe mit Dank und Freude gehört, dass die Bischöfe mit Parrhesia [dasselbe Wort wie in der Eröffnungsansprache] gesprochen hätten: „Wie ich zu Beginn der Synode gesagt habe, ist es nötig, das alles in Ruhe und innerem Frieden zu durchleben, damit die Synode cum Petro et sub Petro (mit Petrus und unter der Leitung Petri) verläuft, und die Anwesenheit des Papstes ist für das alles Garantie.“ Hier erklärt sich der Grund für die Parrhesia: „Die Aufgabe des Papstes ist es nämlich, die Einheit der Kirche zu garantieren (..).“ Und dann zählte er zur sichtbaren Überraschung aller die Canones des Kirchenrechtes auf, in denen die volle ordentliche, oberste, volle, unmittelbare und universale Autorität des Papstes in der Kirche beschrieben ist. Starker Stoff, könnte man meinen: Erst bittet er um offene Aussprache, dann aber wedelt der Papst mit dem Kirchenrecht und sagt, dass es zum Schluss doch seine Entscheidung ist.
Wie passt das zusammen? Wie passt der Freimut, den der Papst immer wieder einfordert und der zur Kirche dazu gehört zu der Autorität, die er so offen und auch das erste Mal überhaupt so deutlich und dann auch noch mit Verweis auf das Kirchenrecht nennt? Auf der Suche nach seinem Verständnis von Autorität bin ich noch einmal auf Michel de Certeau SJ aufmerksam gemacht worden, einen Jesuiten (gestorben 1986), dessen Schriften der Papst wie er selber sagt sehr schätzt.
Ich beziehe mich auf einen Artikel de Certeaus aus der Jesuitenzeitschrift Études, erschienen 1970, in einem Sammelband übersetzt und herausgegeben von Luce Giard: Christliche Autorität heißt er.
Es geht de Certeau in seinem Text darum, über Autoritäten in der Kirche zu sprechen, also im Plural. Der Singular gehört Gott, Gott sei aber nicht festlegbar und deswegen kein Bezugspunkt für eine fixe Autorität, „in keiner Vergangenheit eingeschlossen, in keiner Gegenwart gefangen“, „kein begrenztes Gebiet vor uns“.
Autorität lässt zu
Es gibt zwei Versionen von Autorität, so de Certeau. Die „Autorität, die sich im Singular versteht“ und dem Wandel der Geschichte Grenzen setzen will, die alles auf sich selbst bezieht. „Sie ziel darauf ab, durch ein Gesetz, durch eine Aussage, durch den Willen eines Einzelnen oder einer Gruppe die spirituelle und kommunitäre Bewegung zu unterbrechen.“
Dagegen setzt er die Autorität, die sich in einer „pluralen Verbindung“ erkennt. Sie kann nicht ohne andere sein. Auch das Bild von Raum und Zeit, das Papst Franziskus gerne nutzt, kommt hier bereits vor: „Nur eine interne Vielfalt erlaubt durch die Schaffung interner Räume (…) Mobilität“, Stillstand ist für de Certeau der Verlust von Autorität, die Unglaubwürdigkeit. Es geht also nicht um das besetzten solcher Räume, sondern um ihr Öffnen. Nichts anderes sagte Pater Bergoglio, nichts anderes sagt der Papst.
Übrigens: de Certeau warnt in seinem Text ausdrücklich davor, das „Nützliche“ in der Religion zu suchen. Es geht genau nicht darum, das Sprechen von der Wahrheit in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, um Zusammenhalt herzustellen. Der Bezug der Autorität auf das Plurale löst ihren Bezug auf die eine Autorität, die Gott ist, nicht auf.
Er spricht von der „Verwertung“ der Religion beim dem Zeitgeschmack [Zeitgeist] hinterherlaufen, von „Vereinheitlichungsimperialismen“, die herrschen, wenn etwa eine kulturelle Ordnung bestimmt, was Wahrheit ist, er spricht vom „Konsumchristentum“, bei denen Religion ein Mechanismus sozialer Sicherung ist. Es geht bei diesem Sprechen von Autorität und dem Zulassen eben nicht um ein Auflösen von Bezügen zu einer Wahrheit, die sich uns entzieht, ganz im Gegenteil.
Risiko
Christliche Autorität schafft Raum und macht Unterschiede erst möglich. Wer Autorität ausübt begrenzt nicht einen Bezirk, in dem sich das Denken und Reden abzuspielen habe, sondern lässt zu.
Das ist der Raum für den Heiligen Geist, für den Urheber jeglicher Autorität. Dass das nicht ohne Risiko abgeht, ist beim Blick in die Geschichte des Christentums angefangen bei den ersten Tagen deutlich. Aber es gehört eben auch das zur Autorität dazu. Risikolose Autorität gibt es nicht, wer seine Autorität zur Erstellung eigener Sicherheiten nutzt, der versteht sich eben im Singular, nicht im Plural. Wer Autorität ausübt, muss die Unsicherheit des Ausgangs akzeptieren.
In den Worten von Michel de Certeau „Er autorisiert ein Risiko, indem er es teilt.“ Besser lässt sich das, was der Papst im Augenblick unternimmt, nicht kennzeichnen.
Lieber P. Hagenkord, ich habe den Artikel gelesen aber nicht verstanden. WORIN genau soll das Risiko bestehen? Risiko ist lt. google der Umstand, dass etwas gefährliche oder schädliche Folgen haben kann. Um welche Folgen geht es? Spaltung? Stillstand? Welcher Ausgang könnte der Kirche dauerhaft schaden?
Das Risiko, dass noch nicht klar ist, wohin die Reise geht. Die Google-Definition ist mir zu eng, Risiko ist mehr, ist Unsicherheit und Angst vor den schädlichen Folgen genauso wie die Möglichkeit davon. Risiko ist es, von den bürgerlichen Vorstellungen, was Kirche ist, abzuweichen ohne das Neue schon zu kennen.
„Risiko ist es, von den bürgerlichen Vorstellungen, was Kirche ist, abzuweichen ohne das Neue schon zu kennen.“
Das ist eine sehr interessante Definition des Begriffes Risiko bezogen auf die Vorgehensweise von Papst Franziskus.
Aber diese Vorgehensweise verursacht mir auch „Bauchschmerzen“.
Möglicherweise kann der leitende Pfarrer einer Seelsorgeeinheit so verfahren, aber das Oberhaupt einer Weltkirche?
Es gibt auch so etwas wie Risikobegrenzung.
Da kann man nur hoffen, dass der Hl Geist die Sache im Griff hat, damit das „Schiff Petri“ nicht auf Grund läuft.
Um in diesem Bild zu bleiben: Verteilt der Papst wenigstens Schwimmwesten an die Gläubigen?
Ohne jetzt pathetisch klingen zu wollen: Jesus hat sein Leben riskiert, er hat seinen Jüngerinnen und Jüngern einiges an Risiko zugemutet, es geht bei der Kirche nicht um eine stabile Sozialorganisation, sondern um Zeugnis für den erlösenden Gott. Ich denke, dass wir mit Blick auf den Abbruch der Tradition, der Nichtweitergabe des Glaubens an die kommende Generation, gar nicht mehr anders können als etwas zu riskieren.
Wie ein englisches Sprichwort lautet: Ein Boot im Hafen ist sicher, aber dafür baut man keine Boote.
„Wie ein englisches Sprichwort lautet: Ein Boot im Hafen ist sicher, aber dafür baut man keine Boote.“
Stimmt, ich will auch nicht, dass das Boot im Hafen bleibt, ganz und gar nicht. Ich hätte nur gerne eine Schwimmweste für alle Fälle ….
Wenn ich mir vorstelle, dass ich bei dem im Evangelium erwähnten Sturm auf dem See Genezareth dabei gewesen wäre, hätte ich auch Angst gehabt.
Also hoffe ich mal, dass Jesus auch bei unserer derzeitigen Seefahrt nicht zu fest schläft …
Warum hätten Sie gern eine Schwimmweste, wenn Sie davon überzeugt sind, dass Jesus in diesem „Boot“ ist, darin es Ihnen doch gleichgültig sein sollte ob Er schläft oder wacht? Ist nicht allein Seine Gegenwart entscheidend? Was nützt die beste Schwimmweste wenn der Glaube an Ihn fehlt? …..
….d.h., wenn wir aus der „Kleingläubigkeit“ des/der Apostel(s) offenbar nicht viel/nichts gelernt haben…
Aus der Predigt des Papstes von heute (Palmsonntag), die ich nicht kannte, als ich den Text schrieb: „Die Erniedrigung Jesu. Dieses Wort zeigt uns den Stil Gottes und auch, das was für Christen gilt: Die Demut. Ein Stil, der niemals aufhört uns zu überraschen und uns in eine Krise zu bringen: An einen demütigen Gott gewöhnen wir uns nie!“