„Erfahrung macht dumm“. Dieser überraschende und starke Satz eines meiner Philosophielehrer – Pater Albert Keller – fiel mir spontan ein, als ich beim Blättern im Netz über das Phänomen der ‚Information Bias’ stolperte: Die Verzerrung durch Information. Offenbar glauben wir Menschen, dass mehr Information mehr hilft. Wir sammeln und sammeln in dem Glauben, dann besser entscheiden zu können.
Die Beispiele für diese ‚Information Bias’ im Netz sind witzig bis tragisch. So stellen Ärzte Zusatzuntersuchungen an, bevor sie eine Behandlung beginnen, auch wenn sie bei klarem Nachdenken zugeben, dass die Ergebnisse dieser Untersuchungen nichts an der anschließenden Behandlung ändern. Aber man weiß halt mehr. Gleichzeitig wird aber die Behandlung teurer.
Man kann dieses Phänomen auch zu seinem Nutzen verwenden, und hier wird es interessant: Will ich Menschen dazu bekommen, mir zuzuhören, auch wenn sie selber andere Informationen haben, dann präsentiere ich meine Ergebnisse oder Schlagzeilen als „neu“. Wir Menschen neigen offensichtlich dazu, das dann eher zu akzeptieren als das Wissen, was wir schon haben. Etwas „Neues“ dringt schneller in unsere Aufmerksamkeit vor und wir sind offensichtlich bereit, bereits gesammelte und geordnete Information aufzugeben. Da fallen mir sofort die Studien ein, die landauf, landab gerne zitiert werden. Irgendeine Universität hat herausgefunden, dass Knoblauch doch nicht gesund ist oder dass die Farbe Rot doch nicht aggressiv macht oder sonst eine Studie. Wie oft entweicht uns dann ein „ach, so!“ und wir nehmen es als Tatsache. Die ganzen Studien, die wir davor hatten und die das Gegenteil sagten, werden abgelöst durch das offensichtlich „neue“ Wissen.
Was lernen wir daraus? Nicht das viele Wissen sättigt die Seele, wie es der heilige Ignatius von Loyola ausdrückt. Man muss auch wissen, wie die Informationen einzuordnen sind, was sie wert sind, und wann ich genug habe. Das sagt und schreibt sich so leicht hin, aber es ist offensichtlich schwieriger, als ich gedacht hatte.
Nicht das viele Wissen..wie wahr, wie wahr, sondern das, was man mit dem Verstand und dem Gefühl verarbeitet hat. Schmecken, verkosten, wiederholen..etc..aber dazu braucht man Zeit und schon mal Mut..wer hat das?
Weil die Medizin angesprochen wurde: Pater Hagenkort hat leider recht. Mein wichtigster medizinischer Lehrer war mein Vater ( Ende der 60er Jahre ). Von Ihm habe ich gelernt daß eine gute Anamnese 90 % der Diagnose ausmacht. Dann brauche ich nur noch 10 % “Technik. Mein zweitwichtigster Lehrer in Würzburg hat immer gesagt, wenn wir mit “übertriebenem” Wissen punkten wollten, obwohl alles relativ einfach war: “Wenn an Ihrem Fenster ein Vogel vorbeifliegt, ist das in der Regel ein Spatz und kein Kolibri!” Mit überflüssigen Untersuchungen gefährde ich meine Patienten mehr als ich ihnen nütze. Ein Englischer Herzchirurg hat einmal gesagt: “Die Tatsache, daß ich eine Methode beherrsche, bedeutet noch lange nicht, daß ich sie auch anwende!” Da sich immer weniger an diese ganz einfachen Prinzipien halten, wird alles immer teurer. Ich habe manchmal den Eindruck, daß mit einer Schrotflinte in einen Vogelschwarm geschossen wird, in der Hoffnung, daß der Vogel, den ich treffen will schon dabei sein wird. Ich bitte aber inständig, dies um Gottes willen nicht zu verallgemeinern. Überinformation ist meist gefährlich, weil dem Denken das Handeln oft vorausgeht. Zu versuchen, das wieder umzudrehen gehört zu den vornehmsten Aufgaben unserer Zeit, in Medizin, Kirche und anderswo.
Ein sehr wertvoller Beitrag, lieber Herr Strauss. Nach den Erfahrungen in dem Alltag, beginnt man zu denken, dass diese “menschliche”, “ärztliche” aber vor allem auch “christliche” Ethik nicht mehr existiert.
Erfahrungen machen nicht dumm, Erfahrungen sind sehr nützlich. Die muss man nur abwägen, abschätzen und anwenden wissen. Ansonsten wird man doch mal behaupten und beweisen können, dass wir durch Computer ersetzbar sind.
Erfahrungen blind einsetzen bedeutet, einfach von jeglicher Verantwortung und Haftung sich frei sprechen.
Erfahrungen machen dumm, wenn sie blind mitgetragen werden. Dann wird auch diese Aussage “Stereotypen sorgen dafür, dass wir uns sicher fühlen”. Es ist sehr bequeme Haltung und Position. Aber zu Recht, menschlich, leider 🙁
Als ich den Beitrag über Erfahrungen und Stereotypen las, fiel mir mein weiße Westie Hund auf. Solange er von einem schwarzen Hund nicht angegriffen wurde war er zu allen Hunden nett und immer freundlich. Seit dem Angriff mag er keine schwarzen Hunde mehr, ist aber sehr großzügig gegenüber allen weißen Hunden.
Wir sind ja ein Teil der Natur, wir sind aber als Menschen fähig, anders zu handeln als die Tiere. Wenn wir dies nicht sind, was nutzt uns unser Christentum? Deshalb sind wir auch zum Handeln nachdem Muster “Denken” vor dem “Handeln” und “Loslassen” von jeder Art von Stereotypen verpflichtet.
Herr Dr. Strauss,guten Tag. Entweder, ich ziehe nach Bayern, oder Sie ziehen nach Berlin. Was ich erlebe bei Tierärzten..die können weder Ultraschall noch Röntgenbilder lesen.Sehen überall Kolibris, weil sie nicht mehr wissen, wie man ganz normal hinsieht oder abtastet.Oder vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr erkennen.Dies zum Thema Diagnosen.Menschenärzte machen aus einem Floh per Ultraschall einen Elefanten..zum Thema Erfahrungen fiel mir der Satz ein: es gibt Menschen, die werden nur alt, aber nicht weise.Die Überschrift “Erfahrung macht dumm” finde ich etwas eng. Nicht reflektierte Erfahrung macht dumm und es kommt der Spruch: Immer ich..w a r u m immer ich..
Irgendeine Universität hat herausgefunden….alle paar Jahre neu das Gegenteil vom Ergebnis davor und wir sollen sofort hinterher..dabei sind wir im Zeitalter des Individualismus, meine eigene Erfahrung ist meine höchste Autorität. Was ich neulich gelesen habe und mich wieder einmal geärgert: Hunde können doch erkennen und verstehen..wie Kinder..(d i e Hunde, d i e Kinder)Hundehalter (die immer als dämlich bezeichnet wurden) haben doch recht. Wie schön, dass andere wissen, was meine Hunde können.Bei meinen zahlreichen Hunden und Katzen war und ist jedes Tier anders, was auch nicht den Forschungsergebnissen entspricht.Ob Forscher meine Erkenntnisse bestätigen, interessiert mich in dem Fall nicht. Es kommtimmer drauf an, wie sehr man sich beschäftigt mit dem Tier, liebe Forscher. Ihr habt etwas Wesentliches verp.nn., also bitte nochmal 7 Jahre forschen zu einem Thema, das der Praktiker lang kennt.Forschungslabor ,egal wo ,ist nicht Leben.