Christsein heute – Gedanken zu einem Papstschreiben, Teil 3
„Es mag viele Theorien darüber geben, was die Heiligkeit ist, mit ausführlichen Erklärungen und Unterscheidungen. Diese Reflexion kann nützlich sein, doch ist nichts erhellender, als sich dem Wort Jesu zuzuwenden und seine Art, die Wahrheit weiterzugeben, umfassender zu betrachten.” So beginnt Kapitel Drei von Gaudete et Exsultate, das jetzt Thema sein soll.
Und was gibt es dazu mehr zu sagen? Schaut auf Christus!
Aber auch das will vorbereitet sein, da ist der Papst ganz Jesuit. Überhaupt, das geistliche Vorangehen von Franziskus erinnert mich sehr an die geistliche Methode des heiligen Ignatius, die dem Jesuitenorden – und anderen Gemeinschaften – zu Grunde liegt. Der Papst kennt seinen Ignatius sehr gut.
Kurze Erinnerung: Die Erkenntnis meiner selbst und der Wille, das anzunehmen was Gott vorhat, steht zu Beginn. Der Blick auf die Versuchungen ist immer dabei. Und das alles ist keine Selbstoptimierungsstrategie, sondern Vorbereitung auf den Blick auf Jesus Christus. Und genau das tut der Papst jetzt.
Geistliche Methodik
Und das Wie ist wieder typisch: nicht eine umfassende Erklärung, sondern ein Blick auf eine konkrete Stelle in der Schrift. Nicht DER Jesus, sondern unsere konkrete Begegnung in der Meditation einer Stelle ist wichtig. Hier: die Seligpreisungen (Mt 5,3-12; Lk 6,20-23), „das Wort „glücklich“ oder „selig“ wird zum Synonym für „heilig““ (64).
Erster Schritt: Anerkennen, dass Hören auf Jesus immer Wandel bedeutet. Jesus ist nicht in die Welt gekommen, um zu bestätigen, sondern um zu rufen, und das heißt immer heraus-rufen. „Anderenfalls wird die Heiligkeit nur in Worten bestehen“ (66).
Zweiter Schritt: Erkennen, worauf wir setzen und bauen. Hier geht es um die innere Freiheit, die ich brauche, um auf Jesus hören und sein Wort annehmen zu können. An dieser Stelle wird Ignatius auch wörtlich in seiner etwas sperrigen Sprache zitiert (69).
Das Meditieren des Rufes Christi
Und so geht Franziskus die einzelnen Seligpreisungen durch, er meditiert die Stellen und fragt nach, was das für unser christliches Leben, unser Christsein bedeutet. Ich mag das an dieser Stelle nicht einzeln nachvollziehen, das würde dem nicht gerecht, das müssen wir schon selber meditieren.
Nach seiner Schriftmeditation weist der Papst noch darauf hin, dass das Ganze kein harmloses Unterfangen ist, sondern dass hier der „Maßstab, nach dem wir geurteilt werden“ liegt (95). Es ist kein frommes Angebot, an dieser Stelle geht es darum, ob wir uns und unser Leben und Christi Ruf verfehlen oder ihn hören.
Es geht also um „Treue zum Meister“, und das ist das Gegenteil von Frömmerlisch. „Heilig sein bedeutet daher nicht, in einer vermeintlichen Ekstase die Augen zu verdrehen“, hier geht es um Gott selber, um die Weise von Gottes Offenbarung in Christi. „In diesem Aufruf, ihn in den Armen und Leidenden zu erkennen, offenbart sich das Herz Christi selbst“ (96).
Ohne Ausflüchte, bitte!
Dass der Papst das sehr ernst meint erkennen wir an der Mahnung, die er anschließt: das sei bitteschön „sine glossa“, also ohne Kommentar, Ausflüchte und Ausreden anzunehmen. „Wenn ich einem Menschen begegne, der in einer kalten Nacht unter freiem Himmel schläft …“ beginnt der Papst einen Absatz (98), in dem er das konkret durchspielt. So viele Ausreden und Bedingungen, so viele Abschattungen des Wortes Jesu, so viel Unterwerfung des Wortes und des Rufes Christ unter real-politische, soziale oder sonstige Bedingtheiten. An dieser Stelle braucht es die Unruhe, die innere Freiheit, wirklich hören zu wollen.
Sein Beispiel sind Menschen auf der Flucht und unser Umgang mit ihnen. Zu einem Christen gehört die Haltung, sich in die Lage der Schwester und des Bruders zu versetzen, Punktum. „Sehen wir, dass es genau das ist, was Jesus von uns verlangt, wenn er uns sagt, dass wir in jedem Fremden ihn selbst aufnehmen (vgl. Mt 25,35)?“ (102).
Das Meditieren der Schrift auf dem Weg zum Verständnis dessen, was Christsein bedeutet, wird also sehr schnell sehr konkret und sehr aktuell. Es gehört immer in unsere Aktualität hinein, es reicht nicht abstrakt über Heiligkeit zu sprechen, wir sind in sehr bestimmte uns umgebende Situationen hinein gerufen. Und da reicht eben ein allgemeiner Verweis nicht aus. Ich muss die Perspektive wechseln, ich muss mich in die Lage von anderen versetzen, mit den Augen anderer sehen.
Nicht nur momentane Begeisterung
Und dem Vorwurf, dass das alles sehr „Franziskus“ sei, begegnet er mit einer Kurz-Lektüre des Alten Testamentes und schließt daraus: „Es handelt sich daher nicht um die Erfindung eines Papstes oder um eine momentane Begeisterung“ (103).
Wir dürfen nicht vergessen, dass das „Kriterium für die Beurteilung unseres Lebens vor allem darin besteht, was wir den anderen getan haben“ (104). Christsein ist nur mit Bezug auf den Nächsten zu denken und zu leben, dieser Anfangsgedanke des Papstschreibens taucht auch hier wieder auf. Der Blick auf mich selber, das Hören auf Gott in den Worten Christi, der Bezug zum Leben der Anderen, der meines ganz konkret verändert, diese drei Dimensionen bestimmen Christsein. Und daran wird es gemessen werden.
Der Papst nimmt sich selber zurück
Den Abschluss mag man dann als Relativierung der Wichtigkeit seiner eigenen Worte lesen: „Das Christentum ist nämlich vor allem dafür gemacht, gelebt zu werden; wenn es auch Gegenstand von Reflexion ist, so hat dies nur Wert, wenn es hilft, das Evangelium im Alltag zu leben“ (109). Der Papst selber reflektiert ja. An dieser Stelle nimmt er sich selber zurück und verweist auf die Bibel, auf das Wort Gottes. Auch die Meditationen des Papstes – auch das ganz Methodik des Ignatius – sind eben nur Methode. Der Inhalt kommt ganz von Christus her.
Mt 25, 31-46 ist schlicht eine Rechtsbelehrung dahin gehend, dass die Ausübung der Caritas ein rechtliches Anspruchsdenken erzeugt von dem man schwer wieder loskommt, sonst würde man einen anderen weniger liebreichen Jesus kennenlernen.
Ich möchte Ihren (@ Ellwanger Michael) Kommentar gerne ergänzen. Mt 25,31-46 fordert uns hier in der Welt Lebende auf, zu handeln! Wir sollen unsere Zeit im Hier nutzen und tun, was zu tun ist. Lieber falsch handeln als gar nicht handeln. Wenn man etwas falsch macht und es wahrnimmt, dann bereut man zutiefst, doch die Wunde heilt mit der Zeit. Man könnte es womöglich das Fegefeuer nennen, das Brennen lässt nach und hört irgendwann auf. Worüber der Mensch nicht hinwegkommt, ist, was er in seinem Leben nicht getan hat und hätte tun müssen. Dieser Schmerz vergeht nicht. Moralische Überfrachtungen mit Drohfinger und Interpretationen helfen bei dieser Bibelstelle leider nicht wirklich, denn es kommt dabei Berechnung hinzu, die den Weg zum erfüllten Leben verschließt. Vielleicht könnte man sich vornehmen, offen zu bleiben für jeden Tag und was er bringen mag, schnell und unverzüglich handeln im Guten und träge sein im Sündigen. So in etwa würde ich das verstehen.