Seit ich in München lebe – also seit etwa einem Dreiviertel Jahr – höre ich dauern dieselbe Klage: Hier gäbe es zu viele Baustellen. Von der S-Bahn angefangen über die Durchfahrtsstraßen bis hin zur nächsten Starßenecke, überall wird gebuddelt, abgesperrt und gebaut. Die Stadt erfindet sich neu, immer wieder.
Auf die Klage kann ich gar nicht anders als reflexartig zu antworten, dass ich zehn Jahre in einer Stadt ohne Baustellen gelebt hätte, in Rom. Das ist natürlich übertrieben, aber nicht allzu viel. In Rom ist vieles kaputt, aber wird nicht repariert. Und das ist noch viel Schlimmer als die vielen Sperrungen hier in München.
Die Stadt erfindet sich neu
Dahinter liegt natürlich eine Allegorie, sonst würde ich das hier nicht beschreiben. Es ist der Normalzustand einer Stadt, dass sie sich verändert. „Alles in Ordnung“ kommt in freier Wildbahn nicht vor. Und da ist es egal, wie groß die Stadt ist.
Veränderung ist der Normalzustand, das ist was ich damit sagen will. Aber wenn ich auf aktuelle Kirchen-Debatten schaue, dann begegnet mir ein anderes Modell der „Stadt Gottes“. Nämlich das Modell einer Referenz-Stadt, meistens aus der Vergangenheit und als Ideal.
Und da ist es völlig egal, wen ich dazu befrage. Ob das die Pius-Brüder mit ihrer angeblichen „Messe aller Zeiten“ sind, ob das die 80er Jahre mit ihrem Ruf nach der Rückkehr zu einer angeblichen idealen Urkirche sind, das Gedanken-Modell ist dasselbe: es gebe eine Referenz-Größe, an der sich die Gegenwart auszurichten habe.
Keine ideale Vergangenheit
Gibt es nicht. Hat es nie gegeben. Es gab in der Antike keine homogene und ideale Kirche, die sich dann nachträglich historisch verfälscht hat. Sondern wie die Welt sich ändert, wie die Fragen sich ändern, so findet Christentum Antworten. Tastend meistens, manches funktioniert auch nicht, immer wieder müssen aber Antworten verändert werden, weil die Fragen anders sind.
Baustellen eben.
Eine ganz große Baustelle gibt es in Roma: die so genannte „Linea C“, also die dritte U-Bahn-Linie. Und immer wieder begegnet man Römerinnen und Römern, die in diesem Projekt die Rettung vermuten: Wenn das Ding einmal fertig wird, dann wird alles besser.
Die eine große Baustelle
Und hier soll dann auch meine Allegorie enden: die eine große Baustelle, die alles rettet, gibt es in der „Stadt Gottes“ nicht. Nur viele, sehr viele meist kleine oder ab und zu auch mal große. Nur: wenn die mal fertig sind, sind die längst noch nicht fertig, die nächste wartet schon.
Ich mag Baustellen. So nervig sie im Alltag sein können. Weil sich die Dinge eben ändern. Wir mögen meckern, aber Stillstand oder ein Ideal gibt es einfach nicht. Sonder nur ständige Veränderung.
Ihren Aussagen kann ich gut zustimmen. Eines sollte jedoch Bestand haben: Unser Glaubensbekenntnis.
Und es darf ruhig noch ein wenig mehr sein. Das Depositum Fidei sollte ebenfalls nicht zur Disposition stehen.
Wieder eine Frau die die Kirche in einer Zeit festhalten will in der die Frauen in der Kirche zu schweigen hatten.
Welch anachonismus. Aber es geht ja wohl nicht im Logik und Atgumente.
Dass sich der Glaube vor der Vernunft rechtfertigen muss und dass er immer in die jeweilige Zeit hinein formuliert werden muss liegt wohl jenseits Ihres Horizontes.
Ja die Überlegungen und die Allegorie zur Kirche finde ich spannend – ich denke, Baustellen sind etwas anderes als der Wunsch nach einem plötzlichen Wunder, einer Magie – ohne Anstrengung. Eine Baustelle macht Mühe, kann Ärger bringen. Bleibende Hoffnungssorte als Ziel, mehr als eine Arche Noah mit Vorstellung einer Apokalypse, ohne Gewissheit und nur im Vertrauen auf einen rettenden Gott und einer begrenzten Zahl der überlebenden „Gruppen“. Flüchtlingsströme/ Boote heute in der Hoffnung auf Überleben –nach Europa. Und die Zurückgebliebenen, gezielte Zerstörungen ohne Aussicht auf Ende. Friedlicher Wiederaufbau als Vision.
Hierbei kommen mir zur Baustelle Kirche noch viele weitere Gedanken – jenseits von den aktuellen Fragen des Synodalen Weges.
Kirchliche Baustellen, Orte wo zur Ausführung Dialog, Vernunft, Ressourcen notwendig sind – das gute Gelingen über Generationen nicht schon gleich gegeben ist, Korrekturen notwendig sind. Schnelles Gelingen vor Jahrhunderten eher als dämonisches Phänomen beäugt wurde.
Können wir in der Weltkirche die vielen Anstrengungen und das Unvollendete aushalten? Als angefangenes Erbe im Dialog auch korrigieren und weitergeben und darauf vertrauen, dass die nächste Generation daran klug weiterarbeitet? Zeit und Geld als bestimmender Faktor? Aber haben wir noch genügend finanz. Ressourcen in der aktuellen Corona-Situation – damit Investitionen u. Geplantes realisierbar werden?
Baustellen, Aufbauen, Abbauen, Umbauen, Bauherren, finanzielle Herausforderungen und unklare oder fehlende Geldströme, Pfusch am Bau, über jahrhundertalte historische und kirchliche Geschichten, die einfach beim Graben ins Wasser fallen.
Sakraler Bau, ein mathematisch- geometrisches Denkgebäude –modern – zur Umsetzung mit Herausforderung und vielen Disziplinen und vielen Bedenkenträgern. Ausführungen die auch missraten, irritieren und stören, Ressourcen verschlingen. Kunst und Personen die für best. Überzeugungen unerwünscht sind. Bauhaus, Tempelbau. Bau der Stadt Gottes als religiöser oder prophetischer Kulturauftrag an das pilgernde Volk?
Die Karikatur aus den 1920ern mit dem übergroßen Tempel in Jerusalem als Sehnsuchtsort und rechts und links eine kleine Kirche ohne Kreuz. In Brüssel in den 50 er Jahren Ideen für neuen sakralen Bau – modern, Beton, ohne viel Schnörkel. Als Zeltplatz für das pilgernde Volk? Daneben Exclusiv-Reisen der Europäer an fremde Orte mit riesigen Kultstätten, Tempelanlagen, staunen über die Kunst fremder Völker vor Jahrhunderten. In europäischen Ländern seit Jahren Ab- und Entsakralisierung von kirchl. Gebäuden.
Dürfen wir „Himmelsräume“ und „Paradiese“ – neben so manchen Baustellen – aufbauen und erhalten – ohne als Verein oder K.d.ö.R. neben vielen Playern unseren Charakter und Rechte zu verlieren? Bes. Wahlfahrtsorte scheinen wie kl. Paradiese, aber sie machen nicht den Alltag aus und viele distanzieren sich von „unglaublichen“ Geschehnissen und Privatoffenbarungen. Jesus hat tw. verboten, über solche Dinge zu reden. Vielleicht bräuchte es mehr stille „Kammern“ als inszenierte Wunderorte und -Worte.
Was bedeutet eigentlich unsere angemessene Anerkennung und Dank an christlich motivierte Politiker, die bereit sind, unsere Anliegen, Projekte, Wohlfahrtsysteme und kulturelle Orte zu schützen und unterstützen? Zudem der Kern ihrer Politik kompatibel ist mit den christlichen Werten, die die christlichen Kirchen vertreten.
Kirche als Ort der Begegnung mit Gott oder Kirche als Leib Christi? Ostkirche, Westkirche oder Jahrhundertewerk Weltkirche? Erbauen von Ästhetik, Schönheit, Schutz, Heil und Begegnung oder Abbau kirchlicher Traditionen, Orte, Werte – was ist das subjektiv wahrgenommene Bild der kirchlichen Wirklichkeiten jedes einzelnen im Bild einer Welt-Baustelle? In welche Zukunft wollen wir Christen gehen?
Hierbei finde ich die Frage nach den Referenzgrößen schon spannend, korrigiert im Dialog den Blick auf geniale Selbstüberhöhung oder Nichtigkeitsphantasien. Doch der Grundstein ist schon längst gelegt und viele Generationen haben schon darauf gebaut… schauen wir uns die gerade in dieser schwierigen Situation genauer an. Vielleicht könnten uns hierbei so manche Kirchenhistoriker helfen.