Man kann christlichen Glauben nicht verstehen, wenn man nichts mit Paradoxen anfangen kann. Wir Christen leben einen paradoxen Glauben. Dass Leben durch den Tod kommt, dass Tod nicht das Ende ist, das ist wohl das zentralste Paradox, denn Tod bedeutet ja schlicht Ende vom Leben, nicht mehr leben.
Der „gerechtfertigte“ Sünder des Paulus ist auch so eine paradoxe Figur, auch die Seligpreisungen leben ja davon.
Eine der poetischeren Formulierungen des christlichen Glaubens-Paradoxons zitiert der Papst gerne, es ist der Satz des Dichters Hölderlin: „Non coerceri a maximo, conteneri tamen a minimo divinum est – nicht eingegrenzt sein vom Größten und dennoch umschlossen sein vom Kleinsten, das ist göttlich.“ Es ist das Motto über dem Hyperion-Roman und Hölderlin sagt, das sei die Grabschrift des Loyola, also die Schrift auf dem Grabstein des Ignatius von Loyola.
Papst Franziskus und Hölderlin
Wer nach Rom ans Grab des Ignatius von Loyola kommt, wird den Satz aber vergeblich suchen. Was aber nicht heißt, dass der Hölderlin-Satz nicht doch etwas von diesem Heiligen eingefangen hat. Was zweitens auch nicht heißt, dass der Jesuit Papst Franziskus nicht auch diese Hölderlin-Tradition aufgreift, etwa 2015, in der Predigt zum Konsistorium. Oder auch am Donnerstag in einer Ansprache.
Der Papst greift als Jesuit ja gerne auf geistliche Traditionen aus dem Orden oder um den Orden herum zurück, auch sind zentrale Gedanken und Anliegen ganz klar von seiner jesuitischen Herkunft geprägt. Aber natürlich ist der Hölderlin-Satz älter als Ignatius. Den paradoxen Zusammenhang von klein und groß hat uns schon Augustinus mit auf den theologischen Weg gegeben: Deus in minimis maximus, im Kleinsten zeigt sich Gottes Größe.
Nun ist das nicht logisch-dogmatisch zu verstehen. Ein Paradox ist ja das genaue Gegenteil von Klärung. Aber es hilft uns, unser Denken etwas aus der Verankerung zu schütteln.
Das Denken aus der Verankerung schütteln
Umschlossen vom Kleinsten: es gibt nichts, wo Gott nicht ganz enthalten wäre. Und umgekehrt: das Größte grenzt Gott nicht ein. Da kingt etwas der Satz an, dass über Gott Größeres nicht gedacht werden kann. Wir machen uns unwillkürlich Bilder von Gott, das geht ganz automatisch, weil wir unsere Welt anhand unserer Erfahrungen abbilden. Auch sprachlich. Und Gott wird gerne anhand von Macht beschrieben, auf Kirchenfenstern, in Glaubensaussagen, im Denken. Da ist das Kleinste hilfreich. Es nimmt uns die Hierarchie aus dem Denken heraus. Der allmächtige Gott, der Schöpfer, ist in allem enthalten.
Andersherum mit dem Größten: wir denken unsere Welt und begreifen. Wir haben Bilder vom Universum, auch wenn es schwer fällt, diese Unendlichkeit zu begreifen. Der Philosoph Hegel nennt es die „schlechte Unendlichkeit“, es geht immer weiter. Das Größte ist also immer etwas größer als das, was bisher das Größte war. Gott ist aber nicht eingegrenzt von diesem Größten, Gott bekommt keinen Ort zugewiesen, sondern weist umgekehrt der Welt ihren Ort zu, indem er sich der „Größe“ entzieht.
Die „schlechte Unendlichkeit“
Und dann die Kombination von beidem: beide Sätze für sich sind schon schwer, Hölderlin dreht in der poetischen Formulierung aber noch einmal an der Schraube des Paradoxen.
Was das mit Papst Franziskus und Ignatius zu tun hat: die Entgrenzung des Denkens und Glaubens. Wer dem eigenen Denken und Beten und Glauben Grenzen setzt, verfehlt Gott. Gott ist immer größer und immer kleiner als wir wissen, ahnen, glauben und sagen können. Das entzieht sich dem Begriff und unserem Sprechen, deswegen auch auch unserem Glauben, wenn wir keine Mystiker sind. Aber wir können uns danach ausstrecken.
Den großen Horizont im Blick, also Schöpfung und Erlösung durch Gott, und gleichzeitig sich um die Kleinen, Armen, Weggeworfenen kümmern. Das wäre die pragmatische Umformulierung des Spruchs, und so nutzt ihn Papst Franziskus. Aber es geht auch geistlicher, indem man sich nicht zufrieden gibt mit dem eigenen Glauben. Paradoxe bedeuten ja auch, dass die Logik und damit die Herrschaft über die Welt in Frage steht.
Paradoxe tun dem Glauben gut. Weil sie ihn nicht in Regeln und Sätzen aufgehen lassen, weil man sich ausstrecken muss, da das Ziel jenseits des Logischen liegt.
Und anderers ist christlicher Glaube nicht zu verstehen.
Nun das Kleinste ist ein Punkt. Der hat keine Ausdehnung, entzieht sich jeder Dimension, sprich Raumgröße, und ist unteilbar, ein Nichts. Wenn Gott darin enthalten sein soll, ist er mit dem Nichts identisch, i s t er selber das Nichts.Die Unendlichkeit des Universum läßt sich (mit etwas geistiger Anstrengung) durchaus begreifen: https://www.youtube.com/watch?v=EJJviXnLjdI. Wenn es unendlich groß ist, ist Gott als das jeweils Größere aber im Unendlich ebenso schon enhalten wie andersherum im ausdehnungslosen Punkt, denn unendlich lässt sich nicht mehr sinnvoll zu einer ‚größeren Unendlichkeit‘ steigern.
„Gott ist gut, Gott ist weise, Gott ist unendlich, Gott ist gerecht – das alles ist so unsinnig, als wenn ich das Schwarze weiß nennen würde. Du bist es, was du über deinen Gott denkst, und lästerst ihn, wenn du ihn damit behängst. Nimm ihn ohne Eigenschaft als überseiendes Sein und eine überseiende Nichtheit.“ (Meister Eckhardt)
Bleiben wir für einen Augenblick in der Logik: Ihre ersten beiden Sätze ergeben einen Widerspruch, daraus folgt dass das Kleinste ein Nichts ist. Dann ist es aber nicht mehr das Kleinste, sondern eben Nichts.
Außerdem besteht die Aussage des Paradoxes ja gerade darin, die Mess-Kategorien zu überschreiten. Das gilt für das Kleinste genauso wie das Größte, Ausdehnung fasst Gott nicht.
Die Mystik des Meisters hilft hier auch nur beschränkt weiter, denn es ist eben Mystik, nicht für alle nachvollziehbar. Das Paradox versucht, das Denken von Gott diesseits der Mystik zu erweitern.
Klein und Groß wollen an etwas gemessen werden, selbst wenn es kein Zollstock ist; sonst machen die Begriffe im Verstehen für Wesen im Mesokosmos keinen Sinn. Geeigneter und angemessener erscheint mir jedoch das Begriffspaar bedeutungsfrei-bedeutungsvoll statt klein-groß zu sein, zumal sich darin auch die Art unseres menschlichen Bewusstseins widerspiegelt. Gott als die bedeutungsfreiste und zugleich bedeutungsvollste Entität aufzufassen, ist, wie ich meine, ein stärkeres Paradox als das Hölderlinsche.
… und auch das vermeintlich Kleinste lässt sich verstehen: https://www.youtube.com/watch?v=9CvJYmvdec4.
Das führt zu neuen, nicht nur interessanten, sondern auch relevanten Paradoxa des menschlichen Daseins.
Ich wage einen Erklärungsversuch zu dieser sehr komplexen Thematik:
Gott ist denkbar und doch nicht greifbar, vielleicht kann es das erklären. Glaubt man an Gott als das eine Wort aus dem Anfang in dem bereits alles von Bestand war was dann nachfolgt, so bleibt Er Ursache und Wirkung für die Entwicklung aus den Gesetzmäßigkeiten, die durch Ihn für alle Zeiten bestehen. Auf dem Weg durch das Universum hinterlassen sie eine sichtbare Spur und können so in unser Bewusstsein vordringen, das sich mit all dem auseinandersetzt, was uns das Leben zu bieten hat.
Der Glaube baut auf Gott und ich denke, Gott ist letztendlich das was durch Jesus ein Selbstbewusstsein erzeugen kann. Das heißt im Grunde genommen führt Liebe im Namen zu dem Menschen an dem wir uns selbst festmachen wollen, weil wir ihm vertrauen und dies zum Ausgangspunkt all dessen machen, was wir selbst miterleben können. Vielleicht waren wir bereits als menschliche Einheit vor Gott und wir haben das Wort in den Raum gestellt, der durch Gott als letzte Station eintritt, die es gilt zu begreifen, indem wir uns selbst darin annehmen und uns durch Gott wiederfinden, der sich als gelebte Menschlichkeit in ihrer ganzen Tragweite darin offenbart.
Das Paradoxe an dieser Sache ist wohl das, dass das Leben nie ein Ende finden wird, denn Gott ist der absolute Nullpunkt aus dem es zum Einen hervortrat und in dem es zum Anderen enthalten ist, was den Zugang zu ihm vielleicht nur über Jesus finden lässt, weil Er seinen Namen trägt und wir uns an diesem Namen als Menschen festmachen können.
Im Grunde genommen liegt das Paradoxe im Leben und lässt sich im gewollten Zusammenspiel mit ihm als Mensch erzeugen indem man es als gegeben annimmt und seine Anforderungen in Liebe erfüllt, um in guter Erinnerung zu bleiben. Die Auferstehung von den Toten ist dann eine Sacher der Zeit und der Gegebenheit, die sie mit sich bringt. Ich glaube das Schwerste für uns Menschen ist es an etwas zu glauben was es noch nicht gibt und darauf zu vertrauen, dass es trotzdem eintritt, wie sollte es sonst in unsere Gedanken gefunden haben? Dabei darauf zu vertrauen, dass immer die Natur entscheidet was sie braucht und den Menschen dabei auf seine natürlichen Vorgaben reduziert indem sie ihm sein Recht auf Leben innerhalb ihrer Gesetzmäßigkeiten aufzeigt, das ist wohl die Einzigartigkeit mit der sich jeder selbst auseinandersetzen muss.
Ich würde als Beispiel nennen, dass mehr beachtet werden müsste, in Kirchen Toiletten einzubauen. Die Trauernden zB. sind oft älter, sie möchten im Avemaria und Halleluja und im Segen des Priesters ihren Lieben Nähe sein und sich beim Vater unser auf das eigene Sterben vorbereiten. Das ist sehr wichtig, sehr, hochwichtig, wenn auch klein, nur so ein Menschlein. Oft sind die Leute auch älter als früher, es sind Frauen dabei, die schon geboren haben- und damit sie dabei sein können trinken sie schon die Nacht vorher nicht. Und dann ist es sehr traurig, wenn Ihnen schwarz vor Augen wird und sie zum Arzt müssen stattdessen und bei der bezahlten Messe gar nicht dabei sein können. So erlebt. Gäbe es in den Kirchen Toiletten für diese menschliche Not, wäre alles anders. Sowas meint der Papst wahrscheinlich.
„Man kann christlichen Glauben nicht verstehen, wenn man nichts mit Paradoxen anfangen kann.“ So beginnen Sie, lieber Pater Hagenkord Ihren Artikel.
Und genau mit diesem Gedanken kann ich als Nicht-Theologin einsteigen, denn das, was mich am Paradoxen anzieht, ist seine Schönheit. Selbstverständlich ist nicht alles Paradoxe in dieser Welt schön, doch für das Paradoxe in der christlichen Religion trifft dies für mich eindeutig zu. Was ich damit meine, sei hier etwas gegensätzlich formuliert.
Was mir suspekt ist:
– Ein Verständnis, das alles Paradoxe, alles Widersprüchliche zu begradigen sucht;
– auf dass aus den biblischen Schriften und den daraus resultierenden Traditionen ein, ich sage jetzt, pseudo-logisches System wird, das zwar völlig durchschaubar ist, das jedoch keinen Raum lässt für das Unbegreifliche, das Paradoxe, das Schöpferische, das Göttliche.
Und worin zeigt sich nun die Schönheit des Paradoxen?
– Im Schöpfer, der seinen menschen-Geschöpfen die Freiheit lässt, sich gegen oder für ihn zu entscheiden und der sich niemals abwendet.
– Im Schöpfergott, der das Leben eines Menschen angenommen hat bis zur letzten, schwersten Konsequenz, freiwillig und zu unserem Heil; ganz Mensch und ganz Gott.
Ich fände es total vermessen, dem Schöpfergott vorzuschreiben, wie er sich uns Menschen zu offenbaren habe und was er für uns zu tun habe. Dennoch, dass er es gerade so getan hat und immer wieder neu schöpferisch tut, ist für mich immer aufs Neue wunderbar paradox, unbegreiflich, geheimnisvoll und unendlich anziehend.
Herzlichst, Euer Lese-Esel
Ich habe oft Schwierigkeiten nachzuvollziehen, warum irgendwer da nennenswert ein Problem sieht, wenn es da was Paradoxes gibt.
1. Habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich oft Paradoxes/Widersprüchliches sehe, wenn ich nicht genug über etwas weiß; weiß ich dann irgendwann mehr über die Sache, klären sich Widersprüche oft.
Wenn ich also beim Nachdenken über den allmächtigen, allwissenden, allgütigen Gott mal über ein Paradoxon stolpere, kann ich doch sowieso nicht ausschließen, ob dieses Paradoxon nicht schlicht nur ein scheinbares ist, bedingt durch die Differenz (Allwissenheit – mein Wissen), was sich dann ggf. irgendwann, irgendwie beheben lässt.
Nachdenken über ein solches Paradoxon kann natürlich immer noch richtig sein, weil ich dann vielleicht Einsicht gewinne; aber dass da ein Paradoxon ist, irritiert mich eigentlich kaum.
Es ist erwartbar, dass zwischen mir und Gottes Allwissenheit viele scheinbare Paradoxa liegen.
2. „gekreuzigt, gestorben und begraben,
5hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,“
Ok, also mausetot gewesen, kein Puls, keine Zellaktivität, alles zersetzt sich rapide; bereits nach 24 Stunden ist ein – nicht speziell konservertier – Leichnam schon in einem Zustand, dass die eigentlich einfache Aufgabe in in den Zustand 24 Stunden vorher, also kurz vor den Tod zurückzuversetzen und all die kleinen und großen Zersetzungsprozesse rückgängig zu machen, nicht nur uns heute unmöglich ist; ich vermute auch in tausend Jahren, auch wenn die Wissenschaft weiter so Fortschritte macht, wie die letzten 50, wird es trotzdem noch genauso unmöglich sein auf technischen Wege.
Da ist einfach zu viel zersetzt, zu viel Information unwiderbringlich verloren gegangen, ein 24 Stunden toter Mensch lässt sich auf technisch/medizinischem Wege nicht widerherstellen.
Und dennoch sage ich, dass ich glaube, dass genau eine solche Wiederherstellung oder vielleicht sogar eher eine Wiedergeburt oder eben eine Auferstehung stattgefunden haben soll. Wenn ich das glaube, was sollen mich da noch ein paar Paradoxa schrecken?
„Wer dem eigenen Denken und Beten und Glauben Grenzen setzt, verfehlt Gott.“
Musste der Satz sein?
Was sagt mir denn die Kirche in Bezug auf den Sonntag? Dass ich in die Messe zu gehen habe; jeden Sonntag (und gebotenen Feiertag).
Ist damit meinem Glauben in gewissem Sinne eine Grenze gesetzt? Ja, denn mir ist die Grenze gesetzt, dass ich gefälligst am Sonntag auch Gott in der Messe zu ehren habe und das nicht nur in meinem Kämmerchen zu Hause machen sollen.
Aber jetzt steht in dem Satz scheinbar, dass diese mir von der Kirche gesetzte Grenze etwas falsches ist, was mich von Gott entfremdet.
Ich weiß, ist nicht so gemeint. Aber so wie es dasteht, kann ich es zumindest so verstehen; und deshalb stört mmich der Satz (und damit habe ich mir so ziemlich den einzigen Satz genannt, der mich stört; bitte als Kompliment auffassen).
Bitte genau lesen, auch wenn‘s schwerfällt: „wer sich …“. Ich bin nicht gegen Grenzen, ich bin nur gegen Selbstbegrenzung. Gegen Selbstzufriedenheiten durch Selbsteinschränkung.