Eigentlich wollte ich ja zum Brand von Notre Dame in Paris nichts schreiben. Da habe ich mich schon verschiedentlich in die Nesseln gesetzt. Viele meiner Freunde haben eine sehr emotionale Bindung an diese Kirche und konnten so gar nicht verstehen, weswegen ich das schlimm aber nicht als Ende der Welt verstanden habe. Notre Dame ist eine Kirche, ein Kulturerbe, ein Nationalerbe, nicht weniger aber auch nicht mehr.
Was mich geärgert hat war zum Beispiel, dass die Opferhilfe in Mozambique über hundert Millionen Euro unterfinanziert ist, um den Menschen dort bis Juni helfen zu können. Und quasi über Nacht ein Vielfaches von Großkonzernen zusammen gekommen ist, um das Gebäude wieder zu errichten.
Notre Dame ist eine Kirche
Was mich auch geärgert hat ist der törichte Kommentar des französischen Präsidenten, man wolle die Kirche „schöner“ wieder aufbauen. Was heißt das? Wird jetzt die gotische Architektur und all ihre Veränderungen und Ergänzungen dem Verdikt des Heute unterworfen?
Was mich aber besonders ärgert ist die Debatte um angebliche Entwürfe von Architekten, wie man nun Notre Dame umgestalten könne.
Nicht dass das an sich ungewöhnlich wäre. Kirchenbauten leben und gerade gotische Kathedralen haben immer und immer wieder Veränderungen erlebt, denken Sie nur an die Türme des Kölner Doms, wir glauben die gehörten dazu dabei ist die Einweihung derselben erst 1880 geschehen.
Ein bunter Ideenreigen
Ich zitiere einen Bericht aus der SZ: „Der Brite Norman Foster diente sich sofort mit seinem patentierten Modell einer Glasüberdachung samt begehbarem Vierungsturm an. Das französische Architekturbüro Godart + Roussel möchte das Dach von Notre-Dame ebenfalls durch Verglasung als Aussichtspromenade nutzbar machen. Der Architekt Alexandre Chassang entwarf einen futuristischen … . Der Designer Anthony Séjourné sähe den wiedererstandenen Turm hingegen eher als Lichtprojektion. Sein Kollege Marc Carbonare wiederum möchte, statt die für den Nachbau nötigen Eichen zu fällen, lieber ein Wäldchen auf dem Dach von Notre-Dame pflanzen.“
Das muss als Übersicht genügen, es zeigt den Wahn, sich jetzt an diesem Gebäude verewigen zu wollen. „Ideengetöse“ nennt es die zitierte Zeitung.
Nun melden sich Kunsthistoriker zu Wort. Denkmalpflege sei gefragt, nicht Tourismus-Optimierung (meine Worte).
Bitte keine Tourismus-Optimierung
Und an dieser Stelle muss auch noch mal gesagt werden, was das für ein Gebäude ist: eine Kirche. Klingt selbstverständlich. Ist es aber wohl nicht. Notre Dame ist eine Kirche und es muss die Entscheidung gefällt werden, ob sie das auch bleiben soll. Sprich: wer hier mitreden darf. Und ob religiöse Kategorien überhaupt eine Rolle spielen.
Natürlich ist die Kirche mehr als „nur“ eine Kirche, sie ist ein Erinnerungsort für Frankreich, für Europa, für Geschichte, besonders Geistesgeschichte. Und da bin ich ganz und gar dafür, das darf alles bei der Restaurierung eine Rolle spielen, nein, es soll sogar eine Rolle spielen. Die Kirche muss nachher nicht genau so aussehen wie vor dem Brand.
Es darf gerne anders sein
Aber es zeigt schon wie schwach die Religion ist, wenn sie in der Berichterstattung so fast gar keine Rolle spielt. Ist wahrscheinlich auch unsere Schuld, und in Frankreich sicherlich anders als bei uns. Nur fände ich es gut, wenn wir nun auch eine räumliche Umsetzung unseres Gottesverständnisses debattieren würden. Und nicht nur Glasdächer und Wälder.
Ein kurzer Verweis noch auf Berlin, auf die Hedwigskathedrale. Der Umbau dort – auch das ein massiver Eingriff – wird vor allem mit dem Verweis auf Liturgie und auf einen heutigen Gottes- und Gottesdienstort begründet. Wenn Kirche und Religion sich einmischt und vernehmbar macht, dann sollte eine solche sinnvolle Debatte auch in Paris möglich sein. Jenseits des Schnellschusses, jetzt „alles noch viel schöner“ zu machen.
Sonst ist da mehr verbrannt als nur das Dach.