Gründonnerstag ist Priestertag. Aber was das genau heißt, Priester und Priestersein, das wird immer unklarer. Generell wird Autorität in der Kirche in Frage gestellt, als Resultat des Umgangs mit Missbrauch und Geld und überhaupt Macht. Was können wir überhaupt heute noch sagen? Priestersein ist unklar geworden.
Es gibt immer wieder Versuche, dem auf die Spur zu kommen, was das Priestersein heute sein kann. Papst Franziskus versucht es immer wieder. Auch der Schreiber dieser Zeilen hat es neulich versucht, in der Katholischen Akademie in Bayern. Das ist zu lang, um es hier zu veröffentlichen, das wird an einem anderen Ort passieren. Aber einen Gedanken möchte ich zum Gründonnerstag doch anbringen.
Priestersein ist unklar
Ich möchte bei der Berufung ansetzen. Denn ohne eine solche gibt es ja keine Priester. Man kann über Priester soziologisch, theologisch oder pastoral sprechen, ich möchte das aus der Perspektive des Priesterwerdens und Priesteseins selber tun. In der Berufung liegt ein Problem, wie erst neulich in der ZEIT-Beilage Christ und Welt klug und deutlich formuliert wurde. Wer sich als Berufener weiß, der vermutet hinter seinen Entscheidungen den Willen Gottes, verkürzt formuliert.
Hier liegt dann eine der Wurzeln des Klerikalismus, einer Überhöhung des Amtes und der Funktion des Priesters in und für die Gemeinde. Aber wie kann ich dann über die Berufung sprechen, ohne in diese Falle zu geraten? Ohne das Priestersein gleich mit Autorität und Macht zu identifizieren?
Berufung verstehen
Dazu möchte ich ein Wort zitieren, dass mich selbst seit Jahren begleitet. Es stammt aus dem Römerbrief des Apostels Paulus. Apostel ist hier wichtig, denn auch er versteht sich als berufen und gesand, auch wenn der Begriff ‚Priester‘ auf ihn nicht zutrifft. Aber sein Verstehen von ‚Berufung‘ hilft mir weiter.
Die Einheitsübersetzung gibt seine Selbstbeschreibung zu Beginn des Briefes als „ausgesondert, das Evangelium Gottes zu verkünden“ wieder. Ausgesondert zu predigen das Evangelium Gottes“ heißt es bei Luther. „Ausgesondert zur Heilsbotschaft Gottes“, übersetzt Fridolin Stier das griechische Wort ἀφωρισμένος εἰς εὐαγγέλιον θεοῦ. „Segregatus“ sagt die lateinische Vulgata. Im Galaterbrief benutzt Paulus dasselbe Wort, da ist er schon im Mutterleib „ausgesondert“ von dem, der ihn – Paulus – in Gnade berufen hat.
Ausgesondert
Er stellt sich also als getrennt vor, als abgesondert, als speziell, er begreift den Auftrag an ihn als etwas, was ihn eigen macht, anders, nicht wie die anderen. Wir stoßen hier auf ein Problem, nämlich die Frage wie ausgerechnet Paulus so etwas sagen kann.
Gerade Paulus ist sonst ja jemand, der Trennungen aufhebt. „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“ heißt es im Galaterbrief (3:28). Zentrum des Römerbriefs ist die Frage nach dem Gesetz, das die Menschen teilt, in die, welche nach dem Gesetz sind, die Volk sind, und die anderen, die Heiden. Diese Trennung sucht Paulus zu überschreiten, hin auf einen Universalismus hin, auf das „Katholische“.
Und der gleiche Paulus, der diese Trennungen überschreiten will, führt eine neue Trennung ein, die ihn selber aussondert.
Trennungen überschreiten
Was wir zuerst sagen können ist, dass seine Trennung von anderer Art ist. Sie ist nicht soziologisch, sie entsteht nicht durch Geburt oder durch Jude-Sein. Nicht biologisch: nicht durch Frau oder Mann sein. Nicht juristisch: nicht durch Sklave oder frei sein, um in der Vorstellungswelt der Antike zu bleiben.
Seine Trennung geschieht durch Gnade, dieses ihm so wichtige Wort. Also durch Gott. Es ist keine menschliche Trennung.
Der Philosoph Giorgio Agamben nennt das ein „Trennen der Trennungen“. Das „abgesondert“ ist eine Funktion. Kein Standpunkt. Soll heißen: es wird keine Trennung wie die, die wir in Sklave-Freier, Jude-Heide, Mann-Frau kennen und die Paulus an anderer Stelle zitiert. Genau das will das nicht sein, kein Standpunkt. Keine neue menschliche Trennung.
Paulus Selbstbeschreibung – und darauf will ich hinaus – ist ein Agieren, ein Überwinden bestehender Trennungs-Vorstellungen, religiöser wie sozialer.
Überwinden von Trennungen
Wenn wir Priester sind, wenn wir uns in Nachfolge der Apostel sehen, dann ist das kein Status, keine Selbstbestätigung, sondern bereits „apostolisches Tun“. Ein Priester, der sich auf den Status beruft, der in den Teilungen der Welt bleibt, ist eben nicht „ausgesondert“, sondern Teil der Trennungen. Unser Priestersein muss Teilungen teilen, muss auf das Katholische, auf das die Trennungen der Welt auflösende, hin wirken.
Ein Priester à la Paulus darf sich nicht einsortieren in die Vorstellung von Welt, von den Trennungen die wir kennen, den Aufteilungen.Paulus stellt sich als jemand vor, der abgetrennt ist von den Plausibilitäten der Welt. Das bedeutet Berufung.
In dem Sinne führt es in die Irre, der Lutherischen und dann im katholischen Übernommen Formulierung zu folgen, jeder Beruf in der Welt sei eine Berufung. Berufung ist eben genau nicht deckungsgleich mit den Selbsteinteilungen der Welt, den Plausibilitäten. Berufung stört, muss stören, weil sie sich der Gnade verdankt, nicht den Berufs- und Lebensprojekten.
Absage an soziale Identitäten
In den ersten Jahrhunderten war Christsein verbunden mit einer Absage an soziale Identitäten, darauf weist uns Paulus mit seinem „abgesondert“ hin. Unser Instinkt, Identität in stabilen sozialen Strukturen zu finden, ist stark. Aber er trägt nicht mehr, das wird uns jetzt sehr klar. Und diese Strukturen waren auch nie dazu gedacht, unsere christliche, unsere priesterliche Identität zu tragen. Das sagt uns Paulus.
Wenn ich also nach der Orientierung und Berufung mit Blick auf das Priestersein frage, dann darf ich nicht nach Plausibilität, nach Identität, nach Funktionalität fragen. Darin liegt das Abgesondert-Sein heute, und das gilt dann nicht nur für Priester.
Zurück zu meinem Satz, Priestersein ist unklar geworden. Wenn uns also nicht die eigene Berufung zum Status führt, uns nicht soziologisch, rechtlich oder sonstwie trennt, was denn?
„Who is it that can tell me who I am?“
„Who is it that can tell me who I am?“ fragt King Lear bei Shakespeare. Das ist die Krise des Priesterseins in einem Satz. Um sagen zu können, wer ich bin, was ich bin, brauche ich Input von außen, vom anderen, von den anderen. „Viele berücksichtigen, wenn sie von der Identitätskrise der Priester sprechen, nicht die Tatsache, dass Identität Zugehörigkeit voraussetzt. Es gibt keine Identität – und damit Lebensfreude – ohne aktive und engagierte Zugehörigkeit zum gläubigen Volk Gottes (EG 268).
Das ist die Papstformulierung zu den fehlenden Trennungen. Nicht hier, nicht in den Trennungen finden wir den Einstieg ins Priestersein. Nicht im Inneren, nicht in der Frage nach der Identität und Autorität. Noch einmal der Papst:
„Der Priester, der sich einbildet, die priesterliche Identität zu finden, indem er introspektiv in sein Innerstes hinabtaucht, wird dort wohl nichts anderes finden als Zeichen, die auf den „Ausgang“ verweisen: Geh aus dir selbst heraus, geh hinaus und suche Gott in der Anbetung, geh hinaus und gib deinem Volk, was dir anvertraut ist, und dein Volk wird dafür sorgen, dass du spürst und erfährst, wer du bist, wie du heißt, was deine Identität ist, und es wird dir hundertfach Freude verschaffen, wie es der Herr seinen Knechten versprochen hat. Wenn du nicht aus dir herausgehst, wird das Salböl ranzig und die Salbung kann keine Frucht bringen.“ (Chrisammesse 2014)
Abgesondert durch Gnade: Das gibt mir keine Macht. Keine Autorität. Kein Besonders-Sein. Sondern will gerade diese Trennungen durchtrennen. In Zugehörigkeit zum Volk Gottes.