Alles ist mit allem verbunden: wie ein roter Faden oder ein Credo zieht sich diese erst einmal banal klingende Aussage durch den Text, der heute 5 Jahre alt wird: Die Enzyklika Laudato Si’. Dass diese Aussage so banal nicht ist zeigt sich mindestens bei den heftigen Reaktionen, welche gleich zu hören waren und immer noch sind. Man mag das nicht hören, weil der Satz von Verantwortung spricht. Verantwortung für alles, weil alles mit allem verbunden ist. Verantwortung für die Schöpfung.
Es fällt uns allen aber schwer, uns selbst als Verursacher oder Schädiger zu akzeptieren. Dass müssen wir aber, wollen wir diese Grundaussage der Enzyklika Ernst nehmen. Wenn ich in den Debatten um Umwelt, Klima und Zukunft was gelernt habe, dann das: es ist schwer, in sich selbst die Gründe für den Schaden zu erkennen.
Verantwortung für die Schöpfung
Abstrakt nennt der Papst das eine fehlgeleitete Sicht, die uns Menschen ins Zentrum stellt, also herauslöst aus dem Gewebe der Schöpfung. Konkret werdend nennt er es Bekehrung, eine „weltweite ökologische Umkehr“ aller wie auch die „innere Umkehr“ (Nr 216ff).
Wir müssen die Art und Weise, wie wir uns die Welt gemacht haben, korrigieren, wenn die Schöpfung und damit wir selber eine Chance haben wollen. Es geht darum, „die strukturellen Ursachen der Fehlfunktionen der Weltwirtschaft zu beseitigen und die Wachstumsmodelle zu korrigieren, die allem Anschein nach ungeeignet sind, den Respekt vor der Umwelt […] zu garantieren“, zitiert Franziskus seinen Vorgänger Benedikt XVI. (Nr. 6).
Respekt!
Und damit geht es um Schöpfung und Auftrag Gottes, es geht um Gerechtigkeit, um die Würde des Geschaffenen, aber auch um die Art und Weise, wie wir miteinander über all diese Dinge sprechen.
Dass der Vatikan nun gleich ein ganzes Laudatio Si’ Jahr zum Thema veranstalten wird, wirkt auf mich fast schon wie eine weiße Fahne. Als ob man eingesehen hätte, dass Die Welt zwar höflich applaudiert – oder vehement widerspricht – sich aber nicht viel getan hat. Man will nichts unversucht lassen, dieses Thema hoch zu halten. Als ob brennende Wälder und dergleichen nicht reichen würden. Erinnern Sie sich noch? Letzten Sommer? Da hat Amazonien gebrannt und alles war aufgeregt. Für wenige Wochen. So wirklich zur Einsicht bewegt hat uns das nicht, von Umkehr mal ganz zu schweigen.
Es ist eine Krise, die uns bleibt. Nicht eine, die absehbar zu Ende geht und wo wir die Einschränkungen aushalten können. Sondern eine, die unsere Lebensweise verändern wird, ob wir wollen oder nicht. Noch können wir selber aktiv werden, noch können wir Dinge ändern, auch wenn uns das vielleicht zunächst nicht passt. Es ist erfreulich, dass Papst und Vatikan die positive Botschaft in den Vordergrund stellen und nicht die Position des Unglückspropheten einnehmen.
Hoffen wir, dass beim zehnten Geburtstag des Textes wir mehr vorweisen können als zu diesen.
Fünf Jahre Laudato Si – und kaum etwas hat sich seitdem geändert. Ist das eine Frage fehlender Einsicht? Ich glaube nicht.
Die systemtheoretische Handlungstheorie arbeitet mit dem Paradigma, dass die Handlung immer der Erkenntnis vorangeht: Ich kann nur das erkennen, was ich be-greifen kann. (Eine Denkfigur, die auch der Theologie nicht fremd ist.) Der umgekehrt Weg, also von der Einsicht hin zur Handlung, kann sehr schnell zur Überforderung führen, wenn nämlich die Einsichten zu widersprüchlichen Erkenntnissen führen. Wie soll ich da noch handeln? Und dann wird die Welt so zurechtgestutzt (zurechtstutzen = handeln!), dass ich endlich wieder durchblicke. Willkommen in der Blase!
Alles hängt mit allem zusammen, das ist der rote Faden von Laudato Si (und auch konstitutiv für systemtheoretisches Denken). Hier haben wir es mit Überforderung pur zu tun. Alles ist heillos kompliziert. Was kann ich da noch tun? Vielleicht ist deshalb die Resonanz auf Laudato Si bisher so verhalten gewesen.
Ich meine, dass hier eine zusätzliche Ebene eingezogen werden sollte (in der Systemtheorie: Ebenendifferenzierung). Laudato Si wird sehr konkret, was die notwendigen globalen Handlungsschritte angeht. Aber aus Erkenntnis leitet sich eben nicht das konkrete Handeln ab. Erkenntnis kann im Gegenteil blockierend wirken. Wir sollten deshalb die Intention von Papst Franziskus mehr in den Mittelpunkt rücken, dass nämlich diese globalen Krisen nur eine weltweit angelegte sakramentale Lösung finden können (Eucharistie wäre dann wirksame Handlung, die zur Einsicht führt). In diesem Kontext werden dann auch die einzelnen Maßnahmen für den Umweltschutz, bis hinunter zur Mülltrennung, wieder ihren Sinn finden.
“Laudato si” und jede Form der Erinnerung daran sind doch schöne Vorlagen für die sog. Bittage jetzt im Mai, für Kräuterprozessionen und Wallfahrten durch Feld, Flur und Wald. In schöner Allianz von Naturschutzverbänden, KlimaforscherInnen und traditionellen PilgerInnen, WallfahrerInnen und deren priesterliche Begleiter könnte auf die Zusammenhänge hingewiesen werden. Außerdem könnte anstelle einfacher Gebete um – wahlweise – Regen, Sonne, gute Ernte auf die Hintergründe für ausbleibenden Regen, CO2-Ausstoß, Monokulturen, Überdüngung, Massentierhaltung und andere Formen industrialisierter Ausbeutung der Natur und der Kreaturen hingewiesen werden. Die Gebete hätten dann Bußcharakter. Die Lossprechung wäre eine größere Herausforderung.
Über 25 Jahre vor Laudato Si fragte im Jahr 1989 die erste Europäische Ökumenische Versammlung in Basel in ihrem von allen Europäischen Kirchen unterzeichneten Schlussdokument:
„Wie sind wir in diese Lage hineingeraten? Was sind die tieferen Wurzeln der Bedrohungen, denen wir heute ausgesetzt sind? (…) Der wahre Grund für diese Fehlentwicklung ist (…) in den Herzen der Menschen, in ihrer Einstellung und Mentalität zu suchen. Da ist die Täuschung, dass der Mensch imstande sei, die Welt zu gestalten; die Vermessenheit, die zur Überschätzung der Rolle des Menschen im Hinblick auf das Ganze des Lebens führt; eine Ideologie des ständigen Wachstums ohne Bezug auf ethische Werte an der Wurzel der Wirtschaftssysteme in West und Ost; die Überzeugung, dass die geschaffene Welt uns zur Ausbeutung und nicht zur Fürsorge und Pflege übergeben sei; das blinde Vertrauen, dass neue Entdeckungen die jeweils entstehenden Probleme lösen werden und daraus folgend die Nichtbeachtung der Risiken, die durch unser eigenes Tun entstanden sind.“
Etwa ein Drittel des Dokuments, das insgesamt 100 Ziffern hat, beschäftigt sich mit dem Themenfeld Bewahrung der Schöpfung. Der ganze Text ist lesenswert. Ozonloch und Treibhauseffekt kommen zwar vor, die Klimakatastrophe war aber noch nicht so im Blick wie heute. Dagegen sind bioethische Fragen schon dezidiert angesprochen. Es gibt lange Passagen zum Energiesparen, gegen die Kernkraft, für den Schutz der Artenvielfalt. Mit großem Nachdruck forderte die Versammlung: „Wir brauchen eine ökologische Weltordnung“ (Ziff. 13).
Wie ist das mit den „tieferen Wurzeln der Bedrohungen, denen wir heute ausgesetzt sind“ und mit den der „Mentalität“ in den Herzen der Menschen? Das ist eine Frage, die mich seit Jahrzehnten bewegt. Warum setzen wir nicht um, was wir wissen? Die Frage stellt sich individuell (bei Rauchern, bei Menschen, die nicht auf ihre Gesundheit achten, bei Autofahrern, die alle Verkehrsregeln missachten, im individuellen Kontext von Macht, Ausbeutung, Ressourcenverbrauch), sie stellt sich aber auch im großen Maßstab politisch und gesellschaftlich, einmal national und selbstverständlich international. Kaum ein Satz hat mich ähnlich geprägt wie die Mahnung von Alois Glück, dem langjährigen CSU-Fraktionsvorsitzenden im Bayerischen Landtag und Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, der immer wieder fragte: „Wie schaffen wir es, dass eine Gesellschaft sich so verhält wie Eltern, die zum Wohl ihrer Kinder auf etwas verzichten, das nicht lebensnotwendig ist?“ Viele Wissenschaftsbereiche, etwa die Umweltpsychologie, die Wirtschaftspsychologie, die Moraltheologie und andere, beschäftigen sich mit diesen Fragen.
1973 erhielt der Bericht des „Club of Rome“ zur Lage der Menschheit mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Unter anderem zeigten die Forscher um Dennis und Donella Meadows eine Grundhaltung vieler Menschen auf, nämlich – stark verkürzt –, dass das Denken an „mich“ und das Denken an „heute“ im Vordergrund stehen – im Gegensatz zum Denken an den „Anderen“ und das Denken an „morgen“ oder „übermorgen“. Sie zeigten, dass – bei den Einen aus Not, bei den Anderen aus Gleichgültigkeit – die Aufmerksamkeit auf der Zeitskala von „kommende Woche“ über „die nächsten Jahre“, „meine Lebensspanne“, bis zu „Lebensspanne der Kinder“ kontinuierlich abnimmt. Das Gleiche gilt für eine auf den Lebensraum bezogene Skala mit abnehmender Rücksichtnahme auf „Familie“, „Nachbarschaft, Arbeit, Stadt“, „Nation“, „Erde“. Ich denke zuallererst an mich und meine Familie in der nächsten Woche, das scheint zur Conditio humana zu gehören. Wie schaffen wir es, den Horizont zu weiten und heute so zu handeln, dass es anderen heute und erst recht anderen, die nach uns kommen, nicht schadet?
Laudato si ist für mich ein sehr wichtiges Dokument unserer Kirche. Nicht vergessen werden sollte aber auch der Einsatz anderer, der Europäischen Ökumenischen Versammlungen, aber zum Beispiel auch der Orthodoxen Kirche und ihren Einsatz für einen weltweiten „Tag der Schöpfung“.
Fünf Jahre „Laudato si“: „Es hat sich aber nicht viel getan hat. Man will nichts unversucht lassen, dieses Thema hoch zu halten.“???
„Laudato si“ war eine dringend notwendige Korrektur der Glaubenslehre, die Jahrhunderte lang die Bedeutung der Schöpfung weitgehend vergessen hatte. Noch schlimmer: Die Spiritualität und Gebetskultur der Kirche ist weitgehend „schöpfungslos“, apokalyptisch und jenseitsorientiert. Wer die Texte der Eucharistiefeier durchsieht, wird auf der Suche nach schöpfungstheologischen Aussagen kaum fündig werden. Und die Priester beten täglich das Gebet von der Schöpfung als dem „Tränental“. Kurz nach dem Erscheinen von „Laudato si“ schrieb ich die Bitte an die DBK und an den Vatikan, man möge doch mit der Aktualisierung der kirchlichen Glaubenslehre durch entsprechende Glaubensdokumente auch gleich eine Reihe von Orationen für den Gottesdienst mitliefern, damit diese Texte zu einer „gebeteten Theologie“ werden und so das Glaubensverständnis der Menschen prägen. Sonst stehen die Heftchen mit der aktualisierten Glaubenslehre in den Bücherregalen der Pfarrämter und in der Kirche daneben beten wir weiterhin mittelalterlich. Auch wenn das offiziell nicht erlaubt ist, habe ich nach der Durcharbeitung von „Laudato si“ gewagt, dreißig Orationen aus der Theologie und Spiritualität dieses Glaubensdokumentes zu formulieren und habe diese in meiner Homepage veröffentlicht. Außerdem habe ich einen „Schöpfungsrosenkranz“ mit diesen Gebeten gestaltet, der dann von einem kirchlichen Verband entdeckt und veröffentlicht worden ist. Wenn ich an „Redemptor Hominis“ (1979) denke oder an „Sollicitudo rei socialis“ (1987): Es ist immer dasselbe Elend: Wertvollste Aktualisierungen der Glaubenslehre haben leider keine Wirkung auf Spiritualität und Glaubensverständnis der Gläubigen, weil wir weiterhin ganz anders beten als wir eigentlich glauben sollten.
Vielleicht schaffen es die Indigenen Amazoniens, die ja die Erlaubnis erhalten haben, einen eigenen Ritus zu entwickeln, der ihrer Kultur und ihrer Naturverbundenheit entspricht, den Text von „Laudato si“ spirituell auszuwerten. Adveniat wird ihn dann sicher auch übersetzen und uns davon spirituell anregen. Ich bin überzeugt: Verhaltensänderung braucht die Rückendeckung durch eine neue Spiritualität.
Manfred Hanglberger