Sein Bistum ist halb so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Wald, Fluss, wenige Straßen und nur eine Stadt: Itaituba. Und deswegen ist Wilmar Santin OCD dauernd unterwegs. Ein reisender Bischof in Boot, Flugzeug und Wagen. Immer möglichst umweltschonend, darauf besteht er, schließlich geht es auch ihm um den Schutz Amazoniens, des Waldes wie der Kulturen.
Also sitzt Dom Wilmar bei uns im Boot zum Besuch bei den Munduruku, dem Volk das die Mehrheit der Indigenen im Bistum (eigentlich: in der apostolischen Prälatur) Itaituba stellt. Er teilt den Traum von Papst Franziskus, sagt er uns, eigentlich hätte er gerne einen indigenen Priester für jedes indigene Dorf. Bislang hat er keinen einzigen. Einundzwanzig Priester hat er für die ganze Fläche, zwanzig davon seien Ordensleute. Also von außen, meistens aus dem Süden Brasiliens.
Ein reisender Bischof
Das habe ganz merkwürdige Auswirkungen, sagt Dom Wilmar. So seien Heiligenfeste im Ort wichtiger als Weihnachten oder Ostern. Der Grund: zu Patronatsfesten komme der Priester, dann wird geheiratet, getauft, gefirmt, Messe gefeiert. Ostern und Weihnachten kommt niemand, da hätten die Priester in den größeren Dörfern zu tun, in den sieben Pfarreizentren. Was das bei einer solchen Fläche an Abständen bedeutet, kann man sich ausmalen.
Weil die katholische Kirche aber immer auf Missionare gesetzt habe, gebe es keine Kultur der Beteiligung. Laien seien nie ermutigt worden, selber die Dinge in die Hand zu nehmen. Die neuen christlichen Kirchen, die Evangelikalen und Pentekostalen machten das anders, da sei alles in Laienhand und die Pastoren seien auch immer präsent. Deswegen liefen sehr viele Indigene zu denen.
Die katholische Kirche muss reagieren
Darauf müsse die katholische Kirche dringend reagieren, sagt Dom Wilmar. Die katholische Kirche müsse lernen. Nicht übernehmen, aber von dem lernen, was sie wahrnähmen.
Lernen könne die Kirche durch eine erneuerte Betonung des Wortes Gottes. Messe und Sakramente sind wichtig, der Erfolg und die Methoden des Evangelikalen zeigten aber, dass die Bibel und die eigene Beschäftigung damit attraktiv seien. Das müsse auch die katholische Kirche wieder betonen.
Aber das sei nicht nur eine Reaktion auf die Evangelikalen, „sondern ich lerne da auch aus meiner persönlichen Erfahrung im Umgang mit den Menschen. Ich spüre, dass sie einen großen Hunger haben, das Wort Gottes kennen zu lernen. Wir arbeiten seit einiger Zeit vermehrt mit Bibelkreisen in Dörfern und Pfarreien.“
Hunger nach dem Wort Gottes
Lernen könne die Kirche zweitens, dass ein indigener Klerus eine Frage des Zölibats ist. Ehelosigkeit sei kulturell nicht zu vermitteln. Deswegen setzt er auf ein Ausbildungsprogramm für ständige Diakone, und auch für liturgische Dienste wie das Taufen oder das Verheiraten. 48 Munduruku habe er schon offiziell zu „Dienern des Wortes Gottes“ ausgebildet und ernannt, das umfasse Katechese aber auch Liturgien und Austausch und Bibelkreise.
Viri Probati? Ja, auch darüber müsse die Kirche sprechen, aber das sei nicht nur eine Frage Amazoniens. Das ginge alle an, weltweit. Aber auch hier könne man lernen, von anderen.
Dom Wilmar spricht ruhig und entspannt. In seiner Zweck-Kleidung würde unsereiner nie auf den Gedanken kommen, er sei ein Bischof. Nicht einmal den Ring trägt er, das tut er nur zu liturgischen Zwecken. Er spricht mit den Munduruku, übersetzt für uns, erklärt, und man merkt wie sehr ihm diese Völker ans Herz gewachsen sind.
Lernen, und zwar auch in Rom
Jetzt zur Synode ist auch Dom Wilmar in Rom. Im Bischofsgewand wird er kaum wiederzuerkennen sein, aber das gehört zur Synode dazu. Seine Erfahrungen will er einbringen. Und auch wenn er nicht glaubt, dass es zu einer Debatte um den Zölibat kommen werde – dafür seien die Widerstände zu stark – hofft er doch auf Spielraum, um neue Wege gehen zu können.
Er spricht von einer Revolution, die es braucht. Wie ein Umstürzler wirkt er aber so ganz und gar nicht. Sondern wie einer, der für seine Leute das Beste will.
Lernen will er auch hier in Rom. Das sagte er mir im Gespräch bei meinem Besuch auf den Flüssen seines Bistums. „Es wird bei der Synode viele Vorschläge geben“, sagte er mir im vergangenen Mai. „Viele gute Dinge passieren ja schon, von denen andere nichts wissen. Nicht nur hier in Brasilien, sondern auch in den anderen Amazonas-Ländern. Erfahrungen aller Art, die uns helfen können aufzuwachen und ähnliche Dinge zu probieren.“
„Revolution“
Der Papst wolle ja ausdrücklich „Neue Wege für die Kirche“, das steht ja auch im Titel über der Synode. Deswegen werde es viele Vorschläge geben, welche die Pastoral und die Kirche in Amazonien revolutionieren werden. Da ist es wieder, das Wort „Revolution“. Es können Dinge entstehen, die dann auch über das hinausgingen, was die Synode vorschlagen werden.
Er will eine „Weitung der positiven Erfahrungen für ganz Amazonien“, nicht nur auf ein Bistum oder eine Region beschränkt. Bischof Wilmar Santin will lernen, dafür fährt er mit dem Boot über die Flüsse seines Bistums, und auch deswegen ist er nach Rom gekommen.
Eine neue Sorte Bischof, möchte man meinen. Nicht lehren, sondern erst einmal lernen.
Die Debatte, die im Amazonas in Gang gekommen ist, zeigt meines Erachtens eine Vielschichtigkeit der Problematik in der gesamten Kirche und vor allem unter den Gläubigen – nicht nur im Amazonas. Die Überzeugungskraft der katholischen Kirche sinkt. Viele Defizite und Enttäuschungen sind es, die Sorge machen. Zum anderen gibt es auch Bedingungen unter den Amazonasvölkern, die uns Europäer/Innen fremd sind. Als Bischof von anderen nur zu lernen, ist schon sehr demütig. Doch Dom Wilmar scheint neue Wege zu gehen, jenseits der historischen Sichtweise des Vatikans, aber in der überraschenden Sichtweise von Papst Franziskus.
Der Zulauf in evangelikale Gemeinden zeigt das Interesse an anderen christlichen Formen. Die Förderung von Laienpredigern, die Abkehr von kirchlichen Traditionen entnehmen sie häufig durch das Lesen in der Bibel. Diese Gruppen werden ermutigt, aus den „Deformierungen“ der Kirche heraus zu kommen und wieder das Ursprüngliche zu leben. Plötzlich dürfen sie sich selbst Meinungen und Erkenntnisse über das Wort Gottes bilden. Intrinsische Erkenntnis als Gegenentwurf von Tradition und Oberflächlichem. Doch hierbei können auch wieder allzu einengende und ausgrenzende Vorstellungen entstehen. Und plötzlich wird die Sache Jesu verstärkt wieder zum Auslegungs- und Streitfall.
Zum anderen: Ist es wirklich die Tradition des Christentums, in echolalischer Weise Gebete zu wiederholen, die Messe und Weltfremdes an den Anfang/ in die Mitte zu stellen, den Fokus auf Prophetie und Endzeit zu setzen? Die einen mit dem Wunsch nach unerreichbaren paradiesischen Zuständen, die anderen mit der Hoffnung auf Ende des Gastseins und Elends auf Erden zu bestärken? Und hierbei auch die Bibellektüre auf diese Themenbereiche zu fokussieren.
Inwieweit können wir den Menschen im Amazonas-Gebiet das Gefühl der Wertschätzung und Menschenfreundlichkeit Gottes geben, sie unterstützen in ihrer Art, Christsein zu leben und völlig neue Perspektiven zu öffnen? Jenseits von spirituell geschürten Ängsten und traditionellen Riten?
Denke an den bemerkenswerten Bericht von einem Arzt, der Jahre mit seiner Familie unter Ureinwohner lebte – jedoch das Konkurrenzdenken innerhalb der christlichen Gemeinschaften, Manipulation durch bewusste Beschädigungen oder die Vorteilsnahme von kirchlichen Interessen als abstoßend und als inakzeptabel erlebte. Sicherlich waren dies Einzelfälle – aber sie zerstören Vertrauen.
Inwieweit können die einen das Beste geben, ohne mit den anderen in einen Konkurrenzkampf zu geraten?
Inwieweit verliert sich die katholische Kirche in dogmatischen Streitigkeiten, die für die Menschen dort nichts mit ihrem Alltag zu tun haben? Können wir akzeptieren, dass – meines Erachtens – Dogmen auch historische Bezüge hatten, die auch immer wieder beleuchtet werden müssen, um nicht ins Pharisäerhafte oder Absurdum abzudriften?
Doch, was war eigentlich das Ursprüngliche, dass christliche Urkirchen überhaupt entstanden sind? Hatte es nicht viel mehr mit einem lebendigen Glauben und Teilen in der Gemeinschaft und im Geist, Menschenfreundlichkeit und Vernunft zu tun gehabt, die positive Veränderungen brachten? Menschen haben Verantwortung übernommen, sind über sich hinausgewachsen: Gemeinsam gegen Unrecht, gemeinsam für bessere Lebensbedingungen. Gemeinsam mit den gleichen Erinnerungen und offen für das Neue.
Christliche Basisgemeinden haben viel Positives zu bieten – sie wissen um die Not der einzelnen und den örtlichen Besonderheiten. Dies ist etwas anderes als nur auf die nach Rom gesandten Zahlen von Getauften oder Gottesdienstbesuchern zu schauen.
Das Reich Gottes ist auf unsere gemeinsame Arbeit angewiesen, aber nur Äußerlichkeiten oder europäische Vorstellungen zu sehen ist zu wenig. Vergessen wir nicht: Wenn es keine Religion gäbe, Gott ist da und leidet mit – auch mitten im Amazonas.
Ich denke, die Kirche muss nicht nur lernen, sondern die Kirche muss auch umlernen um ihre Mission in diesem Jahrundert zu erfüllen….
Dreimal gibt Jesus Simon Petrus den Auftrag: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe.“ Priester sind letztlich
Hirten. Die Frage ist einfach – wie viele Schafe bzw. Gläubige – kann ein Hirte bzw. Priester weiden bzw. betreuen ? 10.000, 5000, 1000 oder nur wenige hundert ? Die Bischöfe sollten mal einen Schäfer fragen ! Im 19. Jahrundert kam im Erzbistum München auf ein Priester rund 350 Gläubige und eine starke Individualseelsorge. Hinzu kommt das riesigen Gebiet. Das heute dort viele der Schafe (Gläubige) verloren gehen – auch in Europa – widerspricht fundamental den Auftrag Jesus: Weide meine Lämmer ! Da braucht es Stärkung der Basisgemeinden die von Gläubigen (=Hirten/Hirtinnen) betreut werden, mehr Diakone, auch Diakonissen und viri probati – viel mehr HIRTEN ! Wer das anders sieht steht im Widerspruch zu Jesus Worten !
Offen gesagt ist es mir bis heute schwer nachvollziehbar wie das jüdische Priesteramt des Kohanim (welches es eigentlich nur im Tempel gab) in unserer Kirche kam und “so dominat” werden konnte….Jesus und auch die Apostel waren keine jüdischen Priester. Die Entstehung des christlichen Priesteramt ist ein Rätsel. Das jüdische Kohanimamt wird ja auch defakto genetisch vererbt, bis heute ! Ja, jeder Kohanim konnte heiraten aber es gab und gibt sehr strenge Reinigungsregeln ! Was ich damit sagen will – nach dem Evangelium – muss ein Hirte oder eine Hirtin, nicht zwingend ein “Priester” sein – außerdem gibt es ein “gemeinsames Priestertum der Gläubigen“.