Es ist der Wille und die Entscheidung der ganzen Kirche, dass sexueller Missbrauch nie wieder vorkommen, nie wieder vertuscht und nie wieder herungergespielt wird. Papst Franziskus war in seiner Weihnachtsansprache an die Kurie im Vatikan klar und eindeutig, und das nicht das erste Mal. In seinem Brief an die US-Bischöfe in den vergangenen Wochen war er noch einmal konkreter: das Ganze ist keine Organisationsfrage, sondern eine Mentalitätsfrage. Es geht um Bekehrung und Einsicht, letztlich um einen anderen Umgang mit Macht und Autorität.
Es bleibt aber die Frage offen, wie wir das, was an Leid und Verbrechen bislang hat geschehen können, bewerten. Und das unter anderem auch deswegen wichtig, weil wir nur durch Verstehen von Missbrauch effektiv verhindern können, dass es wieder passiert. Das gilt vor allem für die Konferenz, die zu den Themen Kinderschutz, Aufklärung und Prävention von Missbrauch im Februare hier im Vatikan stattfinden wird.
Missbrauch durch Verstehen verhindern
Nun taucht in den vergangenen Monaten immer wieder eine Deutung auf, die mich etwas unruhig macht. Fast schon zur Karrikatur verzerrt etwa in den diversen Briefen des ex-Nuntius Viganò. Oder in Interviews. Aber auch in eher ruhigen Analyse-Stücken wie etwa dem von George Weigel, einem US-Journalisten und Papst-Kenner, jedenfalls was Johannes Paul II. angeht.
Bleiben wir bei Weigel: der spricht über die Konferenz im Februar und fordert, dass die Beschlüsse oder Beratungen die empirischen Ergebnisse reflektieren müssen. Das fällt zusammen mit zwei weiteren Forderungen Weigels, nämlich der nicht auf ideologische Lösungen zu setzen und damit eigene Interessen in die Debatte einzuschleusen (Stichwort Abschaffung des Zölibats), sowie genau hinzuschauen, was zur Krise hat führen können, „Klerikalismus!” zu rufen reiche nicht aus. Soweit, so richtig.
Kinderschutz und Homosexualität
Dann aber sagt Weigel, dass man mit Blick auf die Daten nicht von „Kinder”-Schutz sprechen könne, es gehe vor allem (und er spricht von der katholischen Kirche) um Jungen. Außerdem sei das Sprechen von Pädophilie in diesem Zusammenhang falsch. Es gehe um heranwachsende Jungen und junge Männer, die Opfer von Missbrauch geworden seien.
Das Narrativ dahinter wird deutlich: die Missbrauchs-Debatte müsste eigentlich eine Homosexualitäts-Debatte sein. Viganò vertritt das mit Vehemenz, andere sich selbst vor allem gerne als laubens-Kontrolleure aufspielende Webseiten englischer Sprache auch. George Weigel tut es eher zurückhaltend und fragend, aber trotzdem in dieselbe Richtung denkend.
Wenn das aber so wäre, dann wären auch die Lösungen klar. Anstatt über Homosexualität zu reden, wäre die Ablehnung oder die Erklärung, das sei eine Krankheit, ausreichend. Anstatt Haltungen zu überdenken, würden sie verstärkt, und das auch noch mit dem Verweis auf die Krise.
Keine Ideologien, bitte!
Aber machen wir das, was Weigel fordert, schauen wir die Daten an, in unserem Fall in die MHG Studie. Die wird zwar oft kritisiert, aber es sind erst einmal Daten, und auf die sollen wir ja schauen. Korrekt werden in der oben genannten Deutung die Daten wieder gegeben, ich zitiere aus der Studie:
„Dokumentierte Hinweise auf eine homosexuelle Orientierung lagen bei 14,0 Prozent bzw. 19,1 Prozent [an dieser Stelle bezieht sich der Text auf zwei verschiedene Studien] der beschuldigten Kleriker vor. Dies war gegenüber der Vergleichsgruppe aus anderen institutionellen Kontexten wie z.B. Schulen (6,4 %) stark erhöht. In Teilprojekt 2 fanden sich bei 72 Prozent der interviewten beschuldigten Kleriker Hinweise auf eine homosexuelle Orientierung und bei 12 Prozent der interviewten nicht beschuldigten Kleriker.“
Das unterstützt scheinbar erst einmal die Deutung Weigels. Mit Blick auf die Daten muss festgestellt werden, dass es zumindest im Vergleich in der katholischen Kirche mehr Missbrauch unter homosexuellen Vorzeichen gibt.
Zahlen sind noch keine Analyse, Analyse noch keine Interpretation
Aber, und das ist ein großes und wichtiges aber, Zahlen sind noch keine Analyse. Anlyse ist noch keine Interpretation. Und gerade bei einem solchen Thema muss das sehr vorsichtig passieren, denn selbst Weigel fordert ja, keine ideologischen Thesen dem Thema aufzudrücken.
Also zitiere ich noch einmal aus der Studie, die sich die eigenen Zahlen anschaut: „Monokausale Erklärungen für das deutliche Überwiegen männlicher von sexuellem Missbrauch betroffener Kinder und Jugendlicher durch Kleriker der katholischen Kirche greifen zu kurz.” Das ist ausdrücklich auf das Thema Homosexualität gesprochen. Es gebe verschiedene Erklärungen, warum die Zahlen so seien, wie sie sind. Die Interpretation, die Missbrauchs-Thematik sei in Wirklichkeit eine Homosexualitäts-Thematik, geht damit an den Zahlen vorbei.
Die MHG-Studie zählt dann andere mögliche Interpretationen auf, etwa die Frage nach der katholischen Sexualmoral zur Homosexualität, außerdem der zölibatären Lebensweise in Verbindung mit unreifen und abgewehrten homosexuellen Neigungen. Um dann zu schließen „das komplexe Zusammenspiel von sexueller Unreife, abgewehrten und verleugneten sowie die zum Zeitpunkt der Berufswahl möglicherweise latenten homosexuellen Neigungen in einer ambivalenten, teilweise auch offen homophoben Umgebung könnte also eine weitere Erklärung für das Überwiegen männlicher Betroffener beim sexuellen Missbrauch durch katholische Kleriker bieten.” Um dann anzuschließen: „Allerdings sind weder Homosexualität noch Zölibat eo ipso Ursachen für sexuellen Missbrauch von Minderjährigen.“
Deutungen
Und damit sind wir bei der Deutung der Missbrauchs-Krise. Der Verweis – direkt oder indirekt – darauf, dass es sich hier um eine Homosexualitäts-Problematik handle, trägt nicht. Ich würde sogar sagen, der macht „blind”, wie die Bibel sagen würde, er lässt die Wirklichkeit nicht sehen. Mit der Aufforderung, keine Ideologie in die Debatte zu bringen, kommt sie durch die Hintertür wieder rein, getarnt als faktenbasierte Interpretation.
Mit der MHG Studie müssen wir aber sagen: „Homosexualität ist kein Risikofaktor für sexuellen Missbrauch. Die Studienergebnisse machen es aber notwendig, sich damit zu beschäftigen, welche Bedeutung den spezifischen Vorstellungen der katholischen Sexualmoral zu Homosexualität im Kontext des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen zukommt.” So wird ein Schuh draus.
Ja, die Studie wird kritisiert, aber sie wird auf wissenschaftlicher Basis kritisiert. Und das ist ja gut so, nur so kommen Debatten und damit Fortschritt in Einsicht zu stande. Die Studie gibt der Katholischen Kirche auch noch kräftig einen mit, wenn es um das Verständnis von Homosexualität geht: „Von der Kirche in diesem Zusammenhang verwendete idiosynkratische Terminologien wie jene einer „tief verwurzelten homosexuellen Neigung“ entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage.”
Mögliche Lesarten und Interpretationen der Daten führen zumindest die Fachleute zu anderen Schlüssen, als die oben genannten es gerne hätten. George Weigel hat recht, die Debatte darf nicht ideologisch geführt werden. Anders formuliert: die Kirche muss zuhören, jedem einzelnen Betroffenen, Opfer und Überlebenden, aber auch den Zahlen.
Vor allem aber ist das die Aufforderung, jetzt nicht das Thema wechseln zu sollen.
Wenn Sie Weigel zustimmen, dass
“dass die Beschlüsse oder Beratungen die empirischen Ergebnisse reflektieren müssen.
…
Soweit, so richtig.”
warum sprechen Sie mehrfach vom Kinderschutz statt vom Kinder- und Jugendschutz?
Bei “Kinderschutz” denkt doch kaum einer daran, dass es auch um den Schutz von 16- und 17- jährigen gegen Übergriffe geht bzw. gehen soll, denn beim Begriff “Kind” denkt erstmal kaum jemand an 16- und 17-jährige (*).
Das ist doch völlig unabhängig davon, ob Weigel jetzt da ein ideologisches Süppchen darauf kocht oder nicht.
Ca. 80% der Opfer sind Heranwachsende bzw. solche, die man im üblichen Sprachgebrauch “Jugendliche” nennen würde, 20% sind Kinder auch nach üblichen Gebrauch des Wortes “Kind” und man sollte möglichst keine Opfer bereits durch die Begriffswahl ausklammern, womit eigentlich eine sprachliche Einschränkung sowohl auf “Kinderschutz” als auch “Jugendschutz” vermieden werden sollte.
Was aber dank Bindestrich problemlos möglich ist:
Kinder- und Jugendschutz.
Und schon hätten es auch ideologische Süppchenkocher schwieriger, ihr Süppchen zu kochen.
Kann ich nicht nachvollziehen, warum man nicht einfach diese Formulierung verwendet.
Das Strafgesetzbuch kriegt es ja auch hin, einen Paragrafen für den sexuellen Missbrauch von Kindern zu haben und einen weiteren für den sexuellen Missbrauch von Jugendlichen.
(* Wer einen 16- oder 17-jährigen mal besonders arg triezen mag, der sollte ihn oder sie natürlich ruhig von Angesicht zu Angesicht “Kind” nennen; blos dann ggf. die Beine in die Hand nehmen, wenn das Kind einen Kopf größer und ob der Anrede stocksauer ist)
Und wo sind da die gefährdeten oder schwachen Erwachsenen, die laut Papst-Idee für die Konferenz auch dazu gehören? Wenn man was Negatives finden will wie Sie, dann findet man das auch.
Natürlich ist Sprache wichtig. Weil sie unser Denken prägt. Nur geht es um den Schutz von Minderjährigen, wenn Ihnen da das Bindestrich-Wort lieber ist, bittesehr.
Verstehe ich Sie dann eigentlich richtig, dass Sie den weiteren 3 Punkten von Weigel, was vermieden werden sollte dann mehr oder minder zustimmen?
https://www.firstthings.com/web-exclusives/2018/12/avoiding-another-roman-fiasco-in-february
“3. Don’t ignore the devastating impact of a culture of dissent.”
“4. Forget bogus “solutions.””
“5. Resist playing the hierarchy card.”
(Wenn ich richtig verstanden habe, sind Sie ja mit 1. “1. The crisis cannot be blamed primarily on “clericalism.” ” einverstanden und kritisieren zumindest was Weigel aus “2. The language describing the crisis must reflect the empirical evidence.” scheinbar folgern möchte)
Nein, bin ich nicht. Das ist fehl geleitet.
Natürlich muss man den Zölibat debattieren. Die Ausbildung dazu, die Auswahlkriterien und so weite. Von vorne herein eine Warnung dagegen auszusprechen, hilft nicht.
Culture of Dissent: Kulturkampf-Metaphern aus eine kulturell sehr speziellen Debatte helfen auch nicht. Nein, Weigel liegt im Ganzen eher falsch.
Das senkt jetzt meine Hoffnungen, dass die Missbrauchskonferenz ein gutes Ergebnis hat bzw. einen guten Prozess anstößt, an dessen Ende ein gutes Ergebnis steht, deutlich.
Denn soweit ich sehe wird das Meinungsspektrum eben auch Haltungen umfassen, die vielleicht eher der von Weigel entsprechend, und auch solche, die vielleicht eher der Ihren entsprechen. Und da kann es ja bereits am Dissens, welche Begriffe passend sind, furchtbar viel unproduktive Reibung geben.
Hier geht es nicht um Meinungen. Um Rechthaben und so. Hier geht es ums Zuhören.
“…von der Kirche in diesem Zusammenhang verwendete idiosynkratische Terminologien…”
Dazu:
https://www.wiwi.uni-siegen.de/merk/downloads/verschiedenes/importante_adhortation.pdf
Was der Prof da zum Thema verwenden von Fremdwörtern schreibt ist zwar witzig, nur verstehe ich den Zusammenhang mit dem angeführten Zitat nicht.
Und *ich* verstehe nicht, was “idiosynkratische Terminologien” sind!
Nach meiner Recherche über “wiki” könnte es “eigentümliche Sprechweise” der Kirche heißen, was für mich auch einen Sinn ergeben würde.
Übrigens konnte ich mit dem Text überhaupt nichts anfangen, er hat meinen derzeitigen Sprachschatz vollkommen überfordert.
Eine Frage die mich beschäftigt (weil ich sie nicht beantworten konnte) ist: Wie unterscheidet der Papst / die Kirche zwischen “Who am I to judge?” und “zero tolerance”? – um das mal an zwei Papstzitaten fest zu machen. Geht es um das Alter der Opfer und wo ist genau die Grenze – bei 18? Geht es um die Gesetzeslage in diversen Ländern also darum ob das Vergehen auch im jeweiligen Land ein Verbrechen ist? Da gibt es ja doch Unterschiede auf der Welt! Und es gibt zeitliche Entwicklungen. Was vor 30 Jahren in Deutschland noch Geldstrafe bedeutet hat bedeutet jetzt schon öfter Gefängnis. Geht es um “Machtgefälle”? Woran macht die Kirche fest was in den Beichtstuhl gehört und was Kirchenstrafen bzw. -sanktionen unterliegt? – Eine andere Frage: Ich habe vor kurzem ein Interview gesehen mit Father James Martin SJ zum Thema Missbrauchsskandal. Er sprach davon, dass die Handlungen auch “grave sin” sind und ein Verstoß gegen das Zölibatsversprechen. Ich konnte “grave sin” nicht übersetzen und dabei fiel mir auf, dass in der katholischen Kirche im deutschsprachigen Raum solche Begrifflichkeiten nicht verwendet werden. Deshalb die Frage: Wie schaut es mit dem Sprechen der deutschsprachigen Kirche über Sünde aus? Mal von “Umweltsünden” oder dem Fehlverhalten bzw. der Fehlmeinung gegenüber Flüchtlingen höre ich nichts. Die zweite Frage ist eher eine Beobachtung aber die erste Frage würde ich schon gerne beantworten können.
im heutigen Tagesbrief von Radio Vatikan finde ich die Erläuterung des Besuches vom Europarat (der ist weit breiter als die EU, da ist zB Russland Mitglied) sehr interessant. “Lanzarote-Konvention” zu Vermeidung von sexuellem Missbrauch. Bisher wirklich nie gehört. Ob die Plattform effektiv ist – konstruktiv prüfen.
Ohne Ausreden zeigt das nur: die Welt hat ein Problem mit den Kindesmissbrauch “in der Kirche aber auch außerhalb”.
Über die “Kinderrechte” der Uno hab ich schon viel gelesen, einen Abgleich Erkenntnisse Lanzarote/MHG etc. kenn ich nicht.
Ob uns der Mulilateralismus wirklich weiterbringt, ist eine interessante Frage. Die Fragen dürfen nicht zu verwissenschaftlicht werden. Es wird dann wirklich schnell ideologisch.
Und Appelle allein sind eben zu wenig. Sieht man ja auch woanders: alle sind angeblich über die Uno gegen Kinderarbeit, aber die globalisierte Wirtschaft generiert diese immer weiter. Jüngstes Beispiel die Bergwerke in Afrika oder Südamerika für die seltenen Metalle (z.B. Kobalt), die zB für das Trendthema Elektromotor benötigt werden. Alles hat mehrere Seiten…
Homosexualität wird eben auf der Welt sehr unterschiedlich gehandhabt und verfolgt. Es gibt bestimmt afrikanische oder z.B. indische Regionen, in denen praktizierte Homosexualität eines Priesters von der Gemeinde niemals akzeptiert wird. In Europa ist das anders.
Dem muss sich auch die Weltkirche stellen. Allein Osteuropa oder Russland haben eine restriktivere Sicht. Und es kann sein, dass nicht alles aus dem Osten falsch ist.
Dass es zur Homosexualität im Westen (z.B. Hollywood, Medien generell) seit Dekaden eine massive Lobbying Arbeit gibt, ist aber unbestritten.
Wir hatten das Thema Kinderschutz auf diesem Blog jetzt schon mehrfach diskutiert. Ich persönlich wünsche mir nur, dass die Amtskirche im Februar ein paar Ventile im Drucktopf öffnet. Da erscheint mir der Pflichtzölibat schon sehr relevant. und für unsere Kirchengeschichte ist das die wichtigere Frage als der Umgang mit homosexuellen Priestern.
Und man sollte die jüngste Geschichte “zur AUFARBEITUNG des sexuellen Kindesmissbrauches” mal umreißen. Meilensteine seit dem 2. WK, II. Vatikanum, dann die sogenannte sexuelle Revolution mit Pille etc. ( im Gegenzug: humanae vitae etc.; Kindersexualität wurde um 1970 auch in den Medien, selbst in der Tagespolitik, “liberalisiert”, tlw. sehr subtil, man findet Schlagerlieder und Popsongs dazu noch heute – soll man die mal verbieten?), erste Welle in der Kirche um 1995, die zweite Welle Bekanntmachung um 2010 usw.
Fortschritte also nur in Dekaden. Somit dürfen wir uns im Februar keine Wunder erwarten, leider.
Wenn der Planet und die Kirche in diesen Fragen in 30 Jahren spürbar anders aussehen, ist es schon ein Wunder.
Und dennoch: es darf nicht bei Appellen und Definitionen bleiben (á la Convention und UNO etc.), es muss konkrete Instrumente und Maßnahmen geben. Zumindest den Appell, dass jeder Bischof oder jede “nationale” Bischofskonferenz diese umsetzen darf oder auch muss.
Das Thema wird man nur dezentral über die Bischöfe lösen bzw. verbessern können. Und das finde ich auch als eine positive Bewegung.
In Afghanistan z.B. ist Zwangsverheiratung von Mädchen verboten und auch Bestrafung der Mädchen mit Auspeitschung durch Ehemänner oder Mullahs. Es gibt aber sehr arme Gegenden, wo der dortige Rechtsstaat kapituliert. Dort geschieht dann beides, beides ist ein totalitärer Missbrauch, das Recht des Stärkeren. Im katholischen und einstmals sehr armen Irland z.B. hat man sich von der Knechtschaft durch die Kirche mit steigendem Wohlstand und Aufklärung befreit, das Verbot der Ehescheidung abgeschafft und schliesslich wohl auch den fast massenhaften sexuellen Kindesmissbrauch durch Priester. Das Problem ist jetzt im Vatikan angekommen, auch mithilfe z.B. UN. Ich möchte den Katholiken zu bedenken geben, ob es angemessen ist, von einer Krise zu sprechen. Okay, für die Mullahs in manchen afghanischen Gegenden und viele Frauen und Männer wäre es auch aufregend, sich an Recht und Gesetz halten zu müssen. Wer aber eine Krise beklagt, zeigt doch aber, dass er ganz hübsch mit diesen missbräuchlichen autoritären Strukturen verwachsen ist. Oder nicht? Das besondere am Rechtsstaat ist ja, dass das Recht des Stärkeren abgeschafft ist und sich in dem entstandenen Raum Dialog und Demokratie entwickeln. Und da hinkt die Kirche scheinbar sehr hinterher. Wenn jetzt der Missbrauch in der Kirche unterbunden und abgeschafft ist, werden in dem folgenden Prozess ganz von allein die Ursachen zum Vorschein kommen, z.B. Armut, wie in Afghanistan oder Irland und eine himmelschreiende soziale Frage, wie in USA oder Europa. Man sollte also ins Jetzt hineingucken und über den eigenen Tellerrand hinaus!
Haben sich die Herren, welche die Diskussion in Richtung Homosexalität und Krankheit lenken wollen eigentlich schon zu ihrer eigenen sexuellen Orientierung geäußert?
Meine Erfahrung ist die, dass Homophobie sehr oft mit eigenen Homosexuellen Anteilen einhergeht.
Und wenn über sexueller Orientierung und und die Verhinderung sexualisierter Gewalt gesprochen werden soll, dann sollten wir doch offen sprechen. Wie lebt man in Priester-, Bischofs- und Kardinalkreisen eine gesunde und integrierte Sexualität?
Ich wäre sehr daran interessiert die Geschichte der eigenen sexueller Identitätsfindung dieser Herren zu hören.
“Haben sich die Herren, welche die Diskussion in Richtung Homosexalität und Krankheit lenken wollen eigentlich schon zu ihrer eigenen sexuellen Orientierung geäußert?”
Ist das produktiv, wenn jeder Debattenteilnehmer sich öffentlich zu seiner/ihrer Sexualität äußern muss? Oder sollen sich nur die äußern, die Sie festlegen?
Meine Erfahrung ist die, dass die größten Homophobie Vorurteile oft von denen vertreten werden, die selbst ihre Homosexalität nicht integriert haben.
Eine Debatte zu führen mit Menschen, die das Thema um das es gehen soll, oder in die es abgelenkt weden soll, nämlich die Sexuelle Identität. Diese Debatte mit Menschen zu führen die ihre eigene sexueller Identität vielleicht verleugnen ist doch mehr als abstrus.
Daher mein Vorschlag: Wenn es um Homosexalität gehen soll, sollten alle Diskutanden ihre Sexueller Identität und ihren Weg in diese Identität offenlegen ….
Ich wette …. das würde vieles sehr schnell deutlich machen!
Es ist schade, dass über dieses Thema so viel diskutiert und daher die Gefahr besteht, dass das Problem zerredet wird. Schon die Tatsache, dass die Diskussion so umfangreich ist, zeigt, dass Vielen in der Kirche das Problem – leider – nicht klar ist. Und das ist sehr schlimm. Denn die Wissenschaft ist dazu schon lange (betreffend zerstörerische Folgen für Minderjährige) bzw. inzwischen (betreffend Homosexualität) eindeutig.
Geschätzte katholische Kirche, lasse Geistliche ihre (Hetero- oder Homo-)Sexualität mit Erwachsenen ausleben; Du kannst es ohnehin nicht verhindern. Und halte Verbrecher an Minderjährigen von diesen fern; übergebe die Täter dem Staatsanwalt und schicke die Täter außerdem zum Psychiater. Punkt und Ende der Diskussion
Und wem das auf der “Führungs-Ebene” der katholischen Kirche nicht klar ist und sich an Minderjährigen vergeht bzw. dieses duldet, gehört seines Amtes enthoben.
Zum Satz im Stück “keine Ideologien bitte” ist mir an diesem Wochenende etwas Wunderschönes in dem sehr bekannten und starken Evangelium, und das soll immer weit mehr sein als Ideologie – deshalb sind wir ja Kirche, aufgefallen…
Maria und Jesus besuchen die Hochzeit in Kanaa. Relativ sicher wird das bekannte Geschehen dann als chronologisch erstes Wunder in den Heiland-Jahren Christi anerkannt.
Mir geht es, ich hab an diesem Wochenende zwei sehr schöne Predigten gehört, um die LEEREN KRÜGE am Beginn der ganzen Szenarie. Zunächst dienen diese ja in einer sehr festlichen orientalischen oder jüdischen Hochzeit der REINIGUNG.
ich denke, dieses Bild passt sehr gut auf die Situation der Kirche in diesen Jahren, jetzt vor der Synode.
Auch die Krüge in Sachen geistlicher Berufung oder generell Engagement für das Christentum sind leer. Dass Reinigung notwendig ist, nach all den Vorkommnissen (also Missbrauch), ist unbestritten. An einigen Stellen herrscht Verzweiflung.
Unser Gott kann dann, wenn die Bereitschaft der Menschen gegeben ist, Wasser in die Krüge zu geben, daraus mehr machen. Er wandelt. Und es geht voran. Wie in vielen Jahrhunderten zuvor. Lässt zu, dass weiter gefeiert wird. Er korrigiert den Fehler.
Der Impuls muss von den Menschen kommen, die Bitte zur Hilfe und die Bereitschaft, darauf zu vertrauen.
Wenn Jesus erkennt, dass die Synode ein Schritt der Reinigung ist, wird er schnell helfen. Er und seine Mutter, die sicher (vor allem mit den Kindern) leidet.
Ohne zu pathetisch zu argumentieren, gehöre ich zu jenen, die mit dem Abschluss des II Vatikanums nie ganz zufrieden waren. Da fehlt noch was, eventuell muss das unter Papst Franziskus noch abgeschlossen werden. Dass sogar in die vermaledeite Sache mit den Piusbrüdern wieder mehr Bewegung kommt, finde ich sehr gut.
Natürlich sehe ich, vor allem ganz im Sinne des sehr konkreten Lukas Evangeliums, die Hochzeit von Kanaa mit dem freudigen Feiern von Jesus (und!) Gottesmutter doch auch als Beispiel, dass der Gründer unseres Glaubens die Ehe und die Familie außerordentlich mochten und segneten. Und gegen Feiern an guten Anlässen gar nix hatten. Wer soll ein rechtes Glas Wein kritisieren, gute Katholiken sollen lustig durchs Leben gehen.
Also – ohne Ideologie – könnte die Weltkirche es probieren, die leeren Krüge aufzufüllen. Es erscheint mir schon ein geeigneter Schritt, das mit dem Pflichtzölibat für einfache Priester zu überdenken. Ja, ich will wieder zu dem konkreten Thema im Argument. Zunächst zur Reinigung.
Sekundär um mehr Berufungen zu bekommen (vor allem in der westlichen Welt; auch in Ländern wie Polen, die vor 20 Jahren unter Johannes Paul II noch keinerlei Mangel hatten, schaut es heute weit schlechter aus). Aber ein bisschen drittens auch als Brücke für Ökumene zu den anderen Kirchen des Ostens, die keinen Pflichtzölibat haben.
Wenn die Maßnahme sehr falsch wäre, werden uns in der lebendigen Kirche Jesus, Maria oder andere Heilige ein Zeichen geben. Eher würde ich es in dem sehr schönen Evangelium dieses Sonntags so erwarten, dass der Himmel hilft, die mit Wasser gefüllten Krüge in noch größeres zu verwandeln. Weil er den guten Willen erkennt.
Ich bin kein Kirchenrechtler. Aber eventuell kann man eine Maßnahme “als Versuch/Projekt” auf einen Zeitraum (Pontifikat) festlegen mit der Chance, es zu widerrufen, wenn es doch schief geht? Gab es solche Maßnahmen schon? Außerhalb der Kirche ist so ein Vorgehen nicht unüblich.
Und noch ein Lieblingszitat in diesen Kontexten “Wir wünschen eine Kirche, die sich bereit macht für das 3. Jahrtausend. Mithelfen, den blockierten Riesen zu entfesseln”
Sehr geehrter Stephan,
ich möchte auf Ihren Kommentar noch antworten, weil er mich berührte. Zwecks Übersicht stell ich es auf die letzte Position der Seite.
Sie drücken ja nicht direkt aus, dass es einen Zusammenhang zwischen “Armut” und “Verbrechen des sexuellen Missbrauchs” gibt? Ich interpretiere es so, Sie wollen die aktuellen Berichte zur Reichtumsverteilung kritisieren und dass Milliardäre immer mehr kriegen. Das ist aber außerhalb der Diskussion hier. Ich meine nicht, dass man Afghanistan als Europäer richtig verstehen kann (hier Berufe ich mich auf Bücher des Politjournalisten Scholl-Latour, den ich sehr schätze).
Zu allen Ideologien oder Staatsformen, die im 20. Jh behaupteten, die Armut schnell beseitigen zu können, erwähne ich ein paar Katastrophen, die weit über das kirchliche Ausmaß hinaus gingen: a) China unter Mao und dem “großen Sprung nach vorne” als Regierungsprogramm, weit nach dem zweiten Weltkrieg. Opferzahlen sind immer schwierig. Aber sicher weit über 10 Mio Hungertote. b) die Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion durch Stalin in den 1930er Jahren, vor allem das Massensterben in Südrussland und Ukraine – 20 bis 30 Millionen Tote. Wobei es hier wirklich einen ideologischen Streit gab, kann man unter “Wawilow vs. Lyssenko” nachlesen, der die Katastrophe nur befeuerte c) natürlich auch den Nationalsozialismus, der zumindest bis olym. Spiele 1936 weltweit als moderner Staat bewundert wurde und dann bekanntlich das größte Gemetzel aller Zeiten brachte.
Also ohne Religion geht es halt auch nicht, meinte sogar Napoleon, obwohl er an sich Atheist war. Atheistische Systeme (z.B. die genannten Marxisten) haben eine riesige Blutspur hinterlassen. Und zur deutschen und österr. Geschichte kann man zB erwähnen, dass der Kreis um Stauffenberg vor allem aus seiner katholischen Bildung geprägt war. Die Familie Scholl war eine tiefgläubige praktizierende evangelische Christenfamilie.
Die absolute Armut in Irland im 20. Jh hab ich nie genau erforscht. Ich kenn nur ein Zitat aus österreichischen Schilderungen um 1950. In Internaten und Heimen (egal ob staatlich oder kirchlich) kam auf einen Betreuer 50 Kinder, in der Nacht oft deutlich mehr. Und es waren oft die “schwer erziehbaren”, wie sie genannt wurden. Nur als Beispiel. Klar haben die Betreuer dann auf Disziplin bis hin zu Gewalt ausweichen müssen. Was das nicht entschuldigt. Aber es war sicher ein anderer Kontext als heute.
Sehr geehrter Dietmar, ich kann leider nicht verstehen, was Sie mir sagen wollen, auch nicht, was Sie berührt hat. Tut mir leid.
Sehr geehrter Stephan,
“beschäftigt” ist richtiger. Mit meiner Replik wollte ich nur meine Meinung dokumentieren, dass gerade im 20. Jh durch atheistische Regierungen sehr große Verbrechen stattfanden. Als Christ kann man andererseits die sexuellen Verbrechen in einer großen Kirche, die ja per se besonders ethisch agieren sollte, nicht akzeptieren. Zur Uno: am Beginn des Irakkrieges 2002/03 hat sie kapitale Fehler gemacht, unter denen wir noch heute leiden. sie hättes es verhindern können, ich sehe eine klare Mitschuld.
Echt? Wollte Hitler die Armut beseitigen? Die Historiker sind sich einig, dass er nur Krieg und Mord wollte. Falls nicht jeder, der die soziale Frage anspricht zu Hitler von Ihnen dazugepackt wird, empfehle ich, anhand der Ansprachen, die Papst Franziskus, der derzeit in Panama ist, dort hält, einmal darüber nachzudenken. Die können Sie auf Vatican news nachlesen. Die sind übrigens echt berührend, besonders die Ansprache im Jugendgefängnis. Oder Interviewäusserungen von Kardinal Parolin.