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Schlagwort: Kinderschutz

Nach der Konferenz ist vor der Praxis

Veröffentlicht am 24. Februar 201924. Februar 2019
Konferenz zu Missbrauch: Archivbild vom Papst in der Synodenaula Archivbild: Papst Franziskus betritt die Synodenaula, den Ort der vielen Beratungen

Vor einiger Zeit hatte ich einen Streit. Oder eine engagierte Debatte, irgendwie so etwas. Es ging um Missbrauch und Verantwortung und es ging um die Frage, bis wann einen das einholen kann. Und das fand noch vor der Konferenz zu Missbrauch statt, die an diesem Sonntag zu Ende gegangen ist. Damals hatte gerade erst ein Mitarbeiter im Vatikan seinen Job aufgegeben, weil ihm Missbrauch vorgeworfen wurde.

Jemand, der die Geschichte dahinter nicht kannte, hatte gleich Verständnis für den Mann geäußert, das sei schlimm, so verfolgt zu werden. Und es sei gut, dass er rechtliche Schritte angedroht habe, um sich zu verteidigen. Schließlich – und das ist der für jetzt entscheidende Punkt – sei das Ganze schon zehn Jahre her, wer zehn Jahre mit der Anklage warte, könne es nicht so ernst meinen.

Dahinter steckt erst einmal der Instinkt, auf der Seite eines vermeintlichen Opfers zu sein, in diesem Fall des Mannes, der im Vatikan seinen Job aufgeben hat müssen. Dahinter steckt auch die Angst oder die Sorge, dass Uralt-Geschichten auftauchen. Ähnlich hatte sich auch schon Kardinal Oswald Gracias geäußert, unter viel Widerspruch.

Streit und Widerspruch

Wir hatten dann eine Debatte, wie gesagt irgendwo zwischen Streit und sehr engagiert, über diese Geschichte im Speziellen und die Frage nach Zeit in Missbrauchsgeschichten im Allgemeinen. Im Rückblick würde ich sagen, dass das eine gute Debatte war, wenn auch nicht einfach.

Ähnlich ist es glaube ich vielen Teilnehmenden an der Konferenz zu Missbrauch und Kinderschutz im Vatikan ergangen. Viele kamen her, überzeugt dass das Thema überzogen ist. Viele haben es nicht öffentlich gesagt, aber man hört das dann doch raus.

Es gab die Überzeugung, dass das trotz allem doch ein westliches, vor allem ein US-amerikanisches Problem sei. Und die Zusammensetzung der Medien hier bei der Konferenz lässt diese Vermutung auch zu, USA überall.

Kein westliches Problem

Mehr als alle Theorie haben die Erzählungen derer, die missbraucht wurden, die Atmosphäre bestimmt. Harte Geschichten waren das, und selbst diejenigen, die schon vorher mit Opfern und Überlebenden gesprochen haben, haben das jetzt in der Gruppe gehört. Da wurden die Bischöfe als Bischöfe angesprochen, in Gruppe, nicht individuell. Da waren sie nicht als Seelsorger gefragt oder in ihrem Bistum, sondern als Verantwortliche in der Weltkirche. Das ist noch einmal etwas ganz anderes.

Auch aus den Sprachgruppen habe ich viel Gutes gehört. Sie seien kulturell alle sehr verschieden gewesen, es habe sich aber in dieser Zeit viel getan. Während der Konferenz hätten immer mehr die Überzeugung gewonnen, dass trotz verschiedener Kultur und verschiedener Rechtssysteme eine gemeinsame kirchliche Linie nötig sei.

Gemeinsame kirchliche Linie

Und das eben auch aus Regionen, die bisher eher durch öffentliche Äußerungen hervorgetreten sind, dass das bei ihnen nicht vorkomme oder dass hier ein Angriff auf die Kirche stattfinde. Oder Ähnliches.

Auch das Verstehen hat sich verändert, so habe ich es wahrgenommen. Sätze wie „das Betroffene so lange schweigen ist nicht deren Verantwortung, sondern die der Täter“ sind oft gefallen. Einsicht in das, was Missbrauch eigentlich ist, nämlich Zerstörung. Leid. Gewalt. Mit Sexualität auf Abwegen hat das wenig zu tun. Im Pressesaal gab es immer die eingeschworene Gruppe von als Journalisten getarnten Aktivisten, die unbedingt Homosexualität als Ursache ausmachen wollten. Nichts davon im Saal, die Teilnehmenden haben gesehen und gehört, was Missbrauch wirklich ist.

Man will konkret sein

Jetzt will man konkret sein. Wie der Papst zu Beginn auch. Jetzt geht es um die Umsetzung der Ideen und Betroffenheiten vor Ort. Der Erfolg der Konferenz zeigt sich nicht heute und auch nicht morgen. Er wird sich zeigen, wenn wir in einem Jahr sagen können, dass sich etwas gewandelt hat. Nicht nur hier und dort, sondern in der Weltkirche.

Spät? Zu spät? Ja, es passiert spät, und es passiert nur, weil die Kirche unter massivem Druck steht. Das ist tragisch, weil es so viel Leid gegeben hat, bevor systematisch und jetzt weltkirchlich an die dahinter liegenden Fragen gegangen wird. Das macht mich selber immer noch zornig.

Zorn Gottes

Und ich fühle mich darin bestätigt, weil auf der Papst von diesem Zorn spricht, der „gerechtfertigten Wut der Menschen”, in dem sie den „Widerschein des Zornes Gottes” sieht. So hoch mag ich meinen Zorn nicht hängen, aber da ist schon was dran.

Aber was ist die Alternative? Nach der Konferenz ist vor der Praxis. Jetzt wird sich zeigen, ob die Bischöfe wirklich den Mumm haben, die vielen Ideen zu Beteiligung, Kontrolle, zu Verfahren und Verantwortlichkeit umzusetzen. Oder ob sie wieder untereinander streiten, warten, auf den Verwaltungsweg abschieben und auf ihre Autorität pochen. Die Kirche steht unter Beobachtung. Und das ist gut so.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter #PBC2019, Kinderschutz, Konferenz, Missbrauch, Papst Franziskus, Vatikan55 Kommentare zu Nach der Konferenz ist vor der Praxis

Kulturen, Kirchenrecht und Kinderschutz: Worüber die Konferenz spricht

Veröffentlicht am 23. Februar 2019
Ergebnis der Konferenz: Sprechen über Kinderschutz und Missbrauch Ein sehr aufmerksamer und präsenter, wenn auch stiller und nachdenklicher Papst war während der gesamten Konferenz zu beobachten

Der dritte Tag, der Tag der letzten drei Beiträge bei der Konferenz, an diesem Tag stehen auf dem Programm eine Ordensoberin aus Nigeria, Kardinal Marx und eine mexikanische Journalistin (die beim Veröffentlichen dieser Zeilen noch nicht gesprochen hat). Transparenz war das Thema, aber natürlich schwang immer auch schon die Frage mit, was das Ergebnis der Konferenz sein wird. Was folgt aus der Konferenz?

Unvollständig von mir hier einige Dinge, die ich selber als die roten Fäden wahrgenommen habe. Erstens ist die Einsicht angekommen, dass es ich bei Missbrauch nicht um ein westliches Problem handelt. Noch zu Beginn der Konferenz haben sich einige Bischöfe so gegenüber Medien geäußert. Das gebe es nicht, andere Dinge wie Hunger und Krieg seien so predominant dass man keine Zeit für solche Dinge habe, und so weiter. Diese Stimmen höre ich nicht mehr.

„Kultur des Schweigens“

Es gebe eine „Kultur des Schweigens“, die oft Grund dafür sei, dass man in den eigenen Kulturen nicht darüber rede. Das Abschieden auf den „Westen“ helfe dieser Kultur, so einer der Bischöfe in einem Kurzbeitrag.

Deswegen muss sich die ganze Kirche dem stellen. „Wir“, wie Schwester Veronika es genannt hat, sich selbst einbeziehend. Alle.

Daraus muss dann zweitens eine Beteiligung aller folgen. Diese Einsicht wird immer wieder genannt, aber vorsichtig, man weiß halt nicht, was das genau heißt. Autorität in der Kirche ist ein heißes Eisen, trotz allem. Frauen und Laien sollen einbezogen werden, den konkretesten Vorschlag hat Kardinal Blase Cupich dazu gemacht, das darf jetzt nicht schon wieder versickern. Und es reicht auch nicht eine symbolische Einstellung von Frauen in Entscheidungspositionen in Bistümern bei uns. Da muss mehr passieren.

Ergebnis der Konferenz

Drittens gibt es nicht die eine Lösung für alles. Die Kulturen sind zu verschieden, als dass es die eine Lösung gäbe. Viele haben in den vergangenen Tagen verlangt, der Papst solle quasi mit einem Federstrich jetzt alles ändern. Und ihm damit implizit vorgeworfen, er würde nicht genug tun.

Das geht leider so nicht. Außerdem führt der Papst nicht über Machtworte, auch wenn das einige gerne hätten. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Das ist anstrengend, aber nachhaltiger.

A proposito die eine Lösung: was es trotz aller Verschiedenheit doch geben muss sind klare Verfahren in der Kirche. Absprachen und Regeln, kurz das Kirchenrecht muss hier funktionieren. Und eingehalten werden.

Viele Formen von Missbrauch

Fünftens kam immer wieder durch, dass es noch viel mehr Formen von Missbrauch gibt, als den Missbrauch an Minderjährigen. Auch das muss auf den Tisch. Alles gründet im Missbrauch von Macht, da muss die Kirche ran.

Einige Kommentatoren haben zu Beginn der Konferenz an das Jahr 2010 erinnert, als ein prominenter und wichtiger Kardinal auf dem Petersplatz Papst Benedikt öffentlich ansprechend behauptet hat, das seien alles Verleumdungen. Die Zeiten sind vorbei. Viele Dinge sind nun weltkirchlich auf dem Tisch. Einige habe ich hier genannt.

Jetzt bitte muss das konkret werden.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Kirche und Medien, Rom, VatikanSchlagwörter #PBC2019, Kinderschutz, Konferenz, Missbrauch, Papst Franziskus, Schutz, Vatikan9 Kommentare zu Kulturen, Kirchenrecht und Kinderschutz: Worüber die Konferenz spricht

Konkret und praktisch: Die Denkanstöße des Papstes

Veröffentlicht am 22. Februar 2019
Denkanstöße des Papstes Der Papst ist wie so oft einer der ersten im Saal, vorbereitet und aufmerksam. Ein Schnappschuss vom Donnerstag

Ob das jetzt sowas wie die neuen Zehn Gebote seien, wurde bei der Pressekonferenz am Donnerstag gefragt. Bei Listen mit durchgezählten Dingen, die zu tun sind, liegt diese Assoziation ja auch vielleicht nahe. Es ging um die 21 Punkte zur Reflexion, die Papst Franziskus zu Beginn der Konferenz zum Kinderschutz allen Teilnehmenden mitgegeben hatte.

„Als Hilfsmittel erlaube ich mir, euch einige wichtige Kriterien mitzugeben, die von den verschiedenen Kommissionen und Bischofskonferenzen erarbeitet wurden – sie stammen von euch, ich habe sie ein wenig zusammengestellt. Es sind Leitlinien, die unsere Überlegungen unterstützen sollen. Sie werden euch jetzt ausgeteilt. Sie sind einfach ein Ausgangspunkt. Sie kommen von euch und kehren zu euch zurück.”

„Sehr ausgewogen” kommentierte mir gegenüber ein erfahrener Kirchenrechtler diese Liste. Der Papst habe alle Aspekte in ein gutes Verhältnis zueinander gesetzt. Und weil das sicherlich nicht nur gute Punkte zur Reflexion hier in Rom sondern auch für die Weltkirche sind, habe ich mich an eine eigene Übersetzung gemacht.

 

Punkte für die Reflexion

  1. Einen praktischen Leitfaden (Vademecum) erarbeiten, in dem die Schritte bestimmt werden, welche von den Verantwortlichen in allen entscheidenden Momenten beim Umgang mit einem (Missbrauchs)fall zu tun sind.
  2. Strukturen des Zuhörens schaffen, zusammen gesetzt aus erfahrenen Fachleuten, in denen auch die erste Unterscheidung von (Missbrauchs)fällen mutmaßlicher Opfer erfolgt.
  3. Kriterien für die direkte Einbeziehung des Bischofs oder Ordensoberen festlegen.
  4. Gemeinsame Verfahren für die Untersuchung von Vorwürfen, den Schutz von Opfern und das Recht des Angeklagten auf Verteidigung festlegen.
  5. Die übergeordneten zivilen und kirchlichen Autoritäten informieren, entsprechend der zivilen und kirchenrechtlichen Vorschriften.
  6. Regelmäßige Revision der Verfahren und Vorschriften zur Sicherstellung von geschützten Bereichen für Minderjährige in allen pastoralen Bereichen; diese Verfahren und Vorschriften die auf die Grundsätze von Gerechtigkeit und Nächstenliebe aufgebaut sind und die integriert werden müssen, damit das Handeln der Kirche auch auf diesem Gebiet ihrem Auftrag entspricht.
  7. Besondere Verfahren zum Umgang mit Vorwürfen gegen einen Bischof erstellen.
  8. Opfer begleiten, schützen und betreuen und ihnen alle Unterstützung  zu einer vollständige Heilung anbieten.
  9. Das Wissen um die Ursachen und Konsequenzen von sexuellem Missbrauch durch Fortbildung von Bischöfen, Ordensoberen und Seelsorgern verbessern.
  10. Seelsorgliche Wege der Heilung für von Missbrauch verwundete Gemeinden und Gemeinschaften schaffen, genauso wie Wege der Buße und der Wiedereingliederung für die Schuldigen.
  11. Verstärken der Zusammenarbeit mit allen Menschen guten Willens und den Vertretern der Medien, um echte von falschen Fällen zu unterscheiden, Anklagen von Verleumdungen, Groll und Unterstellungen, Gerüchte und Diffamierungen vermeidend (siehe auch Ansprache des Papstes an die Römische Kurie am 21. Dezember 2018)
  12. Das Mindestalter für eine Ehe auf sechzehn Jahre anheben [dem Papst geht es hier um die kirchenrechtlichen Bestimmungen, im Augenblick sind sind die Mindestalter nicht für beide Geschlechter gleich]
  13. Vorschriften aufstellen, welche die Einbeziehung von Experten an den Untersuchungen und den verschiedenen Stufen der kirchenrechtlichen  Verfahren betreffs des sexuellen Missbrauchs und/oder Missbrauchs von Autorität ermöglichen und sicherstellen.
  14. Das Recht auf Verteidigung: Das im Naturrecht und Kirchenrecht gegebene Prinzip der Unschuldsvermutung bis zum Erweis der Schuld des Angeklagten muss gewahrt bleiben. Deswegen muss vermieden werden, dass Listen von Angeklagten veröffentlicht werden, und zwar auch von Bistümern, vor der Voruntersuchung und dem endgültigen Urteil.
  15. Beachtung des traditionellen Prinzips der Verhältnismäßigkeit der Strafe zum begangenen Vergehen. Festlegen, dass des sexuellen Missbrauchs schuldige Priester und Bischöfe das öffentliche Ausüben des Amtes aufgeben.
  16. Vorschriften bezüglich Seminaristen und Priesteramtskandidaten einführen. Für diese ein erstes und dann permanentes Ausbildungs-Programm einführen, um ihre menschliche, geistliche und psychosexuelle Reife zu festigen, wie auch ihre zwischenmenschlichen Beziehungen und ihr Verhalten.
  17. Für Bewerber um das Priesteramt oder für den Ordenseintritt eine psychologische Bewertung durch qualifizierte und anerkannte Experten einführen.
  18. Vorschriften für den Übertritt eines Seminaristen oder Ordensmitglieds von einem Seminar in ein anderes festlegen, genauso wie für den Übertritt eines Priesters oder eines Ordensmitglieds von einem Bistum oder einem Orden in einen anderen. 
  19. Obligatorische Verhaltensregeln für alle Kleriker, Ordensleute, Seelsorger und Ehrenamtliche formulieren, um angemessene Grenzen des eigenen Verhaltens in zwischenmenschlichen Beziehungen festzulegen. Notwendige Voraussetzungen für Mitarbeiter und Ehrenamtliche identifizieren, sowie Prüfung der polizeilichen Führungszeugnisse.
  20. Erläuterung aller Informationen und Daten über die Gefahr des Missbrauchs und dessen Konsequenzen, darüber wie Zeichen von Missbrauch erkannt und wie des sexuellen Missbrauchs verdächtige angezeigt werden können. Das alles muss in Zusammenarbeit mit den Eltern, Lehrern, Fachleuten und staatlichen Autoritäten geschehen.
  21. Es ist notwendig dort, wo es dies noch nicht gibt, eine einfach zu erreichende Einrichtung für die Opfer zu schaffen, die mutmaßliche Vergehen anzeigen wollen. Diese Einrichtung muss von der örtlichen kirchlichen Autorität unabhängig sein und aus Experten bestehen (Klerikern wie Laien), welche die Aufmerksamkeit der Kirche denen gegenüber ausdrücken können, die sich durch unangemessenes Verhalten von Klerikern verletzt sehen.
Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, VatikanSchlagwörter #PBC0219, Kinderschutz, Kirchenrecht, Konferenz, Missbrauch, Papst Franziskus, Vatikan, Verfahren24 Kommentare zu Konkret und praktisch: Die Denkanstöße des Papstes

… der Himmel und Erde geschaffen hat

Veröffentlicht am 21. Februar 2019
Gebet hat Kraft: Beginn der Konferenz im Vatikan Es ist keine Kirche und kein normaler Gottesdienstraum, aber auch hier ist Gebet

Gebet hat Kraft. Die Konferenz hier im Vatikan wird eingerahmt von Gebet. Morgens beginnen wir in der Aula damit, abends beenden wir den Tag damit. Am Samstag gibt es eine Buß-Liturgie, abgeschlossen wird die Konferenz mit einer Messe am Sonntag. Da ist viel Gebet in der Konferenz. Und das hat seine ganz eigene Kraft.

Natürlich geht es um all die Dinge, die auf den Tisch müssen. Beten bedeutet nicht, Recht, Zuhören, Verantwortung und so weiter weniger wichtig zu nehmen. Aber wenn wir Ernst nehmen, dass wir Kirche sind, dann gehört Gebet dazu.

Gebet hat Kraft

Es war wichtig, das Kardinal Tagle seinen ersten Vortrag sehr geistlich gehalten hat. Das Thema hat eben auch mit den Wunden Christi zu tun. Menschen zuzuhören, die missbraucht wurden, ist auch ein Ort der Begegnung mit Christus. Christus ist nicht mit der Macht, wir finden Christus nicht in Autorität und Stärke, sondern in Schwäche und Bedürfnis. Und eben in Verwundungen. Das ist auch etwas eminent Religiöses.

Thomas sagt „mein Herr und mein Gott“ nachdem er die Wunden gesehen hat, hat berühren dürfen. Das ist auch heute der Weg, Gott zu erkennen und zu bekennen.

Wer betet, der hat keine Macht. Das ist der Sinn des Betens. Es ist kein Handel, „Gott gib mir dann gebe ich Dir“. Wir haben nichts anzubieten, wenn wir beten, alles kommt schon von Gott. Es ist der Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat.

Ohne Macht sein

Wer betet, gemeinsam oder auch allein, der gesteht sich ein, dass er oder sie ohne Macht ist. Beten hat keine Funktion. Es geht nicht um Atmosphäre oder um einen Rahmen, der gesetzt wird. Es ist nichts, was pro Forma dazu gehört. Wer Beten Ernst nimmt, erkennt diese Funktionslosigkeit. Beten gibt nichts, leistet nichts. Und darin ist es wichtig und mächtig. Nur so öffnen wir uns für den Geist Gottes, für Gottes Wirken, für Christi Gegenwart im Nächsten.

Die eigene Autorität beiseite zu legen in dem wir uns an Gott wenden, das ist ein wichtiger Ort auch und vielleicht besonders bei diesem Thema.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, Sprechen von GottSchlagwörter #PBC2019, Bischöfe, Gebet, Kinderschutz, Kirche, Konfernz, Missbrauch, Papst Franziskus15 Kommentare zu … der Himmel und Erde geschaffen hat

Globale Konferenz, lokales Problem

Veröffentlicht am 20. Februar 201920. Februar 2019
Erwartungen an die Konferenz: Papst Franziskus beim Rückflug aus Panama Erwartungen an die Konferenz: der Papst spricht beim Rückflug aus Panama über das Kinderschutz-Treffen

Der Papst selber drückte auf die Bremse: man müsse die Erwartungen an die Konferenz „herunterfahren“, sagte er auf dem Rückflug von Panama. Zunächst ginge es darum, dass sich alle Vertreter der Bischofskonferenzen des „Dramas“ sexueller Missbrauch bewusst werden.

Was kann eine Konferenz von Bischofskonferenz-Vorsitzenden überhaupt leisten? Dass der Papst sich am Erwartungs-Management, wie man das heute nennt, beteiligt liegt unter anderem daran, dass er ein Ziel hat und überzogene Erwartungen diesem Ziel im Weg stehen.

Erwartungen an die Konferenz

Was das Ziel ist kann man auch gut an einem Grundwiderspruch aufzeigen, den diese Konferenz notwendigerweise hat. Zum einen ist es eine globale Konferenz, alle Bischofskonferenzen sind hier. Zum anderen ist das, was wichtig ist, aber lokal verankert: das Zuhören, die Begegnungen, die Aufmerksamkeit für die Menschen, die missbraucht wurden. Die Zusammenarbeit mit den sehr verschiedenen Rechtssystemen weltweit. Die verschiedenen kirchlichen und klerikalen Kulturen. All das lässt sich nicht über einen Kamm scheren, all das braucht lokale Verankerung.

Und doch trifft man sich nicht lokal, sondern global. Was kann also global gelöst werden? Das was die Kirche anzubieten hat. Erstens ein Bewusstsein, dass es das überall gibt, nicht nur in bestimmten Kulturen.

Zweitens die Wichtigkeit des Themas; es ist nicht eines unter vielen.

Fünf Punkte

Drittens muss sich Kirche klar werden, wo der Missbrauch und wo das Wegschauen und der Schutz der Täter ihren Platz haben und wie man das auflösen kann. Bis heute glauben ja einige, das liege bloß im „Charakter der Täter“. Damit verneinen sie jegliche kirchliche Dimension. Oder sie spielen das auf das Thema Homosexualität herüber, auch das trifft das Problem Missbrauch nicht.

Viertens gibt es aber auch kirchliche Prozeduren, von denen der Papst klagt, dass diese oft bei Bischöfen nicht bekannt seien. Außerdem hätten einige Bischöfe das Problem noch nicht wirklich gut verstanden. Das kann man durch solche globale Aufmerksamkeit angehen.

Vor einiger Zeit habe ich mich hier schon an eine kleine Voraussage gewagt. Ab Donnerstag tagt nun die Konferenz. Man hört aufeinander, man spricht miteinander – in Kleingruppen, wie bei einer Synode – und nicht minder wichtig man betet auch miteinander. Ein wichtiger Schritt für die weltweit eine und lokal diverse Kirche.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, VatikanSchlagwörter Erwartung, Kinderschutz, Konferenz, Missbrauch, Vatikan14 Kommentare zu Globale Konferenz, lokales Problem

Kinderschutz und Aufklärung: Wider den Frust

Veröffentlicht am 17. Februar 201918. Februar 2019
Kinderschutz-Konferenz: Wohin des Wegs? Kinderschutz-Konferenz: Wohin des Wegs?

Wie weit sind wir in Sachen Kinderschutz und Aufklärung von Missbrauch? Wo stehen wir? Immer und immer wieder kommen neue Geschichten, Täternamen werden öffentlich, oder auch Anklagen. Oder jetzt zuletzt die Entscheidung im Fall McCarrick. Zu viele Namen, zu viele Geschichten, und immer wenn es scheint, dass es voran geht, kommt was Neues. Oder: etwas Altes kommt ans Tageslicht.

Das Bild, das entsteht, ist das von Rückschritt, von Verkommenheit, von Kriminalität. Da haben es alle schwer, die dagegen an arbeiten, die sich um Aufklärung, um Richtlinien, um Gerechtigkeit mühen. Aber diese Bemühungen gibt es, seit zwei Jahrzehnten gehen den Studien und auch den Staatsanwaltschaften etwa in den USA nach die Zahlen von Missbrauch zurück. Eine gute Motivation, weiter zu machen und sich von allen üblen Geschichten nicht ins Bockshorn jagen zu lassen.

Nicht ins Bockshorn jagen lassen

Und wo soll es hingehen mit dieser Motivation? Was soll Kirche erreichen, etwa mit der Konferenz, die in der jetzt beginnenden Woche hier im Vatikan stattfindet? Einen gemeinsamen Bewusstseinsstand herstellen, so erhofft sich Kardinal Christof Schönborn in einer Gesprächs-Sendung von Anfang Februar.

Papst Franziskus selber hat beim Rückflug aus Panama noch einmal vor einer überzogenen Erwartungshaltung in Bezug auf die Kinderschutz-Konferenz gewarnt. Und irgendwie ist das ja auch richtig, eine Konferenz kann nicht die Welt auf einmal besser machen. Außerdem geht es immer um lokale Wirklichkeiten, die Rechtssysteme und politischen und gesellschaftlichen Situationen sind zu verschieden, als dass es die eine Lösung geben könnte.

Aufklärung von Missbrauch

Trotzdem kommt die Erwartungshaltung ja nicht aus dem Nichts. Seit 2010 debattiert Deutschland, Österreich streng genommen bereits seit dem „Fall Groer“ in den 90ern, die angelsächsische Welt hat noch früher angefangen. Das ist eine lange Zeit. Jetzt für Geduld zu werben braucht schon eine gute Rechtfertigung.

Diese Konferenz ist aber nicht das erste Mal, dass man sich in Rom zu diesem Thema berät, 2012 etwa hat es zur Gründung des Kinderschutzzentrums schon einmal eine Fachkonferenz gegeben, nur um eine von vielen Konferenzen zum Thema zu nennen. Das war eine, die prominent in Rom stattfand.

Auf dem Weg zur Heilung und Erneuerung

Unter dem Titel „Auf dem Weg zur Heilung und Erneuerung“ ist auch der Tagungsband dazu erschienen. Einer der Veranstalter damals ist auch jetzt in der Vorbereitung für die Kinderschutz-Konferenz dabei, Pater Hans Zollner.

Es sei das erste Mal gewesen, dass Missbrauch und dann auch Prävention und Aufklärung von Missbrauch auf weltkirchlicher Ebene angesprochen wurden, sagte er mir, als ich ihn vor einigen Tagen auf die Konferenz von 2012 angesprochen habe. Das habe „in einigen Ländern zur ersten Auseinandersetzung mit dem Thema geführt und hat vermutlich den Weg zur Schaffung der Päpstlichen Kinderschutzkommission bereitet.“ Es war also nicht einfach eine Lösung, sondern ein Schritt auf dem Weg.

Wobei man hier schon vorsichtig sein muss. Was P. Zollner – so verstehe ich ihn – und was auch ich nicht meine ist ein Vertrösten. Bitte noch warten, wir brauchen noch Jahre, bis wir endlich einer Meinung sind. Das ist genau nicht gemeint.

Kein Vertrösten

Eine Einsicht schon damals war es, dass sexuelle Gewalt und Kinderschutz globale Themen sind, welche die Kirche ins Mark treffen. So sagte es mir damals einer der Teilnehmenden im Interview direkt nach der Konferenz:

„Es wurde hier in diesen Tagen von allen, die einen Vortrag gehalten haben, immer wieder ganz klar betont und herausgearbeitet, dass es kein regional begrenztes Thema ist, nicht nur. USA, Westeuropa, Irland. Nein, es ist ein Thema, das uns in Indien, Asien, Afrika, Nordamerika, Westeuropa betrifft, das die ganze Kirche betrifft. Ich hoffe, dass dieser Irrtum ausgeräumt ist, dass das in meinem Land, in meinem Kulturkreis, ja, in meiner Diözese nicht vorkommt“, so Klaus Franzl. So viel zum Thema des Vertröstens, hier spürt man, wie langsam das gegangen ist.

Ich habe P. Zollner neulich auch gefragt, was ihm von der Konferenz 2012 heute noch hängen geblieben ist. „Das Zeugnis von Marie Collins am Anfang, die Bußliturgie in San Ignazio mit einer starken Predigt von Kardinal Ouellet sowie der Abschlussgottesdienst mit Kardinal Filoni, einige Vorträge, vor allem aber der Eindruck, dass wir weltkirchlich noch einen weiten Weg vor uns haben.“

Weltkirchlich noch ein weiter Weg

Bei der Predigt von Kardinal Ouellet geht es mir ähnlich, da kann ich mich noch ziemlich genau an meine Reaktion erinnern. Da fielen Sätze wie „Missbrauch ist ein Verbrechen, das für das unschuldige Opfer eine echte Erfahrung des Todes bedeutet“. Und „Wir müssen den erschütternden Berichten der Missbrauchten glauben.“ Letzteres klingt erst einmal selbstverständlich, ist es aber nicht. Leider.

Jetzt also einen gemeinsamen Bewusstseinsstand erreichen, da schließe ich mich einmal Kardinal Schönborn an. Das wird nicht einfach, in vier Tagen kann man die Welt nicht retten. Aber das ist noch keine Begründung dafür, besser nichts zu tun oder sich frustriert abzuwenden. Die Konferenz 2012 hat auch nicht die Welt gerettet, aber im Rückblick war es ein Schritt. Ein wichtiger Schritt.

 

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Umso schlimmer für die Wirklichkeit

Veröffentlicht am 8. Februar 20198. Februar 2019
Durch den Missbrauchsskandal gelernt. Der Vatikan im Winter Vatikan im Winter: Vorbereitet auf die Kinderschutz-Konferenz in zwei Wochen

Es ist meine Lieblingsfrage. In Interviews vor allem nach Papstreisen, Tagungen oder dergleichen frage ich gerne Beteiligte danach, was sie gelernt haben. Das ist meine Art zu fragen, was das Ganze gebracht hat. Weiß jemand persönlich jetzt etwas, was er oder sie vorher nicht wusste? Gibt es eine neue, den Horizont erweiternde Frage. Genau diese Frage bekam in der ZEIT diese Woche auch Bischof Peter Kohlgraf aus Mainz gestellt: Was habe er über sich und die Kirche durch den Missbrauchsskandal gelernt? (Interview aus der Beilage Christ&Welt ist noch nicht online verfügbar).

Bischof Kohlgraf spricht vom Zusammenhang Lehre – Leben, aufgehängt an der Sexualmoral: „Wir müssen uns von der Hybris verabschieden, ganz genau zu wissen, was in jeder Lebenssituation gut für den einzelnen Menschen ist. Wir können nicht mehr das Leben einzig und allein nach der Lehre bewerten. es muss umgekehrt sein: Die Lehre muss sich im Leben bewähren“, so im ZEIT-Interview.

Durch den Missbrauchsskandal gelernt?

Das meint natürlich auch die Art und Weise, wie Papst Franziskus diese Fragen anspricht, ausdrücklich nennt der Bischof Amoris Laetitia, das Schreiben nach der Bischofssynode zum Thema Familie.

Um Amoris Laetitia drehen sich die schärfsten Debatten, jedenfalls bis jetzt die Missbrauchs-Debatte auch im Vatikan verhandelt wird. Der Brief der vier Kardinäle hat vielen zum Mittel der Kritik am Papst gedient, nicht immer nur redlich.

Das Schweigen des Papstes damals halte ich immer noch für ein Verweigern des Machtgestus. Der Papst will Dynamik, nicht Macht. Und auch dazu finde ich in dem Kohlgraf-Interview Interessantes: „Es geht nicht um Macht. Es geht um Seelsorge. Bischöfe und Priester sind keine Wächter der reinen Lehre, sondern Begleiter auf dem Weg zu Gott.“

Es geht nicht um Macht

Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee, sagt der Papst dazu. Nicht eine Idee, nicht wie der Papst sagt „Formen von Verschleierung von Wirklichkeit“ bestimmen, sondern die konkrete Situation. Menschen auf dem Weg zu Gott, auf dem Weg miteinander, im Glauben und Zweifeln zu begleiten, dafür sollte die Kirche stehen. Das ist der Traum und der Wunsch nach der Reform der Kirche.

Bischof Kohlgraf nimmt hier noch mal den Macht-Diskurs auf: „Der einzelne hat die Macht, nicht der Bischof. Diesen Perspektivwechsel müssen wir zulassen.“ Es geht hier um Gewissen und Gespräch, um Begleitung und Unterscheidung. Und um die Welt und die Lebenssituationen, wie sie sind und nicht wie wir sie gerne hätten.

Hegel und Morgenstern

Ein Blick in die Geschichte und Literatur gefällig? Nur so zur Unterhaltung?

In seiner Habilitationsschrift hatte der Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel die Siebenzahl der Planeten deduziert. Seine Denkvorstellung kannte also diese sieben Planeten, und es konnten nur sieben sein. Auf die Existenz eines achten Planeten hingewiesen, der eben erst entdeckt worden war, stellte Hegel – in einer zugegeben apokryphen Geschichte – nicht seine Denkvorstellung in Frage, sondern antwortet baff: „Um so schlimmer für die Tatsachen”. Damit wurde seine Vorstellung zu einer „Form von Verschleierung von Wirklichkeit“.

Das gibt es leider auch in der Kirche, eine einmal festgeschriebene Wahrheit, als Lehre deklariert, die sich Veränderungen der Welt nicht anpassen will. Dann muss halt die Wirklichkeit schlecht sein. So kann das aber nicht gehen. Um einen anderen Bischof zu zitieren: Gott liebt uns durch die Wirklichkeit.

Die andere Sicht, das Verschleiern, wirkt dagegen fast tragisch. Christian Morgenstern dichtet das so:

Und er kommt zu dem Ergebnis:
„Nur ein Traum war das Erlebnis.
Weil“, so schließt er messerscharf,
„nicht sein kann, was nicht sein darf!“

 

Kategorien Allgemein, Bischofssynode, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, InterviewSchlagwörter Amoris Laetitia, Interview, Kinderschutz, Kirche, Kohlgraf, Lehre, Medien, Missbrauch, Papst Franziskus, Zeit36 Kommentare zu Umso schlimmer für die Wirklichkeit

Glaubwürdig angeklagt

Veröffentlicht am 2. Februar 20191. Februar 2019
Statistik von Tätern: Verwirrend wie ein Cy Twombly Bild Umgang mit Zahlen und Statistiken kann verwirrend sein, mich erinnert das irgendwie an ein Bild von Cy Twombly (München).

Nun also Texas. Die fünfzehn Bistümer des US-Staates haben fast 300 Namen veröffentlicht: von glaubwürdig angeklagten Missbrauchstätern. So berichtet die NYT an diesem Freitag. Vor Texas hat Illinois das schon getan, auch der Jesuitenorden als bistumsübergreifende Institution. Und andere auch. Zahlen und Statistik von Tätern, von „glaubwürdig angeklagten”, „credibly accused”.

Bei der Lektüre heute Morgen haben sich mir da mal wieder einige Fragen aufgetan. Zum einen kam mir reflexhaft sofort der Gedanke, dass jedes einzelne Schicksal wichtig ist und bleibt, gleich wie die Statistik aussieht. Und das halte ich auch für richtig. Nur ist eine Zahl auch ein Text, nie nur neutral. Nun stehen da also die Namen von Menschen nebeneinander, deren Geschichten ganz verschieden sind. Und alles ist durch die Statistik gleich gemacht.

Durch Statistik gleich gemacht?

Es mag ja sein, dass die Entscheidung, jetzt die Statistik von Tätern und deren Namen zu veröffentlichen, die richtige ist, das mag ich von hier aus über den US-amerikanischen Kontext nicht beurteilen. Nur kenne ich einige Fälle, sie in solchen Statistiken nebeneinander stehen, die also gleich gesetzt werden, die aber völlig verschieden sind. Ich möchte die Zahlen nicht runter reden, im Gegenteil, nur möchte ich für Sorgfalt werben und dafür, jeden Fall einzeln zu sehen. Auch wenn es schwer fällt.

Mit Hilfe von Statistiken zu urteilen kann dazu verführen, die Einzelfälle nicht mehr zu sehen. Das muss auf jeden Fall vermieden werden.

Mein zweiter Gedanke kreist um „credibly accused”. Das ist ja das Kriterium dafür, dass sich ein Name auf einer Liste findet. Mal ganz bösartig gefragt: löst Glaubwürdigkeit nun die Unschuldsvermutung ab? Ich nehme es den Verantwortlichen in den USA ab, nicht leichtfertig zu handeln, nur lesen sich die Listen halt wie Urteile. In vielen Fällen wird es keine Klarstellung mehr geben und geben können, weil die mutmaßlichen Täter verstorben sind, das Urteil bleibt also das per Namensliste veröffentlichte.

Statistik von Tätern

Während meines Studiums in Großbritannien habe ich aber erlebt, wie Zeitungen „naming and shaming” betrieben haben, also mutmaßliche Täter mit Foto und Klarnamen veröffentlicht haben. Noch einmal: das zu wollen unterstelle ich hier niemandem, nur bleibt bei mir ein Beigeschmack.

Dritter Gedanke, gegen gegensätzlich: es ist schon schlimm, dass die Institution Kirche solche Schocks braucht, um in Bewegung zu kommen. Solche Veröffentlichungen oder auch Durchsuchungen. Auch jetzt hagelt es noch Kritik, dass die Kirche das in Eigenregie tue und keine externe Kontrolle stattfinde, aber auch das Nennen dieser Namen ist schon ein mächtiger Schritt (wenn auch nicht der letzte).

Diese Form nicht ganz freiwilliger Transparenz hilft eben den Opfern, weil sie die Dimension des Problems öffentlich macht. Danach kann keiner mehr sagen, dass seinen Einzelfälle (Sie sehen, meine Gedanken sind widersprüchlich, aber das bringt das Thema vielleicht mit sich).

Die Dimension des Problems

Diese Statistik von Tätern und deren Namensnennung hilft aber letztlich auch der Institution, wenn sie es denn ernst meint mit Aufklärung und Transparenz. Die Kirche muss sich ihren systemischen Problemen stellen, daran führt kein Weg vorbei.

Das alles sind die USA. Eine anders gelagerte aber nicht ganz unterschiedliche Situation haben wir hier. Da hat die Kirche eine Studie veröffentlicht, die erste überhaupt aber natürlich nur ein Anfang. Es gibt auch andere Statistiken, die wir nicht ignorieren dürfen, wenn wir das Problem Missbrauch angehen wollen. 250 Kinder pro Woche werden laut Deutscher Kinderhilfe pro Woche (!) Opfer von Gewalt. „Die Zahl der Misshandlungen stagniert seit Jahren auf hohem Niveau“.

Da wird keine Statistik von Tätern genannt, da kommen auch keine Namenslisten vor, das Ganze ist medial weniger aufregend, sollte uns aber mindestens so unruhig machen wie die großen Zahlen und die vielen Täternamen.

Gerechtigkeit?

Ein abschließender Gedanke: ohne selber Richter sein zu wollen finde ich es irgendwie auch richtig, dass Namen genannt werden. Es gibt eben nicht nur Opfer, sondern auch Täter. Und die kommen ans Licht und werden nicht geschützt. Ist das schon Gerechtigkeit? Nein, noch nicht. Aber es ist hoffentlich ein Schritt dorthin.

Ein abschließendes Wort zur Bildauswahl. Cy Twomblys Bilder sind gerne verwirrend, Statistiken können es auch sein, die Namensliste ist es bei mir sicherlich. Die Bilder werden Kunst dadurch, dass man den gemalten Linien folgt. Die leiten und begleiten und führen. Das wünsche ich mir von den Namen und den Zahlen auch: dabei nicht stehen lassen, die Verwirrung nicht als letztes Wort akzeptieren, weiter machen, aufklären, nachdenken.

 

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„Hoffnungsmüde“ – Gedanken zu Kirche und Wandel

Veröffentlicht am 30. Januar 201930. Januar 2019
Kraft um zu reparieren Santa Maria di Collemaggio, l'Aquila: Auch diese Kirche braucht Wiederaufbau, nach dem Erdbeben von 2009

„Hoffnungsmüde“: ein Wort von Papst Franziskus, gesprochen in Panamá bei seiner Reise zum Weltjugendtag. Er hat es zu Ordensleuten und Priestern gesagt, aber mir scheint es ein guter Begriff zu sein um die Debatten hier bei uns zu verstehen, die sich um Kirche und Erneuerung drehen. Was tun? Muss sich Kirche wandeln? Sich neu erfinden oder nicht? Ist die alte Zeit zu Ende? Was passiert mit Kirche und Veränderung?

Die Zitate in den Fragen stammen aus den vergangenen Wochen aus den Debatten um den Umgang mit Missbrauch, Autorität und die Frage, wie sich Kirche angesichts all dessen verändern muss.

Kirche und Veränderung

Dass eine Zeitenwende eingetreten sei, das sagt Bischof Franz-Josef Oberbeck (Essen). Es brauche eine „ernsthafte Erneuerung der Kirche“, alles müsse auf den Tisch, Priesterbild und Weiheamt, Hierarchie, Zölibat, Frauenamt und Sexualmoral. Nun gehe es nicht darum, eine bestimmte, vertraute Gestalt der Kirche zu retten, sondern „nach neuen Wegen zu suchen, um mit Gott in Berührung zu kommen”.

Bischof Rudolf Voderholzer (Regensburg) sagt dagegen, Kirche müsse sich nicht „neu erfinden“. Kirche sei Projekt Gottes, und dürfe nicht organisatorisch-menschlich verstanden werden. Neue Wege: Ja, Bekehrung: auf jeden Fall. Aber eben keine Zeitenwende.

Damit hatte Voderholzer – direkt oder unabsichtlich – auf Bischof Georg Bätzing (Limburg) reagiert, der von „neu erfinden“ gesprochen hatte. Es brauche Veränderung. Kirche müsse sich vermehrt daran orientieren, was Menschen bräuchten, eine milieu-gestützte Weitergabe des Glaubens gebe es fast nicht mehr.

„Neu erfinden“?

Interessant ist eine Erfahrung, die Bätzing aus seinem Bistum berichtet und die den Zusammenhang mit der Aufarbeitung von Missbrauch und der Erschütterung der Kirche darüber herstellt. Es habe es ansprechen müssen, von selber sei die Sprache nicht darauf gekommen. Aber sobald es angesprochen worden sei, hätten die Leute „gesprudelt“. Da sitzt also was tief drin, das von sich aus nicht artikuliert werde, Aggression, Enttäuschung, Wut. 

Daraus ziehet ich den Schluss, dass wir keine Debatte um Erneuerung führen können, ohne diese Dimension aktiv in die Debatte einzubringen.

Die verschiedenen und zugegeben etwas wahllos heraus gegriffenen Wortmeldungen (ich habe nur die letzten Wochen berücksichtigt und auch nur Bischöfe) können zu einer Art von Lähmung führen. Wenn ich eine Lösung suche, die all die verschiedenen Ansätze und Überzeugungen vereint, dann sind wir schnell blockiert. Und hier kommt dann für mich beim Thema Kirche und Veränderung das Papstwort von der „Hoffnungsmüdigkeit“ ins Spiel.

„Es ist eine lähmende Müdigkeit”

„Es ist eine lähmende Müdigkeit. Sie beginnt damit, dass wir vorausschauend nicht wissen, wie wir angesichts der Intensität und der Ungewissheit des Wandels, den wir als Gesellschaft durchmachen, reagieren sollen“. Der Papst sprach davon, wie schwer es sei, unter den Bedingungen von heute Ordensleben zu leben, aber ich lese das auch als Schlüssel für das leben als Christin und Christ in Gemeinschaft, in Kirche, überhaupt.

„Die Hoffnungsmüdigkeit kommt von der Feststellung, dass die Kirche durch ihre Sünde verwundet ist und dass sie viele Male die zahlreichen Schreie nicht zu hören vermochte, in denen sich der Schrei des Meisters verborgen hatte: ‚Mein Gott, warum hast du mich verlassen‘ (Mt 27,46).“ Damit meint der Papst auch den Missbrauch, den geistlichen, den sexuellen, und den Missbrauch von Macht und Autorität.

Fallen und Enttäuschungen

Die Falle sei nun ein „grauer Pragmatismus“. „Enttäuscht von der Wirklichkeit, die wir nicht verstehen oder in der, wie wir meinen, kein Platz mehr für unser Angebot ist, geben wir einer der übelsten Häresien unserer Zeit „Bürgerrecht“, nämlich zu denken, dass der Herr und unsere Gemeinden in dieser neuen Welt, wie sie abläuft, nichts zu sagen noch zu geben hätten (Evangelii Gaudium, 83).“

Wie da heraus kommen? Rezepte gibt es keine, vielleicht sind die Realitäten auch zu verschieden, um mit einer Lösung darauf reagieren zu können. Überhaupt, von einer Lösung zu sprechen ist vielleicht sogar falsch, es braucht Antworten.

Ein Hinweis vom Papst bekommen wir, wenn wir in der Zeit etwas zurück gehen und das Wort „Hoffnung“ aufgreifen. Der Papst hat es einmal in einer Videobotschaft so ausgedrückt: „Paulus sagt nicht „der Herr hat zu mir gesprochen und gesagt“, oder „der Herr hat mir gezeigt oder mich gelehrt“. Er sagt „er hat mir Barmherzigkeit erwiesen“.“

Antworten, nicht Lösungen

Eine Antwort auf die Müdigkeit liegt also darin, darauf zu schauen, wie Gott mit uns umgeht. „Es ist keine Idee, kein Wunsch, keine Theorie, schon gar keine Ideologie, sondern Barmherzigkeit ist eine konkrete Art und Weise, Schwäche zu „berühren“, sich mit anderen zu verbinden, einander näher zu kommen.“

Hoffnung entsteht mit Gott. „Um zu verstehen und zu akzeptieren, was Gott für uns tut – ein Gott, der nicht aus Angst denkt, liebt oder handelt, sondern weil er uns vertraut und erwartet, dass wir uns wandeln – muss vielleicht dieses unser hermeneutisches Kriterium sein, unser Modus Operandi: „Geht und handelt genauso“ (Lk 10:37). Unser Umgang mit anderen darf deswegen niemals auf Angst aufbauen, sondern auf die Hoffnung Gottes in unsere Umkehr.“

Noch einmal zurück zur Panama-Ansprache: Die Müdigkeit lasse sich nur durch die immer neue Begegnung mit Christus in Hoffnung verwandeln. Und das bedeutet die Begegnung mit dem, der uns barmherzig ansieht. Das bedeutet akzeptieren, dass wir – einzeln und in Gemeinschaft – verwandelt werden müssen.

Wir müssen verwandelt werden

Und damit verschieben wir das Problem der Veränderung nicht ins Spirituelle. Damit gehen wir den vielleicht harten Entscheidungen nicht aus dem Weg.  Bischof Overbeck hatte es so gesagt: Neue Wege suchen, mit Gott in Berührung zu kommen. Und die Voraussetzung dafür ist, zu schauen, wo Gott schon in Berührung mit uns war und ist.

Kirche und Veränderung – das wird in der Zukunft nicht einfacher. Lösungen und Rezepte gibt es nicht. Aber wenn unser Christsein von dem geprägt ist, wie Gott sich zu uns verhalten hat, in Barmherzigkeit, dann ist er erste Schritt gemacht und dann kann man auch die verschiedenen Wege vorwärts ideologiefrei besprechen. Dann lähmt das nicht in Müdigkeit, sondern dann bewegt sich da was.

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Und jetzt eine Synode

Veröffentlicht am 21. Januar 2019
Synode gegen Missbrauch - hier in Rom gibt es erst einmal eine Konferenz dazu Demnächst hier in Rom: eine Konferenz zu Kinderschutz und zur Aufarbeitung von Missbrauch

Theologische Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal: Endlich greift die Debatte auch diese Dimension vermehrt auf. Der Salzburger Theologe Gregor Maria Hoff hat sich in einem Interview dazu geäußert, in der FAZ. Und überrascht mit dem Gedanken an eine Synode gegen Missbrauch.

Immer mal wieder habe ich hier im Blog die Frage gestellt, wo angesichts von Missbrauch die Theologie ist, was die Theologie zu sagen hat. Jetzt, einen Monat vor der Konferenz im Vatikan zu Kinderschutz und Aufarbeitung, möchte ich das noch einmal aufgreifen.

Synode gegen Missbrauch

Überraschend an den Gedanken Hoffs fand ich vor allem den Schluss. „Was jetzt in Deutschland ansteht, ist eine Synode“. Nicht im Vatikan, er meint damit nicht die Konferenz im Februar, sondern eine Synode auf Level der Ortskirche. Der Grund für seinen Ratschlag: es braucht eine Analyse der Probleme. Und da er nach eine Synode fragt, darf man das so lesen: es braucht eine gemeinsame Analyse der Probleme.

Synodalität also praktisch, im Einsatz. Jede Form des Missbrauchs, also auch die katholische, habe seine Besonderheiten, sagt Hoff. Durch, Strategien der Verschleierung und Möglichkeiten von Missbrauch. Wo liegt in der Kirche das systematische Problem?

Synodalität im Einsatz

Hoff spricht von der „wechselseitigen Sakralisierung von Amt und Person“ beim Priester und dann davon, dass die Kirche eigentlich eine differenzierte Theologie der Macht entwickelt habe. Kern müsse die Botschaft Jesu bleiben. Wenn die verdeckt würde, dann sei das – so lese ich Hoff – eine deutliche Problemanzeige.

Ich mag an dieser Stelle nicht das ganze gar nicht so lange Interview wiedergeben. Aber wie gesagt hat mich der Schlussgedanke überrascht. Und auch wieder nicht. Weg vom übereinander reden, hin zum miteinander analysieren. Natürlich ist auch das kein Zauberstab, aber ein mögliches Element zur Aufarbeitung und auch zum Verstehen dessen, was da in der Kirche über Jahrzehnte passiert ist. Und zum Verstehen der spezifisch katholischen Variante dieser Verbrechen.

Ich weiß gar nicht, ob damit überein gehe. Ob eine Synode jetzt und heute (schon) der richtige Schritt ist. Aber ich freue mich über die Debatte. Papst Franziskus hat die Synodalität immer wieder als Weg voran bezeichnet. Hier finde ich ein mögliches Anwendungsbeispiel. Theologisch wichtig und praktisch möglich.

Vielleicht wäre das ja was.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Vernunft, Sprechen von Gott, VatikanSchlagwörter Deutschland, FAZ, Kinderschutz, Konferenz, Missbrauch, Synode, Theologie12 Kommentare zu Und jetzt eine Synode

Kinderschutz-Konferenz: Worum es geht. Und worum nicht.

Veröffentlicht am 16. Januar 201916. Januar 2019
Missbrauch verstehen: Das Gebäude der Glaubenskongregation in Rom, wo die Aufklärung und Verurteilung von Tätern angesiedelt ist Missbrauch verstehen: Das Gebäude der Glaubenskongregation in Rom, wo die Aufklärung und Verurteilung von Tätern angesiedelt ist

Es ist der Wille und die Entscheidung der ganzen Kirche, dass sexueller Missbrauch nie wieder vorkommen, nie wieder vertuscht und nie wieder herungergespielt wird. Papst Franziskus war in seiner Weihnachtsansprache an die Kurie im Vatikan klar und eindeutig, und das nicht das erste Mal. In seinem Brief an die US-Bischöfe in den vergangenen Wochen war er noch einmal konkreter: das Ganze ist keine Organisationsfrage, sondern eine Mentalitätsfrage. Es geht um Bekehrung und Einsicht, letztlich um einen anderen Umgang mit Macht und Autorität.

Es bleibt aber die Frage offen, wie wir das, was an Leid und Verbrechen bislang hat geschehen können, bewerten. Und das unter anderem auch deswegen wichtig, weil wir nur durch Verstehen von Missbrauch effektiv verhindern können, dass es wieder passiert. Das gilt vor allem für die Konferenz, die zu den Themen Kinderschutz, Aufklärung und Prävention von Missbrauch im Februare hier im Vatikan stattfinden wird.

Missbrauch durch Verstehen verhindern

Nun taucht in den vergangenen Monaten immer wieder eine Deutung auf, die mich etwas unruhig macht. Fast schon zur Karrikatur verzerrt etwa in den diversen Briefen des ex-Nuntius Viganò. Oder in Interviews.  Aber auch in eher ruhigen Analyse-Stücken wie etwa dem von George Weigel, einem US-Journalisten und Papst-Kenner, jedenfalls was Johannes Paul II. angeht.

Bleiben wir bei Weigel: der spricht über die Konferenz im Februar und fordert, dass die Beschlüsse oder Beratungen die empirischen Ergebnisse reflektieren müssen. Das fällt zusammen mit zwei weiteren Forderungen Weigels, nämlich der nicht auf ideologische Lösungen zu setzen und damit eigene Interessen in die Debatte einzuschleusen (Stichwort Abschaffung des Zölibats), sowie genau hinzuschauen, was zur Krise hat führen können, „Klerikalismus!” zu rufen reiche nicht aus. Soweit, so richtig.

Kinderschutz und Homosexualität

Dann aber sagt Weigel, dass man mit Blick auf die Daten nicht von „Kinder”-Schutz sprechen könne, es gehe vor allem (und er spricht von der katholischen Kirche) um Jungen. Außerdem sei das Sprechen von Pädophilie in diesem Zusammenhang falsch. Es gehe um heranwachsende Jungen und junge Männer, die Opfer von Missbrauch geworden seien.

Das Narrativ dahinter wird deutlich: die Missbrauchs-Debatte müsste eigentlich eine Homosexualitäts-Debatte sein. Viganò vertritt das mit Vehemenz, andere sich selbst vor allem gerne als laubens-Kontrolleure aufspielende Webseiten englischer Sprache auch. George Weigel tut es eher zurückhaltend und fragend, aber trotzdem in dieselbe Richtung denkend.

Wenn das aber so wäre, dann wären auch die Lösungen klar. Anstatt über Homosexualität zu reden, wäre die Ablehnung oder die Erklärung, das sei eine Krankheit, ausreichend. Anstatt Haltungen zu überdenken, würden sie verstärkt, und das auch noch mit dem Verweis auf die Krise.

Keine Ideologien, bitte!

Aber machen wir das, was Weigel fordert, schauen wir die Daten an, in unserem Fall in die MHG Studie. Die wird zwar oft kritisiert, aber es sind erst einmal Daten, und auf die sollen wir ja schauen. Korrekt werden in der oben genannten Deutung die Daten wieder gegeben, ich zitiere aus der Studie:

„Dokumentierte Hinweise auf eine homosexuelle Orientierung lagen bei 14,0 Prozent bzw. 19,1 Prozent [an dieser Stelle bezieht sich der Text auf zwei verschiedene Studien] der beschuldigten Kleriker vor. Dies war gegenüber der Vergleichsgruppe aus anderen institutionellen Kontexten wie z.B. Schulen (6,4 %) stark erhöht. In Teilprojekt 2 fanden sich bei 72 Prozent der interviewten beschuldigten Kleriker Hinweise auf eine homosexuelle Orientierung und bei 12 Prozent der interviewten nicht beschuldigten Kleriker.“

Das unterstützt scheinbar erst einmal die Deutung Weigels. Mit Blick auf die Daten muss festgestellt werden, dass es zumindest im Vergleich in der katholischen Kirche mehr Missbrauch unter homosexuellen Vorzeichen gibt.

Zahlen sind noch keine Analyse, Analyse noch keine Interpretation

Aber, und das ist ein großes und wichtiges aber, Zahlen sind noch keine Analyse. Anlyse ist noch keine Interpretation. Und gerade bei einem solchen Thema muss das sehr vorsichtig passieren, denn selbst Weigel fordert ja, keine ideologischen Thesen dem Thema aufzudrücken.

Also zitiere ich noch einmal aus der Studie, die sich die eigenen Zahlen anschaut: „Monokausale Erklärungen für das deutliche Überwiegen männlicher von sexuellem Missbrauch betroffener Kinder und Jugendlicher durch Kleriker der katholischen Kirche greifen zu kurz.” Das ist ausdrücklich auf das Thema Homosexualität gesprochen. Es gebe verschiedene Erklärungen, warum die Zahlen so seien, wie sie sind. Die Interpretation, die Missbrauchs-Thematik sei in Wirklichkeit eine Homosexualitäts-Thematik, geht damit an den Zahlen vorbei.

Die MHG-Studie zählt dann andere mögliche Interpretationen auf, etwa die Frage nach der katholischen Sexualmoral zur Homosexualität, außerdem der zölibatären Lebensweise in Verbindung mit unreifen und abgewehrten homosexuellen Neigungen. Um dann zu schließen „das komplexe Zusammenspiel von sexueller Unreife, abgewehrten und verleugneten sowie die zum Zeitpunkt der Berufswahl möglicherweise latenten homosexuellen Neigungen in einer ambivalenten, teilweise auch offen homophoben Umgebung könnte also eine weitere Erklärung für das Überwiegen männlicher Betroffener beim sexuellen Missbrauch durch katholische Kleriker bieten.” Um dann anzuschließen: „Allerdings sind weder Homosexualität noch Zölibat eo ipso Ursachen für sexuellen Missbrauch von Minderjährigen.“

Deutungen

Und damit sind wir bei der Deutung der Missbrauchs-Krise. Der Verweis – direkt oder indirekt – darauf, dass es sich hier um eine Homosexualitäts-Problematik handle, trägt nicht. Ich würde sogar sagen, der macht „blind”, wie die Bibel sagen würde, er lässt die Wirklichkeit nicht sehen. Mit der Aufforderung, keine Ideologie in die Debatte zu bringen, kommt sie durch die Hintertür wieder rein, getarnt als faktenbasierte Interpretation.

Mit der MHG Studie müssen wir aber sagen: „Homosexualität ist kein Risikofaktor für sexuellen Missbrauch. Die Studienergebnisse machen es aber notwendig, sich damit zu beschäftigen, welche Bedeutung den spezifischen Vorstellungen der katholischen Sexualmoral zu Homosexualität im Kontext des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen zukommt.” So wird ein Schuh draus.

Ja, die Studie wird kritisiert, aber sie wird auf wissenschaftlicher Basis kritisiert. Und das ist ja gut so, nur so kommen Debatten und damit Fortschritt in Einsicht zu stande. Die Studie gibt der Katholischen Kirche auch noch kräftig einen mit, wenn es um das Verständnis von Homosexualität geht: „Von der Kirche in diesem Zusammenhang verwendete idiosynkratische Terminologien wie jene einer „tief verwurzelten homosexuellen Neigung“ entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage.”

Mögliche Lesarten und Interpretationen der Daten führen zumindest die Fachleute zu anderen Schlüssen, als die oben genannten es gerne hätten. George Weigel hat recht, die Debatte darf nicht ideologisch geführt werden. Anders formuliert: die Kirche muss zuhören, jedem einzelnen Betroffenen, Opfer und Überlebenden, aber auch den Zahlen.

Vor allem aber ist das die Aufforderung, jetzt nicht das Thema wechseln zu sollen.

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Rom, VatikanSchlagwörter Homosexualität, Kinderschutz, Konferenz, MHG-Studie, Missbrauch, Schutz, Vatikan, Wissenschaft22 Kommentare zu Kinderschutz-Konferenz: Worum es geht. Und worum nicht.

Die Kirche wird eine andere sein – Wir müssen reden

Veröffentlicht am 13. September 201811. November 2018
Montagabend, Haus am Dom Mein Ausblick bei der Podiu,sdiskussion am Montag

Papst Franziskus hat den Vorsitzenden der US-Bischofskonferenz empfangen. Das macht der zwar immer im Herbst, dieses Mal aber kommt er zusammen mit dem Missbrauchsbeauftragten des Papstes, Kardinal O’Malley. Das Thema ist klar.

Papst Franziskus wird im Februar kommenden Jahres alle Vorsitzender der Bischofskonferenzen weltweit nach Rom bitten, um über Missbrauch und vor allem über den Schutz von Kindern und anderen schwachen Menschen zu sprechen.

Die deutschen Bischöfe wollten am 25. September ihren eigenen Missbrauchsbericht vorstellen. Leider haben zwei Medien sich vorab Exemplare besorgt und gestern (Mittwoch) darüber berichtet. Wir hätten gerne alle gleichberechtigt berichtet, alle mit denselben Voraussetzungen, aber so ist das halt im Journalismus. Aber vielleicht ist das ja ein getarnter Segen, die Kirche hat halt nicht mehr die Hoheit über die Interpretation, das wird nun brutal sichtbar.

Die Ergebnisse sind niederschmetternd. Dimensionen, Zahlen, Verbreitung, in der Zusammenschau von Jahrzehnten ist das ganz, ganz bitter.

 

Pennsylvania, Chile, Deutschland

 

Und dann war da der Bericht aus Pennsylvania.

Und dann war da die traurige Geschichte um ex-Kardinal McCarrick und das Verdecken seiner kriminellen Vergangenheit.

Und dann war das der Text von ex-Nuntius Viganò.

Und dann war da und ist da immer noch Chile. Und Australien. Und die USA.

Montagabend, Haus am Dom
Mein Ausblick bei der Podiumsdiskussion am Montag

Missbrauch ist und bleibt Thema in der Kirche. Und zwar nicht nur ein Thema, es bleibt das Thema, da kommen wir nicht raus. Auch bei einer Podiumsdiskussion an diesem Montag in Frankfurt, wo es um das Weitwinkelobjektiv auf 5 Jahre Papst Franziskus gehen sollte, stand natürlich und berechtigterweise Missbrauch im Mittelpunkt.

Was erzähle ich hier? Das wissen Sie doch alles.

Ich erzähle das nur deswegen alles noch einmal, weil wir diese Tage mal wieder eine Verdichtung der Ereignisse erleben. Schlag auf Schlag, sozusagen. Das ist emotional wichtig, auch wenn es vielleicht die einzelen Teile der Geschichte zu sehr zu einem Gesamt vereint, aber so ist das eben. Auch das ist Teil des Berichtens.

 

Verdichtung der Ereignisse

 

Es muss noch mehr über dieses Thema geredet werden. Überall. Hinter verschlossenen Türen, wenn es um Personal geht. Öffentlich, wenn es um Würde und Schutz geht. Es muss über Prävention gesprochen worden. Und darüber, was diese Verbrechen möglich gemacht hat.

Ja, es ist kein ausschließlich kirchliches Thema. Ja, es wäre schön, wenn die Opfer anderen Missbrauchs dieselbe Aufmerksamkeit bekämen. Aber nein, wir dürfen nicht ablenken, Missbrauch in der Kirche ist besonders, hat eigene Ausprägungen und Voraussetzungen, und mit dem geistlichen und moralischen Anspruch der Kirche muss er auch eigens bearbeitet werden.

 

Es setzt sich langsam durch

 

Wie das darüber reden geht, setzt sich langsam bei uns durch. Erst mal zuhören, immer wieder zuhören. Dann mit Hilfe von außen auf die Strukturen schauen, die das möglich gemacht haben. Auf die Personen schauen, die Verantwortung haben und diejenigen stützen, die sich für all das einsetzen, was Opfer und Kirche jetzt brauchen.

Aber auch das wissen Sie alles. Auch wenn es noch nicht überall passiert, in Theorie wenigstens ist das klar.

Mein Punkt: Das Ganze ist noch längst nicht zu Ende. Längst nicht. Nicht nur, weil es immer noch Leute gibt, die meinen, diese Geschichten kämen von außen und seien der Kirche „zugefügt” worden. Nicht nur weil andere Länder und Kulturen noch nicht einmal angefangen haben, zu entdecken, dass es das auch bei ihnen gibt. Sondern schlicht weil wir noch nicht richtig begriffen haben, dass es kein zurück mehr gibt. Weiterlesen “Die Kirche wird eine andere sein – Wir müssen reden”

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Geschichte, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Aufarbeitung, Bericht, Chile, DBK, Kinderschutz, Kirche, Missbrauch, Papst Franziskus, Veröffentlichung, Vigano46 Kommentare zu Die Kirche wird eine andere sein – Wir müssen reden

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