Es ist eine lange und grausame Liste: Christen, die wegen ihres Glaubens in den vergangenen 100 Jahren verfolgt und getötet wurden. Von Armenien über den Bürgerkrieg in Spanien zu Nazideutschland, über den Nahen Osten und viele Länder Afrikas nach El Salvador, nach Chile und Argentinien. Ein Angriff auf ein Kloster, Vertreibungen und Versklavungen, das Köpfen von Christen: Selten ist das auch heute nicht geworden
Während eines Gottesdienstes würdigte Papst Franziskus diese Glaubenszeugen. Und er sprach davon, dass die Kirche immer schon eine Kirche der Märtyrer gewesen sei. Freilich sei das kein Heldenmut gewesen, sondern Gnade Gottes. Oder anders ausgedrückt: Sie hätten lieber leben wollen anstatt sterben, sind ihrem Glauben und ihren Überzeugungen aber treu geblieben.
Grausame Geschichten sind das. Zum Glück gibt es das bei uns heute nicht mehr. Nicht? Nein, nicht.
Bei einem Vortrag in Deutschland im vergangenen Jahr ist mir in der Fragerunde danach erstmals direkt die Denkfigur begegnet, die ich sonst nur im Netz lese, nämlich dass es auch bei uns Christenverfolgung gebe. Erst vor einigen Tagen habe ich das wieder gefunden, es ging darum, dass ein Kirchenvertreter wegen einer homophoben Aussage angezeigt wurde, das nannte ein Kommentator im Netz schon Christenverfolgung.
Welch Zynismus! Wie kann man die Treue und das Leiden all der Christen nur so mit Füßen treten, in dem man sie gleichstellt mit solchen Aktionen? Wir hier sind frei, unsere Gesetze schützen unsere Rechte und die Rechte der anderen, es gibt keine Christenverfolgung bei uns.
Bei dem Vortrag habe ich in meiner Antwort das Wort „obszön“ gebraucht, und auch nach Reflexion finde ich es immer noch treffend. Es ist eine schlimme Form von Selbstgerechtigkeit, sich mit diesen Menschen zu vergleichen, die einen unglaublichen Preis zahlen, sie und ihre Familien. Und es ist noch einmal schlimmer, das Zeugnis der Christen für seine eigene Zwecke zu gebrauchen, ja zu missbrauchen.
Es gibt bei uns keine Christenverfolgung
In seinem Gebet zum Abschluss des Kreuzweges am Karfreitag sprach der Papst von Scham und Schande: „Scham wegen all des unschuldigen Blutes, das tagtäglich vergossen wird, das Blut von Frauen, Kindern, Migranten und von Menschen, die verfolgt werden wegen ihrer Hautfarbe, wegen ihrer ethnischen oder sozialen Zugehörigkeit oder wegen ihres Glaubens an dich.“ Das Wort Schande gebrauchte er auch wieder während der Gedenk-Liturgie für die Glaubenszeugen der vergangenen 100 Jahre, ganz zum Abschluss seiner Predigt.
Es gibt viel zu tun, wenn wir das Zeugnis ernst nehmen, gegen Krieg, Verfolgung, Ungerechtigkeit und all die Dinge, die Menschen zu Opfern machen. All dieser Dinge wurde während des Gottesdienstes mit dem Papst ganz ausdrücklich gedacht.
Selbstgerechtes Jammern gehört nicht dazu.