Eine neue Religion? Hier im Blog ist zu einem Artikel die Rede von Peter Sellars in Salzburg diskutiert worden, was mich neugierig gemacht hat. Da sei die neue, säkulare Religion greifbar geworden und ähnliche Kommentare waren zu lesen. Das hat mich neugierig gemacht. Also habe ich die Rede – mit Verspätung – etwas intensiver gelesen.
Der Hauptpunkt war schnell identifiziert: keinerlei Rekurs auf das christliche Erbe. Stattdessen Rückgriff auf die antiken Mythen und deren Verarbeitung durch die Aufklärer, in Sellars Fall ist es Mozart. Und das wird dann auf unsere Zeit und da vor allem auf die Umweltzerstörung angewandt, in ganz großem Stil. Habe ich das in aller ürze so richtig erfasst?
Eine neue Religion?
„Die Stimmen der Vorfahren hören“: Das ist das Programm der Rede von Peter Sellars zu Beginn der 99. Salzburger Festspiele. „Die Stimmen der noch ungeborenen Kinder hören, unsere eigenen inneren Stimmen hören“.
Was mir dabei auffällt ist zuerst die atemberaubende Sicherheit, mit der er festzustellen scheint, dass es das Böse nicht gibt. Klassische Tragödie, Buddhismus und Hinduismus seien die Zeugen. Und hier ist tatsächlich eine klare Bruchlinie zu allem, was wir christlich nennen können. Gibt es das Böse, gibt es Sünde? Wenn nein – und das scheint mir Sellars Ansatz zu sein – dann hängt alles von uns selber ab. Dann ist Erlösung von all dem Schlimmen bei uns und nur bei uns zu suchen.
Erlösung selbstgemacht?
Nun ist das was Sellars da macht alles andere als neu. Und so eindeutig auch nicht. Es tut schon etwas weh, wie er Klassiker, Mozart und Plastik im Ozean in einen Gedankengang zwingt. Es ist nicht neu, weil es die Geistesgeschichte Europas immer begleitet hat. Wir nennen es die Gnosis, die Selbsterlösung durch Wissen. Oder eine andere Variante: Der Pelagianismus, die Selbsterlösung durch das Tun. Auch ich überzeichne hier, aber um den Kern zu erfassen darf ich das an dieser Stelle mal.
Beides übrigens –ismen, die sich immer auch in christlichen Varianten gefunden haben, bis heute streitet der Papst immer und immer wieder gehen ihre neo-Formen.
Vieles was Sellars da sagt kann ich selber unterschreiben. Vielleicht nicht genau so, aber die Richtung stimmt. Mir entspricht zwar die Weise, wie unser Papst darüber spricht, eher, aber das wird nicht wirklich verwundern. Aber die mahnenden Worte weisen – wie ich finde – schon in die richtige Richtung.
Gibt es Sünde?
Aber spannend wird es eben bei der oben angedeuteten Frage, ob es Sünde und Böses gibt oder nicht. Davon hängt auch die Frage ab, ob es Vergebung, Gnade, Erlösung geben kann oder nicht. Sellars sagt ausdrücklich, dass das klassische griechische Theater erfunden wurde, um den Bürgern von Athen zu zeigen, dass das Böse („evil“) nicht existiert.
Da lese ich viel von Nietzsches „Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“ heraus. Sellars geht aber weiter und legt seine These vor, dass es das Böse nicht gebe, sondern nur Unwissenheit.
Wissen ist also Überwindung des Schlimmen. Dem widerspricht die Praxis: wie wissen eigentlich alles, was wir brauchen, trotzdem tun wir nicht das nötige. Deswegen muss sein Anliegen letztlich in moralischen Apellen stecken bleiben. Und auch seine Idomeneo-Deutung bleibt so moralisch, ein Apell.
Es bleibt bei der Moral
Der christliche Gedanke läuft dazu parallel. Wir lesen bei Paulus: „Das Wollen ist bei mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen. Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das vollbringe ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin nicht mehr ich es, der es bewirkt, sondern die in mir wohnende Sünde“ (Römer 7). Aber Paulus spricht explizit von Sünde, es gibt es also, das Böse. Die Sünde.
Sellars These entnimmt der dem Buddha: Die Wahrheit des Leidens führt zur Erkenntnis und zum Such nach dem Weg zur Besserung. Christen setzen dagegen: „Das wahre Heil des Menschen besteht nicht in Dingen, die er von sich aus erlangen könnte”.
Sind Christen besser?
Die Rede selber habe ich nicht gehört, ich kann also nichts über die rhetorische Leistung sagen. Aber als gelesener Text finde ich sie so spektakulär nicht. Hier spricht ein Künstler, der Transparenz nicht kennt. Das ist sein gutes Recht und seine Entscheidung.
Ist das dann schon eine neue Religion, die Religion von heute? Eher eine schon etwas ältere Religion. Oder Weltanschauung. Gnosis eben.
„Der Gnostizismus ist nicht fähig zur Transzendenz. Der Unterschied zwischen der christlichen Transzendenz und jeder Form eines gnostischen Spiritualismus liegt im Geheimnis der Menschwerdung,“ sagt der Papst. Macht das dann schon Christen zu besseren Menschen? Auf keinen Fall. Wir sind genauso an der Zerstörung der Welt beteiligt wie alle anderen auch. Weswegen wir die Synode zu Amazonien brauchen, weswegen es sich immer noch lohnt, Laudato Si’ zu lesen und so weiter.
Sellars sagt, dass die Tragödie uns erzählt dass die Götter nicht strafen, sondern dass wir uns das alles selber einbrocken. Wir Christen nennen das Sünde. Und deswegen ist unser Weg nicht der des Ansammelns von Wissen, auch wenn das nötig ist. Aber es bleibt nur Mittel. Unser Weg ist der der Umkehr. Und der braucht Gott und Gottes Gnade. Von selbst aus können wir das alles nämlich nicht schaffen.