Religion ist eine fremde Welt. Jedenfalls vielen Leuten, die sich beruflich mit Religion befassen. Gleich ob das die Frage nach dem Jüdischen im Jüdischen Museum in Berlin, nach dem Islam in den vielen Formen, nach Ökumene und nach katholischen Spezifika ist: Journalismus und Religion sind sich oft fremd geworden. Zu oft gelten nur noch Schlagworte – „konservativ“, „unmodern“ – die nicht wirklich beim Verstehen helfen.
Ja, Religionen in ihrer verfassten Form tun alles möglich dafür, falsch verstanden zu werden. Machtkämpfe, Intransparenz, Geldgeschichten, all das gibt es immer wieder. Und trotz allem: Religion wird wichtig. Konflikte machen sich an Religonen fest, es gibt eine zunehmende Vielfalt von Religionen. Das Verstehen von Religion wird wichtiger, wenn man diese Phänomene verstehen und verstehbar machen will, und zwar sowohl was das fremd gewordene Eigene angeht, das Christentum, als auch was etwa den Islam angeht, um nur eine weitere Religion zu nennen.
Journalismus und Religion
Religion ist eben nicht nur ein soziologisch zu begreifendes Phänomen, sie ist nicht nur von politikwissenschaftlichen, geschichtlichen oder kulturwissenschaftlichen Begriffen zu fassen. Ich verliere sogar eine wichtige Dimension von Religion, wenn ich mich als Journalist in meiner Berichterstattung nur auf solche Begriffe stütze.
Ganz besonders gilt das vielleicht für die Psychologie, wenn man also versucht, Religion völlig aus nicht-religiösen Kategorien heraus zu erklären. Und damit zu unterwerfen. Das alles kann richtig sein und kann wichtig sein und kann helfen, zu verstehen, aber es ist eben nicht alles.
Wie ich in den Wald hinein rufe …
Wenn zum Beispiel ein neuer Papst gewählt wird, dann findet die Berichterstattung oft im Modus von demokratischen Wahlprozessen statt. Da gibt es dann Parteien, Wahlsieger, da gibt es konservativ und progressiv und so weiter. Und das ist ja auch verständlich, die Kategorien, die ich anlege, bestimmen das Bild, das ich sehe.
Aber es verhindert eben leider auch, dass ich die vollständige Geschichte erkenne. Die selbstverständliche Präsenz Afrikas zum Beispiel (um beim Beispiel der Papstwahl zu bleiben) wurde reduziert auf die Frage, ob Kardinal Turkson „Chancen“ auf das Papstamt habe, etc. Dass dahinter eine Weltkirchlichkeit steckt, wird übersehen. Ganz zu schweigen, dass das ziemlich herablassend einem ganzen Kontinent gegenüber ist.
Aber auch die geistliche Dimension gehört dazu. Was Gebet ist, was Tradition, welche Rolle die Schrift oder die Liturgie spielt ist eben nicht nur Beiwerk. Und Volksfrömmigkeit ist nicht nur Folklore.
Berichterstattung via Bilder
Am ehesten noch gelingt die Berichterstattung über die religiöse Dimension der Religion interessanterweise im Fernsehen, das wird von Bildern viel besser getragen als von Worten. Aber wie erklärt man das? Verstehen braucht Bilder, braucht aber auch Worte, Konzepte, Reflexion.
Man kann – davon bin ich überzeugt – über Religion als Religion sprechen, selbst wenn man dieser Religion nicht angehört. Man muss nicht selber gläubig oder fromm sein, um klug über Religion zu sprechen. Aber wie kommt man dahin?
Angst verlieren
Ein erster Schritt ist es, die Angst zu verlieren, sich vereinnahmen zu lassen. Nicht die Vorsicht und nicht die Sorgfalt, aber die Angst. Natürlich gibt es die Versuchung, zum Teil des Systems zu werden, wie bei Sportreportern und Sportfunktionären, Politikreportern und Politikern, und so weiter. Es ist aber kein Automatismus.
Ich stelle eine Sorge bei Kolleginnen und Kollegen fest, zu „fromm“ zu klingen. Ich stelle auch eine Sorge fest, sich zu weit von einem Publikum zu entfernen, das man als der Religion entfremdet vermutet. Und drittens stelle ich die Sorge fest, vor Kolleginnen und Kolleginnen komisch auszusehen, wenn man sich mit sowas auskennt. Ich meine das gar nicht herablassend, das muss man ja auch ernst nehmen. Aber daraus darf sich keine Angst entwickeln, die Unkenntnis in Sachen Religion zu einer Tugend erhebt.
Unkenntnis zur Tugend
Ein zweiter Schritt wäre, Religion neu kennen zu lernen. Wie gesagt, Unkenntnis ist keine Tugend. Auch ist es keine Tugend, Religion den immer wieder gebrauchten Begriffen aus Politik oder Kultur zu unterwerfen. Drittens ist es keine Tugend, schon gar keine journalistische, immer wieder dieselben Fragen aufzuwerfen ohne nachzusehen, ob solche Fragen ein richtiges Bild des Berichteten abgeben. Neugier ist auch hier wie überall im Journalismus wichtig.
Beispiel Amazonas-Synode: ob es die Realität Amazoniens trifft, wenn immer wieder die gleichen europäischen Fragen aufgeworfen werden, wage ich zu bezweifeln. Um zu verstehen und vor allem um die Menschen, die es angeht, zu hören muss ich als Journalist (glaube ich jedenfalls) in der Lage sein, fertige Vorstellungen mindestens in Frage stellen zu lassen.
Fragen stellen
Der dänische Statistiker Hans Rosling zum Beispiel ist um den Planeten gezogen und hat allen, die es hören wollten, beigebracht dass unsere Sicht auf die Welt oft genug eben nicht auf Daten und Zahlen, mithin von der Realität abhängt, sondern von Vor-Urteilen. Die seien erklärbar, aber man müsse eben auch über sie hinaus, um die Realität nicht zu verfehlen. Das Problem ist nicht, dass es keine Daten gäbe, sondern dass wir – Journalisten – mit fertigen Vorstellungen dort heran gehen. In Sachen Religion weiter gedacht: Es ist nicht so, als dass es nichts zu berichten gäbe. Aber wenn wir uns für Religion als Religion interessieren, dann darf ich mich nicht an Vorstellungen des 20. Jahrhunderts hängen. Oder um es simpel zu formulieren: Die Tugend lautet, Fragen zu stellen. Dem Gegenüber aber auch sich selber.
Drittens braucht es eine gesunde Selbsteinschätzung in Sachen „Aufgeklärtheit“. Es ist eben nicht so, dass post-religiöse Menschen „aufgeklärter” sind, „weiter” sind als andere. Es gibt eine Auffassung von Fortschrittlichkeit, die post-religiös daher kommt. Das mag ja sein – nehmen wir das mal hypothetisch an – muss dann aber auch gezeigt werden. Als stille Voraussetzung verzerrt es die Perspektive.
Jenseits des Klick-baiting
Viertens braucht es Sachkenntnis. Das klingt jetzt wie ein versteckter Vorwurf, als ob es das nicht gäbe. Es gibt aber tatsächlich viele Kolleginnen und Kollegen, die sehr viel wissen, meistens aber über die jeweiligen Institutionen von Religion, etwa die Kirche. Das ist aber nicht immer dasselbe. Religion ändert sich, Formen und Praxis von Religiosität ändern sich, innerreligiöse Konflikte etwa zwischen Institution und Gläubigen brauchen auch den Blick auf diese Wandlungen.
Und als letzten Punkt muss ich an dieser Stelle in die Klage über das Klick-Baiting einstimmen. Das füttert Vorurteile, weil es nichts Neues bringt (was Journalismus ja eigenglich sein soll), sondern nur Bestehendes abruft. Das gilt bei allen Bereichen der Medien, beim Thema Glauben und Religion stelle ich das selber als verheerend fest. Es gibt so viele als festgefügt angenommene Meinungen, die mit Schlagzeilen gefüttert werden, dass es im Netz immer weniger qualitätsvolle Berichterstattung außerhalb von klar religiös orientierten Medien gibt.
Es gibt sie, das ist hier keine Generalkritik, aber es gibt sie immer weniger. Wenn wir die Welt in der wir leben verstehen wollen, und wenn wir als Journalisten sie beschreiben und verstehbar machen wollen, wenn wir gute Geschichten erzählen wollen, dann gilt das für alle Bereiche unserer menschlichen Realität. Und auch für die Religion.
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Nachbemerkung:
Meine Gedanken habe ich hier schon mal vorgelegt, vor einigen Jahren. Aber ich erlaube mir, das hier noch einmal aktualisiert anzubieten.