Niemand von den Anwesenden ahnte etwas. Achtzehn Kardinäle waren versammelt, hinter verschlossenen Türen. Der Papst war in die Basilika Sankt Paul vor den Mauern gekommen, vor genau 60 Jahren war das, am 25. Januar, der Papst hieß Johannes XXIII. Es hätte ein Gottesdienst zur Gebetswoche zur Einheit der Christen sein sollen. Und das war es auch. Und noch mehr.
Die Situation sei schwierig, so der Papst in seiner Ansprache. Und weil er sozusagen mit seinem Amt für zwei Ebenen stehe – das Bistum Rom und die Weltkirche – wolle er zwei Schritte tun, um die Probleme anzugehen.
„Gewiss ein wenig zitternd vor Bewegung, aber doch mit demütiger Entschlossenheit, verkünden wir vor euch den Namen und den Plan einer zweifachen Feier: einer Diözesansynode der Stadt Rom und eines Ökumenischen Konzils für die Gesamtkirche.”
Leute die dabei waren sprachen nachher davon, dass es Schweigen gab, nicht wirklich Begeisterung. Vielleicht war die Botschaft auch noch gar nicht angekommen, auf der ersten Seite des Osservatore Romano jedenfalls erschien die Nachricht eher weiter unten, nicht als Top-Story.
Nicht die Top Story
Einer wusste es vorher schon, der damalige Papstsekretär Loris Capovilla (gestorben als Kardinal 2016).
„Was mir am meisten in Erinnerung geblieben ist, ist die Weise, wie der Papst dieses große Problem der Einberufung angegangen ist. Er hat ganz und gar Gott vertraut und gleichzeitig geglaubt, dass die Institutionen der Kirche die Probleme lösen können. Ich habe ihm gesagt, als er mich fünf Tage nach seiner Wahl darauf angesprochen hat, dass ich das für ein Wagnis halte. Er sagte mir, dass auf seinem Tisch sich so viele Probleme versammeln, Sorgen und Fragen, der Bischöfe und der Orden; es brauche etwas Neues. Ich dachte damals an ein Heiliges Jahr oder eine Revision des Kirchenrechtes, das ja noch gar nicht so alt war. Aber der Papst dachte damals schon an ein ökumenisches Konzil.“
Fünf Tage nach seiner Wahl also schon, im Oktober 1958 hatte er die Idee. Nicht nur er, von Kardinal Frings ist überliefert, dass er bei der Rückkehr vom Wahl-Konklave davon sprach, dass der Papst ein Konzil wolle. Andere hielten die Konzils-Idee für überholt, zu aufwendig sei das.
Die Papstansprache von 1959
Wer mag, hier ein Blick auf das, was Papst Johannes damals gesagt hat.
Er beginnt gleich mit einem kantigen Satz: „Wir [damals sprachen Päpste von sich noch im Plural] wissen, dass freundschaftliche und eifrige, aber auch böswillige oder unsicher Blicke sich auf den neuen Papst richten und auf das warten, was am charakteristischsten ist, was man von ihm erwarten darf.“ Er spricht also aus, dass es damals schon nicht nur freundliche Gesichter gab.
Dann nimmt der Papst Anlauf zu seiner Ankündigung, als nächstes betont er seine „doppelte Verantwortung als Bischof von Rom und Hirte der Weltkirche“. Das könne nicht voneinander getrennt werden.
Rom hat sich sehr geändert …
Als erstes nimmt er sich Rom vor, eine Stadt, die sich seit seiner Jugendzeit stark geändert habe. Hier kann man schon lesen, dass Wandel und Veränderung eine der Triebkräfte für seine Entscheidung fürs Konzil waren. Er erzählt von diesem Wandel, von diesem „menschlichen Bienenstock“, von dem aus ein „ununterbrochenes Durcheinander von verwirrten Stimmen erklingt, auf der Suche nach Einstimmigkeit, Stimmen sie sich leicht mit einander verflechten oder auflösen“. Er wird da poetisch, der Papst. Der Einsatz für die religiösen, aber auch die sozialen Bedürfnisse sei deswegen mühsam geworden.
„Was ist das für so viele?“: dieser Ausruf vor der Brotvermehrung gebe die Stimmung in der Kirche ganz gut wieder, die Kräfte reichten einfach nicht aus.
„Wenn dann der Bischof von Rom seinen Blick auf die ganze Welt richtet, (..) oh, was für ein Schauspiel: froh einerseits darüber, dass die Gnade Christi weiterhin Früchte trägt und geistlich auferbaut, Gesundheit und Heiligkeit in der Welt vermehrt. Andererseits traurig über Missbrauch und Einschränkung der Freiheit des Menschen, der den freien Himmel nicht kennend und an Christus (…) nicht glaubend sich ganz der Suche nach den weltlichen Gütern zuwendet.“
… und aus Änderung folgt, dass man reagieren muss …
Dazu kämen dann noch die Versuchungen durch die moderne Technik. Diese sei eigentlich wertfrei, bringe aber Versuchungen, wenn man ganz auf sie baue. All dies – „sagen wir, dieser Fortschritt“ – schwäche die Kirche, lasse sie Fehler machen, führe dann zu Spaltung und zum Verfall.
Aber erinnern wir uns, später, bei der Eröffnungsansprache des Konzils, sollte er dann wider die „Unglückspropheten“ wettern. Johannes XXIII. wäre also völlig falsch verstanden, wenn wir in dieser Klage Kulturpessimismus erkennen wollten.
Im Gegenteil. Diese Beobachtungen „lassen im Herzen des demütigen Priesters, den die Göttliche Vorsehung obwohl unwürdig zu der Höhe des Papstamtes geführt hat, eine – sagen wir – entscheidende Lösung entstehen.“ Also, den Blick auf die Schwierigkeiten gerichtet wird er nicht etwa defensiv, sondern findet einen neuen Weg. In ihm sei etwas gewachsen.
… mit alten Mitteln, aber auf etwas Neues hin …
Die Kirche kenne nämlich Formen der Versicherung und der Weiterentwicklung der Lehre, auf die man zurückgreifen könne, „in Zeiten der Erneuerung haben sie Früchte von außerordentlicher Wirksamkeit, für die Klarheit des Denkens, die Festigkeit der religiösen Einheit, für die Flamme der christlichen Leidenschaft.“ Man war in den 50er Jahren in der kirchlichen Sprache noch viel blumiger unterwegs.
Und dann sind wir auch schon fast beim Thema, auf das der Papst die ganze Zeit zugesteuert war: „Ehrwürdige Brüder und liebe Söhne! Gewiss ein wenig zitternd vor Bewegung, aber doch mit demütiger Entschlossenheit, verkünden wir vor euch den Namen und den Plan einer zweifachen Feier: einer Diözesansynode der Stadt Rom und eines Ökumenischen Konzils für die Gesamtkirche.“
… mit einem Konzil
Ohne polemisch werden zu wollen: man kann in der Absicht des Konzilspapstes Johannes bereis lesen, was Benedikt XVI. dann später die „Hermeneutik der Kontinuität“ nennen sollte.
Er brauche den Anwesenden nicht die Bedeutung dessen zu erklären, was er da vorgeschlagen habe, so Johannes XXIII. weiter. Das klingt in unseren heutigen Ohren etwas komisch, begann doch genau in diesem Augenblick die Auseinandersetzung über das, was ein Konzil bedeuten kann, darf und soll.
Eine Aktualisierung des Kirchenrechts nennt der Papst als erstes als Aufgabe für das Konzil, und tatsächlich sollten die Arbeit dann – viel später, aber aufbauend auf dem Konzil – 1984 zur Promulgierung des aktuellen CIC führen. Das reiche aber schon aus, beendet der Papst den inhaltlichen Teil seiner Ansprache. Mit Grüßen in kurialer Sprache kommt er zum Ende.
Und damit beginnt die Bewegung
Und damit beginnt die ganze Bewegung, die nach viel hin und her, nach Texten, Ablehnung, Neuformulierung und Streit zu den Konzilsdokumenten führen sollte. Aber die Grunddynamik sollten wir nicht vergessen: Der Blick auf die Schwierigkeiten, auf Wandel und Veränderung, braucht eine positive Antwort. Nicht den Rückzug ins Defensive. Diesen Weg hat Papst Johannes XXIII. begonnen. Damals, am 25. Januar 1959.