Der zweite Teil einer kleinen Interviewserie mit Menschen, die beim zweiten Vatikanischen Konzil dabei waren.
Herr Gruber, welche Atmosphäre war auf dem Konzil zu Anfang bestimmend?
Da war das spürbar, was zu dieser Zeit auch sonst in der Kirche und auch in Deutschland spürbar war, nämlich eine große Spannung. In welche Richtung wird das Konzil gehen? Wie immer in der Kirchengeschichte gab es auch damals unterschiedliche Richtungen unter den Bischöfen, den Theologen und den Gläubigen, Spannungen, ungelöste Fragen, Kontroversen. In Deutschland gab es damals zum Beispiel die liturgische Bewegung und die Bibelbewegung. Außerdem waren kirchenrechtliche Fragen offen, Fragen zum Verhältnis zu den anderen Konfessionen. Unter Faulhaber gab es ja schon die Una Sancta-Bewegung in München. Wie also würde das Konzil ausgehen? Auf der anderen Seite hatte ich als Student in Rom auch schon erlebt, dass die konservative Strömung, die verstärkt an der Neuscholastik orientiert war, etwa durch deutschsprachige Professoren an der päpstlichen Jesuitenuniversität Gregoriana und rund um die Glaubenskongregation, sehr stark vertreten waren. Die Enzyklika „Humani Generis“ bestand ja schon, die aussagte, dass alle Menschen von einem Menschenpaar abstammten. Darüber gab es bei uns im Kolleg heftige Diskussionen. Nachrichten aus den Vorbereitungsgremien des Konzils über konservative Einflüsse, die eine Erneuerung, wie sie sich später einstellen sollte, gar nicht vorsahen, machten die Runde. Dann erschien in dieser Vorbereitungszeit die Enzyklika (Anm.: Apostolische Konstitution) „Veterum Sapientia“, die vom Papst feierlich am Petersgrab unterschrieben wurde und vorsah, dass Latein in der Liturgie selbstverständlich erhalten blieb. Und, dass auch die Hauptfächer an den Hochschulen in Latein zu lehren seien. Das alles führte also zu einer großen Spannung. Man wusste nicht, geht es in die eine oder die andere Richtung. Und die KNA titelte: „Nur, wer zu viel erwartet, wird enttäuscht!“. Das stimmte auf jeden Fall. Weiterlesen “Zeugen des Konzils: Gerhard Gruber, Sekretär von Kardinal Döpfner”