Framing nennt man es, wenn vor einem Ereignis die Wahrnehmung und damit Deutung desselben beeinflusst oder bestimmt werden soll. Und Framing erleben wir gerade, in Vorbereitung auf die Bischofssynode im Oktober in Rom. Widerspruch gehört zur Debatte, und das ist auch gut so. Hier passiert aber gerade mehr.
Framing, das ist sozusagen ein „Sprechen als ob“, als ob schon entschieden wäre, was das Ergebnis ist. Debatten werden entschieden, noch bevor sie begonnen sind.
Widerspruch gehört zur Debatte
An dieser Stelle habe ich einen Einspruch gegen das, was Papst Franziskus vorhat, ja schon kommentiert. Die Rückmeldung war, dass mein Text ziemlich hart gewesen sei, aber nach wie vor stehe ich dazu. Wer für etwas eintritt und argumentiert, ist herzlich willkommen. Wer aber erst mal dem anderen Unehrlichkeit unterstellt, der nicht.
Aber wie mit diesen Einwürfen umgehen? Das ist schwierig, denn sie verlegen ja die Debatte über die Themen auf die Debatte über die Deutungshoheit über Kirche und Themen, sie machen daraus also eine Autoritätsfrage. Indem man da mitmacht, gibt man bereits den ersten Punkt auf, nämlich die Forderung erst einmal zuzuhören bevor man Urteile fällt.
An dieser Stelle mag ich trotzdem diese Debatte aufgreifen, denn es gibt sie ja, wegschauen ist auch keine Lösung. REPAM – das Amazonas-Netzwerk der katholischen Kirche – hat dazu einen spannenden und an Deutlichkeit nichts vermissen lassenden Artikel von Pater Victor Codina veröffentlicht,
Wegschauen ist auch keine Lösung
Es darf nicht überraschen, dass es „unharmonische“ Stimmen gibt, denn das war schon immer so, sagt Codina. Die Einsicht eines historisch Gebildeten macht den Anfang. Von Galater 2:14 bis zu den Auseinandersetzungen um die beiden Vatikanischen Konzilien, die Kirchengeschichte ist voll von Widerspruch und Auseinandersetzung.
Widerspruch sei aber nicht gleich Widerspruch, es gebe prophetische stimmen, aber auch reaktionäre. Da müsse man genau hinschauen, nicht alles führe weiter. „Gegenwärtig gibt es eine starke Oppositionsgruppe gegen die Kirche des Franziskus“, Codina geht es aber nicht um Namen, ihm geht es um die theologischen Hintergründe.
Zwei Kritiken am Papst sieht Codina: „Die theologische Kritik geht von der Überzeugung aus, dass Franziskus kein Theologe ist, sondern aus dem Süden, aus dem Ende der Welt kommt und dass dieser Mangel an theologischer Professionalität seine Ungenauigkeiten und sogar seine Lehrfehler erklärt.“ Implizit werden deswegen Johannes Paul II. und Benedikt XVI. gegen ihn in Stellung gebracht.
Theologie, die von Realität ausgeht
Seine Vermutung: „Was seine Kritiker wirklich stört ist, dass seine Theologie von der Realität ausgeht, von der Realität der Ungerechtigkeit, der Armut und der Zerstörung der Natur und der Realität des kirchlichen Klerikalismus.“
Codina hat eine lange Liste der „Ärgernisse“ an diesem Papst. Dieser sehe die Armen als einen „locus theologicus“, also als Quelle theologischer Erkenntnis. „Offensichtlich ist es nicht so, dass er kein Theologe ist, sondern dass seine Theologie pastoral ist“, schließt Codina daraus.
Seine Theologie sei außerdem nicht kolonial, sondern aus dem Süden. Dieser kurze Satz verdient eigentlich etwas mehr Raum, denn er berührt eine wunde Stelle. Mir sind bei meinen beiden Aufenthalten in Lateinamerika – sieben Monate in Chile, zwei Wochen Journalistenreise in Amazonien – immer wieder die Vorwürfe an den Westen begegnen, zu kolonisieren. Westliche Denkmodelle würden Unterwerfung verlangen, und das sei Kolonisierung. Das Dokument von Aparecida der Bischöfe des Kontinents spricht ausdrücklich davon.
Koloniale Theologie
Codina sieht sehr richtig dass die Kritik an der Synode und deren Themen eigentlich dem Papst gilt, direkt von Anfang des Artikels an macht er das sehr klar. Oder vielleicht besser: Die Kritik, die ihn beschäftigt, ist die welche unter dem Mantel der Synoden-Kritik den Papst treffen will.
Dabei sei das wofür er stehe „in vollkommener Übereinstimmung mit der prophetischen und biblischen Tradition sowie der Soziallehre der Kirche“. Das gelte vor allem für das Projekt der Synode zum Amazonasgebiet, sagt der Theologe in seinem Artikel.
„Einige hohe kirchliche Würdenträger haben gesagt, dass das Vorbereitungsdokument der Synode ketzerisch und pantheistisch ist und die Notwendigkeit der Erlösung in Christus leugnet“, zitiert Codina. Andere konzentrierten sich auf die Zölibatsfrage, bringen damit aber die Realität der Zerstörung, der Ausgrenzung und Bedrohung von indigenen Völkern zum Schweigen.
Für den Norden geschrieben
Die Kritik habe Adressaten, sagt Codina schließlich, sie richte sich an Gruppen im Norden. Was implizit wahrscheinlich die wichtigste Einsicht ist: die Kirche des Nordens kann sich nicht zurücknehmen, kann nicht zuhören um vielleicht etwas zu lernen. Sie kann die Hoheit über die Definition, was nun theologische Erkenntnisquelle sei, nicht aufgeben. Das sei die Quelle all der Kritik.
Und genau hier tut der Text von Codina gut. Oder weh, je nachdem.