Statuen und Bilder von Maria ohne Jesus machen mich nervös. Die Muttergottes und Jesus gehören zusammen, ein Bild von ihr muss immer auf Jesus verweisen, wie auch Bilder von den anderen Jüngern um den Herrn herum.
Schon in der Bibel ist das so, literarisch gesehen scheinen mir die Jünger wie auch die Gegner wie überhaupt alle Figuren dadurch schlüssig, dass sie einen Bezug zu Jesus haben. Da wird keine Geschichte erzählt, in die dann Jesus als einer unter vielen Handelnden eintritt. Sondern es wird die Geschichte Jesu erzählt, in der dann andere Figuren dazu dienen, einzelne Episoden, Eigenschaften Jesu, Ereignisse und so weiter zu beleuchten. Die Figuren haben kein Eigenleben außerhalb ihres Bezuges zu Jesus. Und das gilt auch für seine Mutter, für Maria.
Muttergottes und Jesus
Nun hat Marienfrömmigkeit bei uns nicht unbedingt einen guten Ruf. Einige schwören drauf und finden dort das, was in der sonst sehr verkopft daherkommenden Theologie und Verkündigung nicht zu finden ist. Andere wiederum werden nervös, weil hier Übertreibungen gesehen werden. Und es stimmt ja, manchmal klingt es so, als ob die Mutter Jesus quasi neben Jesus stünde. Unabhängig.
Der Mai ist der Marienmonat, besser: einer von zwei Marienmonaten. Die Muttergottes und Jesus gehören also mehr in den Blick, als sonst. Jedenfalls habe ich seit einigen Jahren wieder einen neuen Zugang gefunden, um diese Zeiten geistliche fruchtbar zu machen.
Marienmonat und Frömmigkeit
Einen Zugang, besser gesagt zwei verschiedene Zugänge.
Zum einen ist da die Maria in den Exerzitien des Ignatius. Mir war das noch nie aufgefallen, aber ein Mitbruder machte mich darauf aufmerksam, dass Maria immer dort als Gesprächspartner auftauche, wo es um die menschlich, allzu menschlichen Dinge ginge. Das am Menschsein, was wir schwer ausdrücken können, was sich der Vernunft entziehe und wo Denken nicht immer weiter hilft. Wo Worte nicht weiterhelfen.
Zweitens habe ich Maria entdeckt als Zugang zu Jesus, der nicht über Tugend führt. Nicht über Moral. Nicht über Regeln.
Die Muttergottes wird in der Schrift von Jesus ja nicht immer wirklich gut behandelt, „wer soll das bitte sein“, weist er seine Familie zurück. Er hat andere Bindungen, nicht von Stamm und Großfamilie, sondern allein Bindungen im Glauben.
Keine Tugend-Maria
Aber unter dem Kreuz taucht sie dann wieder auf. Das ist alles nicht so glänzend, wie wir es auf den Säulen der Kirchen immer aussehen lassen, auf den Gemälden und in den Gebeten. Das ist zumindest für mich rauer, unsicherer, menschlicher, und eben nicht überwölbt von den Vorstellungen der Zeit. Da darf erst mal alles bleiben, wie es ist.
Im 19. Jahrhundert hatte Maria eine erstaunliche Entwicklung, zum Beispiel in Lourdes. Während in Europa nach den napoleonischen Kriegen die Nationalismen erwachten, erst bürgerlich und später militärisch gefüttert, bliebt der Katholizismus transnational. Und wollte das auch bleiben.
Dass der Papst zu dieser Zeit eine große Bedeutung in der katholischen Identität bekam, mehr als vorher, liegt auch an dieser Entwicklung. Dasselbe kann man eben auch mit Blick auf die Marienfrömmigkeit sehen. Die war nicht national, die war sozusagen das Gegenstück zu den Nationalismen.
So bietet mir Maria auch heute einen Zugang zu Jesus, der sich dem Zeitgeist entzieht. Der nicht schon im Voraus kalkulierbar ist.
Und dann brauche ich auch nicht mehr nervös sein, wenn ich Maria mal ohne Jesus sehe.