Während ich in München studiert habe, wurde das Siegestor renoviert. Stein für Stein wurde weggenommen und ersetzt, das dauerte und war teuer. Man hätte das Ding auch komplett abreißen und neu aufbauen können, das Ergebnis wäre dasselbe gewesen – neue Steine – und weniger teuer. Aber wir hätten alle gesagt, das sei nicht mehr derselbe sondern ein neuer. Hermeneutik der Kontinuität, sozusagen. Wandel ohne Bruch.
Das verdeckt etwas, dass es Wandel gibt, und zwar massiven. Aus der Zeitlinie genommen käme zum Beispiel niemand auf die Idee, dass die Kirchen des 4., des 11. und des 17. Jahrhunderts dieselbe historische Realität wären. Nebeneinander und ethnologisch beschrieben wären sie völlig verschiedene Einheiten. Was sie zusammen hält ist die durch Erzählung weitergegebene narrative Identität. Wandel ohne Bruch, in der Geschichte.
Wandel ohne Bruch
Ich spreche das hier an, weil es immer umstrittener wird, wie Kirche auf den Wandel reagiert oder besser wie wir als Kirche mit unserem Wandel umgehen und ihn gestalten wollen.
Die immer funktionalistischer werdende Welt, in der Wirksamkeit und vor allem Konsum die Kriterien sind, setzen uns in Zugzwang. Benedikt XVI. hat darauf mit dem spannenden Konzept der „Entweltlichung“ reagiert. „Welt“, das ist alles um uns herum, und nur das. Mehr gibt es nicht, wird gesagt. Und weil wir glauben, Herren der Welt zu sein, glauben wir auch, Herren unserer selbst zu sein.
Mehr gibt es nicht, wird gesagt
Das kann es nicht sein. Jedenfalls werden alle Christen sagen müssen, dass die Welt um uns herum nicht alles ist, dass da mehr ist. Dass da Gott ist. Und in Gott ewiges Leben, Erlösung, Vergebung.
Aber das löst noch nicht die Frage, wie wir mit dem Wandel umgehen. Papst Franziskus macht das ziemlich radikal, sein Zitat „diese Wirtschaft tötet“ aus Evangelii Gaudium ist da die Spitze der Kritik an einer Gesellschaft, die sich in der Welt eingerichtet hat und von Welt bestimmt wird, um in der Terminologie Benedikt XVI. zu bleiben. Es ist die Kritik an einer Welt, die Gott nicht kennen will, weil sie sich selbst genügt. Weil Gott ihre Funktionen und Wichtigkeiten in Frage stellt.
Aber in der Folge dieser Kritik wäre es fatal, sich in eine verklärte Vergangenheit zurück zu denken. Die Worte „bewahren“ und „Tradition“ haben da etwas Verführerisches. Natürlich ist es an uns, den ererbten Glauben weiter zu geben, die Tradition und die Schrift zu erzählen. Das ist aber auf keinen Fall mit Sentimentalität zu verwechseln.
Nicht mit Sentimentalität verwechseln
Wenn wir uns dem Wandel stellen, dem wir nun mal unterworfen sind, dann ist Kulturpessimismus keine Lösung. Er hält uns gefangen. In gewisser Weise ist das Festhalten am Früher selber auch noch eine „weltliche“ Reaktion. Glauben bewahren und verkünden ist nicht ein Festhalten am Gestern. Dem Wandel begegnen ist im Gegenteil etwas Kreatives, das bereit ist auch heute das Positive zu sehen, die guten Dinge zu stärken.
Eine christliche Gegenkultur muss auf Gerechtigkeit und Barmherzigkeit aufbauen, nicht auf dem Wunsch nach einer Sozialform und einem Glauben, die es beide so nie gegeben hat, sie man sich aber irgendwie vorstellt. Es braucht den Blick auf die Welt aus den Augen Gottes, die eine ganz andere ist als die, welche wir uns erschaffen haben. „Gottes Welt ist die Korrektur zur unseren“, eine kluge Beobachtung. Es gilt, nach vorne zu denken, nicht zurück. Oder noch einmal in den Worten des Papstes:
„Wir müssen uns bewusst sein, dass wir oft nicht wissen, mit diesen neuen Situationen umzugehen. Manchmal träumen wir von den ‚Fleischtöpfen Ägyptens‘ und vergessen, dass das Gelobte Land vor uns liegt, nicht hinter uns.“