Es ist und bleibt einer der Hauptpunkte auf der Agenda von Papst Franziskus: die Synodalität in der Kirche. Und da es immer mehr Prozesse gibt, diese lebendig werden zu lassen, äußert er sich auch immer wieder dazu. Ein Beispiel war der Brief an den Synodalen Weg in Deutschland. Ein aktuelles Beispiel ist die Ansprache vor der italienischen Laienorganisation Azione Cattolica.
Nun ist die vom Papst angesprochene Azione Cattolica etwas Eigenes, auch der von der Kirche in Italien geplante synodale Prozess ist eigen, so dass man nicht einfach das, was Franziskus sagt, übertragen kann. Und doch ist es wieder einmal eine dieser Ansprachen gewesen, in denen er viel über Synodalität sagt. Und da ich ja immer wieder dafür werbe, den Blick über den eigenen Tellerrand heraus zu richten, schlage ich vor, die Ansprache mal durch unsere Brille zu lesen.
Synodalität in der Kirche
Strukturiert ist die Ansprache in drei Hauptteile, die jeweils ein Wort aus dem Namen der Organisation zum Titel haben: „Azione“, „Cattolica“ und „Italiana“.
„Das letzte Kapitel des Markusevangeliums schließt, nachdem es von Jesu Erscheinen vor den Aposteln und seiner Aufforderung an sie, in die ganze Welt zu gehen und das Evangelium jeder Kreatur zu verkünden, berichtet hat, mit dieser Aussage: “Der Herr stand ihnen bei und bekräftigte das Wort durch die Zeichen, die es begleiteten.” (16,20). Wessen Handeln ist es dann? Das Evangelium versichert uns, dass das Handeln dem Herrn gehört: Er ist es, der das alleinige Recht hat, zu handeln, indem er „inkognito“ in der Geschichte wandelt, in der wir leben.“
So beginnt der Papst seine Ausführungen über die Aktion, das Handeln. Wichtig ist ihm, dass das nichts wegnimmt von der Verantwortung des Menschen, dass Gott handeln entlässt uns nicht in die zweite Reihe. Die Präsenz des Geistes ist Quelle – nicht Effekt – jeder Verkündigung der Apostel, also jeder Handlung. Franziskus zitiert den zweiten Korintherbrief: „unsere Befähigung stammt vielmehr von Gott“ (3,5).
„Unsere Befähigung stammt von Gott“
Die Zielrichtung des Papstes ist die Gefahr des Funktionalismus: menschliche Programme und Pläne seien eine große Hilfe, aber was wirklich das Reich Gottes fördert sei das Hören auf den Geist in uns.
„Es ist traurig zu sehen, wie viele Organisationen in die Falle der Organigramme getappt sind: alles perfekt, alle perfekten Institutionen, alles Geld, das man braucht, alles perfekt… Aber sagen Sie mir: wo ist der Glaube? Wo ist der Geist? „Nein, wir suchen ihn gemeinsam, ja, nach dem Organigramm, das wir erstellen.” Seien Sie vorsichtig mit dem Funktionalismus. Achten Sie darauf, nicht in die Sklaverei von Organigrammen, von „perfekten” Dingen zu verfallen.“
Das Evangelium sei Unordnung, setzt Franziskus dagegen, denn das Wirken des Geistes mache Lärm. „Dem Geist fügsam sein ist revolutionär“. An dieser Stelle möchte man einhaken und aus unserer, der deutschsprachigen Erfahrung heraus fragen, wie weit der Papst selber das beachtet. Immerhin hat es bei uns eine ganze Menge Unruhe gegeben, denen aus Rom dann mit einschränkenden Anweisungen begegnet wurde. Mir scheint, dass nicht nur italienische Laienorganisationen sondern auch der Vatikan selber sich die Worte zu Herzen nehmen sollten.
Unruhe gilt in alle Richtrungen
Das macht die Richtung der päpstlichen Warnung aber nicht falsch, früher hatte Franziskus das häufig mit einem frühchristlichen Irrglauben verglichen und neo-Pelagianismus genannt. Etwa bei seiner Ansprache 2015, gerichtet an die italienische Kirche:
„Der Pelagianismus bringt uns dazu, auf Strukturen, Organisationen, perfekte – da abstrakte – Planungen zu vertrauen. Oft bringt er uns auch dazu, einen kontrollierenden, harten, normativen Stil anzunehmen. Die Norm gibt dem Pelagianer die Sicherheit, sich überlegen zu fühlen, eine genaue Orientierung zu besitzen. Darin findet er seine Kraft, nicht im sanften Hauch des Geistes. Angesichts der Missstände oder der Probleme der Kirche ist es nutzlos, im Konservativismus und Fundamentalismus, in der Wiederherstellung überkommener Verhaltensweisen und Formen, die nicht einmal auf kultureller Ebene bedeutsam sind, nach Lösungen zu suchen.
Die christliche Lehre ist kein geschlossenes System, das keine Fragen, Zweifel, Probleme hervorbringen kann, sondern sie ist lebendig, sie kann Menschen in Unruhe versetzen, kann sie beseelen. Sie hat kein starres Gesicht, sie hat einen Leib, der sich bewegt und entwickelt, sie hat zartes Fleisch: Die christliche Lehre heißt Jesus Christus. Die Reform der Kirche – und die Kirche ist ‚semper reformanda‘ – steht außerdem dem Pelagianismus fern. Sie erschöpft sich nicht im x-ten Plan, die Strukturen zu verändern. Sondern sie bedeutet, in Christus eingepfropft und verwurzelt zu sein und sich vom Heiligen Geist leiten zu lassen. Dann wird alles möglich sein, mit Verstand und Schöpfergeist.”
„Mit Verstand und Schöpfergeist”
„Das Wort „katholisch”, das Eure Identität bezeichnet, besagt, dass die Sendung der Kirche keine Grenzen hat“: So einfach kann man das übersetzen. Sich selber zum Nächsten machen, sagt der Papst auch. Er spricht ganz bewusst an, dass er eine Laienorganisation vor sich hat:
„Eine Vereinigung zu sein, ist genau eine Art und Weise, diesen Wunsch auszudrücken, gemeinsam zu leben und zu glauben. Dadurch, dass Ihr eine Vereinigung seid, bezeugt Ihr heute, dass aus Distanz niemals Gleichgültigkeit, niemals Entfremdung werden kann.“
Noch einmal warnt der Papst auch vor der „Klerikalisierung der Laien“, ohne ins Detail zu gehen, was das genau meinen soll. Das ist formuliert im Modus der Versuchung, den der Papst so gerne mag, wird aber nicht deutlich, was genau es bezeichnet.
Ein Volk sein
Insgesamt weist dieser Abschnitt auch in seinem Zitat von Evangelii Gaudium 273 auf den engen Zusammenhang hin, den diese Gedanken mit seinen Überlegungen zum „Volk“ zu tun haben. Zuletzt hatte er in seinem Buch davon gesprochen, aber schon in Evangelii Gaudium ist das ausführlich dargelegt. Unserem Denken ist das fremd, hier müssen wir einiges an Übersetzungsarbeit leisten. Zusammenhalt gehört dazu, Zugehörigkeit, anti-elitäres und auch globales Denken. Hier gibt es noch viel zu entdecken.
Und dann kommt der dritte Abschnitt, überschrieben ‚Italiana‘. Auch die Kirche dort beginnt ja ihren eigenen Synodalen Weg, „von dem wir nicht wissen, wie er enden wird, und nicht wissen, was dabei herauskommen wird.“ Das klingt sehr nach dem, was die Kirche in Deutschland auch begonnen hat: die Ergebnisse sind nicht vorherbestimmt. Oder mit dem Papst gesagt: es ist wichtiger, Prozesse zu beginnen, als Positionen zu besetzen.
Das Jahr 2015
Der italienische Weg hat aber einen anderen Ursprung. Er liegt im Treffen von Florenz 2015, bei dem der Papst eine seiner programmatischsten Reden überhaupt gehalten hat. „Unser Glaube ist revolutionär durch einen Impuls, der vom Heiligen Geist kommt. Wir müssen diesem Impuls folgen, um aus uns selbst herauszukommen, um Menschen nach dem Evangelium Jesu zu sein.“ Die Worte und der Impuls gleichen sich, er greift hier wieder etwas auf.
In seiner Rede an die Azione Cattolica macht er aber auch ein anderes Argument stark, das er früher schon einmal ausführlicher behandelt hat: ebenfalls im Jahr 2015, bei den Feiern zum 50-jährigen Bestehen der Bischofssynode. Synodalität habe einen klaren Aufbau: „Der synodale Weg, die mit jeder christlichen Gemeinschaft beginnen wird, von unten, von unten, von unten nach oben.“ (Doppelungen im Original der Ansprache vom 30. April). In unseren Debatten des Synodalen Wegs weist das auf ein Manko hin. Oft wissen nicht einmal die Gemeinden, was genau bei Weg passiert. Wir haben das strukturell anders gelöst, über Vertreter und Mandate. Aber das ist es nicht, was der Papst meint. Was nicht heißen soll, dass es nur einen möglichen Weg der Synodalität gibt, nur eingebunden in das Kirchenleben sollte er schon sein. Da ist noch viel Mühe nötig.
Und dann das Parlament
Es durfte in seiner Ansprache auch nicht die Warnung fehlen, die immer wieder vom Papst vorgebracht wird:
„Und wir müssen präzise sein, wenn wir von Synodalität, von synodalem Weg, von synodaler Erfahrung sprechen. Es ist kein Parlament, die Synodalität macht kein Parlament. Synodalität ist nicht nur die Diskussion von Problemen, von verschiedenen Dingen, die es in der Gesellschaft gibt…. Es ist mehr als das. Die Synodalität sucht nicht nach einer Mehrheit, nach einer Zustimmung zu den pastoralen Lösungen, die wir umzusetzen haben. Das allein ist keine Synodalität; das ist ein schönes „katholisches Parlament“, das ist gut, aber es ist keine Synodalität. Denn es fehlt der Geist. Was die Diskussion, das „Parlament”, die Suche nach Dingen zur Synodalität werden lässt, ist die Anwesenheit des Geistes: Gebet, Stille, Unterscheidung all dessen, was wir miteinander teilen. Es kann keine Synodalität ohne den Geist geben, und es gibt keinen Geist ohne Gebet. Dies ist sehr wichtig.“
Wenn man das von hinten her liest, von seiner Schlussfolgerung her, dann ist da wenig nachzufragen. Natürlich muss alles, was Kirche tut, vom Geist geprägt sein und wir selber müssen alles tun, um uns offen für den Geist zu machen. Ob das aber schon eine Ablehnung demokratischer Verfahren ist? Dass es kein politisches Taktieren geben soll, ist geschenkt. Kein Schielen auf Mehrheiten, keine Absprachen in Hinterzimmern. Trotzdem würde ich das mit dem „Parlament“ noch einmal differenzierter sehen wollen. Diese doch sehr allgemein gehaltene Kritik hält meines Erachtens nicht.
Eine Kirche des Dialogs
Was er sagen will, ist dass es um eine Stil geht, der zu „inkarnieren“ ist. Kein umzusetzendes Programm. So kann ich dem voll und ganz zustimmen. In seiner doch sehr grundsätzlichen Kritik schießt der Papst aber etwas über das Ziel hinaus.
In der Ansprache werden verschiedene Linien aufgegriffen, die sich seit Jahren durch das Pontifikat ziehen und sich im Begriff der ‚Synodalität‘ treffen. Das ist das Papst-Projekt, und daran beteiligen auch wir uns mit unseren Prozessen und Erfahrungen. Und das ist dann auch die Kirche von morgen:
„Die Kirche des Dialogs ist eine synodale Kirche, die gemeinsam auf den Geist und auf die Stimme Gottes hört, die uns durch den Schrei der Armen und der Erde erreicht.“